Skip to main content
Nico Stehr

Die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften

Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000; 368 S.; geb., 79,- DM; ISBN 3-934730-18-3
Im Anschluss an seine 1994 erschienene Studie "Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften" will Stehr hier die dort entwickelte "spezifische These von der wachsenden Zerbrechlichkeit der modernen Gesellschaft als Wissensgesellschaft" ausarbeiten (11). In Gesellschaften dieses Typs nimmt Wissen - verstanden als Handlungsvermögen und nicht als scientific knowledge (78 ff.) - den Platz ein, den im industriegesellschaftlichen Kontext Eigentum und Arbeit besetzten (51 ff.). Stehr sieht, anders als kulturkritische (im Umkreis der Individualisierungsthese) und (mit Blick auf Globalisierungsprozesse) ökonomiekritische Positionen, in der wachsenden Verbreitung und Bedeutung von Wissen einen fundamentalen Strukturwandel, der einerseits den Herrschaftsverlust großer gesellschaftlicher Institutionen (das politische System eingeschlossen [152 ff.]) auslöst, andererseits aber ebenso zu einer systematischen Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten einzelner Gesellschaftsmitglieder führt (15 f.). In einer ausdrücklich wissenssoziologischen und weniger gesellschaftstheoretischen Perspektive geht es ihm dabei um eine doppelte Demystifizierung unserer Vorstellungen von Wissen. Wenn die Ausbreitung von Wissen aufgrund der Kontingenz der Wissensproduktion unvermeidlich an die Zunahme von Unsicherheit gekoppelt ist (308 ff.), dann entzieht das nicht nur der technokratischen Illusion der Effektivität von Expertenwissen den Boden (118 ff.) - auch die (vielfach "linken") Befürchtungen einer unaufhaltsamen Verselbständigung technologischer Superstrukturen verlieren damit an Plausibilität (274 ff.). Inhalt: 1. Die Struktur moderner Gesellschaften: Räumliche Handlungszusammenhänge; Funktionale Differenzierung; Die Rationalisierung des Irrationalen; Traditionelle und moderne Gesellschaften; Die Ausweitung sozialen Handelns. 2. Wissensgesellschaften: Die Entwicklung von Wissensgesellschaften; Die Gesellschaft der Gesellschaften. 3. Wissen über Wissen: Wissen als Handlungsvermögen; Kultur und Wissen; Die Realisierung von Handlungsvermögen; Zusätzliches Wissen; Wissen und Information; Grenzen der Macht der Erkenntnis; Exkurs: Kapitalformen. 4. Fusion durch Auflösung: Die Einschränkung von Gestaltungsmöglichkeiten; Das Übermaß sozialer Manipulation; Ethische Indifferenz, Macht und Wissenschaft; Exkurs: Herrschaft kraft Wissen. 5. Zerbrechliche soziale Strukturen: Die Welt der postindustriellen Gesellschaft; Kollektive und individuelle Handlungsmöglichkeiten. 6. Die Regierbarkeit von Wissensgesellschaften: Die blockierte Gesellschaft; Politik in Wissensgesellschaften; Partizipation und Wissen. 7. Fragmentierung und Homogenisierung des Lebens: Massengesellschaften; Die Globalisierung der Welt; Die Globalisierung in historischer Zeit; Globalisierung als ungleiche Ausweitung sozialen Handelns. 8. Die Überwachung des Wissens: Wissenspolitik; Die Regulierung des Wissens; Die soziale Kontrolle der Erkenntnis in der Wissenschaft; Die gesellschaftliche Regulierung der Erkenntnis; Die Virchow-Haeckel-Kontroverse; Die Öffentlichkeit und die Wissenschaft; Die Entwicklung gesellschaftlicher Kontrollmechanismen; Wissenshierarchien und -monopole. 9. Emanzipation und Wissen: Macht und Wissen; Die neuen Risiken des Wissens; Neue soziale Bewegungen; Exkurs: Wissen und Risiko. 10. Wissen, Unsicherheit und Kontingenz: Ausblicke oder: Was offenbleibt.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 | 2.22 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Nico Stehr: Die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften Weilerswist: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/13183-die-zerbrechlichkeit-moderner-gesellschaften_15797, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 15797 Rezension drucken