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Anna Leuschner

Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Eine wissenschafts- und erkenntnistheoretische Analyse am Beispiel der Klimaforschung

Bielefeld: transcript Verlag 2012 (ScienceStudies); 226 S.; 29,80 €; ISBN 978-3-8376-1974-4
Diss. Bielefeld; Begutachtung: M. Carrier. – Sobald Wissenschaft auf politische, soziale oder ökonomische Interessen trifft, spielen Fragen nach ihrer Glaubwürdigkeit eine entscheidende Rolle. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass „glaubwürdigkeitsrelevante Forschung“ (2) vielleicht noch mehr als andere zu einem ausgeprägten Pluralismus und damit zur Produktion epistemischer Unsicherheiten neigt. Konkurrierende politische Interessengruppen suchen und fördern in der Regel solche Expertisen, die aufgrund ihrer theoretischen und empirischen Ausgangsannahmen die „richtigen“ Ergebnisse produzieren. Hier „zeigt der wissenschaftliche Pluralismus seine Kehrseite: Aus ihm können konkurrierende Expertisen hervorgehen, die jeder politischen Position eine passende Rechtfertigung liefern“ (195). Politische Eindeutigkeitsansprüche treffen somit auf wissenschaftsinterne Unsicherheiten. Dies wird vor allem dann zum Problem, wenn in der Öffentlichkeit zugleich die Vorstellung dominiert, Wissenschaft sei von Natur aus wertfrei und ihre Vorgehensweise (und damit auch Ergebnisse) somit unabhängig von moralischen und politischen Überzeugungen. Eine solche Werturteilsfreiheit ist jedoch gerade „in empirischen Wissenschaften kaum möglich“ (124). Muss dies letztendlich bedeuten, dass die Wissenschaft, sofern sie ein Interesse an der Mitgestaltung politischer Prozesse besitzt, keine andere Wahl hat, als zum Spielball konkurrierender Interesse zu werden und sich damit zwangsläufig als unglaubwürdig darzustellen? Die Autorin argumentiert dagegen. In einer ausführlichen wissenschaftstheoretischen Diskussion sowie am empirischen Beispiel der Klimaforschung zeigt sie, dass es zum einen notwendig ist, ein „allgemeines Bewusstsein“ dafür zu schaffen, „dass die Vorstellung wissenschaftlicher Wertfreiheit obsolet ist“. Die Wissenschaftler selbst müssten sich hier ihrer Verantwortung bewusst sein, sich moralisch positionieren und damit „wissenschaftliche Unsicherheiten und Diskrepanzen transparent“ (198) machen. Gleichzeitig müsse der wissenschaftliche Pluralismus weiter gefördert werden. Hier komme es aber darauf an, deliberative Instanzen zu schaffen, welche (fallspezifisch) epistemische Qualitätsstandards definieren und auf dieser Grundlage ein qualitatives Auswahlverfahren entwickeln. Auch wenn sich der Gedanke einschleicht, dass die Umsetzung dieser Vorschläge selbst wieder ein umkämpftes Terrain und damit höchst problematisch werden dürfte: Die von der Autorin gestellten und diskutierten Fragen sind dringend, wenn nicht gar überfällig – und von zunehmender politischer Relevanz (gerade auch in den Politikwissenschaften).
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.2 | 4.45 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Anna Leuschner: Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Bielefeld: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34976-die-glaubwuerdigkeit-der-wissenschaft_42070, veröffentlicht am 15.11.2012. Buch-Nr.: 42070 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken