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Beate Baldow

Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre

Online-Publikation 2013 (http://d-nb.info/1041255683/34); 352 S.
Geschichtswiss. Diss. FU Berlin; Begutachtung: W. Wippermann, A. Bauerkämper. – Dass die Vorstellung von der „Stunde null“ und einer ausschließlich von unbelasteten Intellektuellen und Politikern aufgebauten Bundesrepublik nicht haltbar ist, ist seit Langem bekannt. Nichtsdestotrotz sind die auch nach der Gründung der Bundesrepublik existierenden Netzwerke brauner Funktionäre und das Ausmaß ihrer Aktivitäten noch längst nicht in Gänze erforscht. So ist beispielsweise die sogenannte Naumann‑Affäre in der Wissenschaft entweder wenig beachtet oder aber sehr unkritisch untersucht worden, stellte zur damaligen Zeit aber ein Politikum dar: Werner Naumann, ehemaliger Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) und in Hitlers Testament zum Nachfolger von Goebbels ernannt, etablierte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein aus einem inneren (15 Mitarbeiter) und einem äußeren Kreis (mit zwischenzeitlich mehr als 1000 Anhängern) bestehendes nationalsozialistisch ausgerichtetes Netzwerk, das auch Verbindungen zu politischen Parteien, insbesondere der FDP, aufbaute. 1953 wurden Naumann und sechs weitere Personen, teils vormals ranghohe NSDAP‑Mitglieder, deswegen festgenommen. Dies hinderte Naumann nicht daran, nach seiner Entlassung erneut politisch aktiv zu werden. Erst ein BGH‑Entscheid entzog ihm 1954 sein aktives und passives Wahlrecht. „Angesichts der Schlussstrich‑Mentalität der frühen 50er Jahre, der wachsenden Kritik an der Entnazifizierung, der Solidarisierung mit den Kriegsgefangenen, der Integration der NS‑Verwaltungseliten und schließlich dem Straffreiheitsgesetz zur Wiedereingliederung“ fragt Beate Baldow, ob die Naumann‑Affäre nur als eine Episode oder doch eher als eine reale Bedrohung bezeichnet werden sollte und „wie stabil die Bundesrepublik tatsächlich war“ (10). Durch die Sichtung vieler Akten kann Baldow mehrere Strategien Naumanns bei der Umsetzung seiner Ziele ausmachen und bis dato nicht bekannte, weit verzweigte und einflussreiche Verbindungen aufdecken. So zeigt sie zum Beispiel, dass Naumann als eigentlicher Organisator und Schrittmacher bei der Gründung des Verbands deutscher Soldaten angesehen werden muss und „hinter den Kulissen gemeinsam mit dem Verfassungsgericht auf das Verbot der [konkurrierenden] SRP“ (304) hinarbeitete. Auf Grundlage ihrer Analyse bezeichnet Baldow die Naumann‑Affäre als „Kulminationspunkt der rechtsgerichteten Tendenzen und Skandale der jungen Bundesrepublik“ (306).
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.3132.331 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Beate Baldow: Episode oder Gefahr? 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37455-episode-oder-gefahr_45561, veröffentlicht am 28.08.2014. Buch-Nr.: 45561 Rezension drucken