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Rike Sinder

Fremde Freiheit. Islamistischer Freiheitsbegriff und feministische Theorie

Freiburg i. Br.: Arnold-Bergstraesser-Institut 2014 (Freiburger Beiträge zu Entwicklung und Politik 42); X, 207 S.; 15,- €; ISBN 978-3-928597-68-5
Rike Sinder beleuchtet die Debatte über den islamischen Feminismus anhand der Freiheitsbegriffe von Judith Butler, Saba Mahmood und Heba Raouf Ezzat, vergleicht diese und weist auf die vielfältigen Mängel von Mahmoods „Rekonzeptualisierung von Freiheit“ (4) hin. Auch unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen liberaler politischer Theorien von John Christman, Gerald MacCallum, Quentin Skinner und Philip Pettit bis hin zu Carole Pateman lasse sich keine kohärente, universale Definition für säkulare und religiöse Freiheitsbegriffe formulieren, schreibt Sinder. Die Autorin leistet sehr genaue und analytisch klare Textarbeit und kontextualisiert die theoretischen Positionen mit hilfreichen Dossiers zu Autoren, politischen Hintergründen sowie zu methodischen Überlegungen. Auf diese Weise gelingt es ihr, präzise Angaben über die Schwächen der Mahmood‘schen Butler‑Rezeption zu machen. Diese Schwächen sieht sie vor allem darin, dass Mahmood „kaum zwischen Autonomie, Handlungsmacht und Freiheit [unterscheidet]“ (80), weiter in einem falschen Analogieschluss zwischen Religion als „körperliche Praktik“ und „politische Freiheit“ (82) sowie in ihrer nicht ausreichend begründeten „Trennung des analytischen vom normativen Projekt des Feminismus“ (63). Mahmoods Projekt, Butlers Theorie der Freiheit als performative Subjektivierung zu aktualisieren und ihre Schwächen „im interkulturellen Bereich“ (49) auszubessern, sei damit wesentlich gescheitert. Die Autorin demonstriert dies im zweiten Teil des Bandes an der islamistischen Praxis der Frauenbewegungen um Ezzat. Diese verfolgt eine Erneuerung des egalitären Potenzials des Islams. Der Autorin zufolge besteht „Ezzats Freiheitsbegriff […] aus zwei zentralen Elementen: dem Kalifat und der Pflicht zur politischen Partizipation aller Bürgerinnen und Bürger innerhalb der umma“ (155), der Gemeinschaft der Gläubigen. Aber trotz einiger Ähnlichkeiten können „auch republikanische Freiheitsbegriffe die Kluft zwischen ‚unseren‘ Konzeptionen der Freiheit einerseits und Ezzats islamistischer Theorie andererseits nicht […] überwinden“ (160). Mit der epistemologischen Auffassung des im Original bei Butler ethisch verwendeten Begriffs der „normativen Gewaltlosigkeit“ (165) wird diese eindeutige Antwort auf die zentrale Frage – „Ist der ezzatsche Freiheitsbegriff keine Freiheit?“ (163) – aber sofort wieder kassiert und zu einem Verständigungsproblem zwischen westlich‑säkularen und östlich‑religiösen Wissenschaftszweigen erklärt. Damit sind zugleich auch die Grenzen der (ungeprüften) forschungsstrategischen Entscheidung angezeigt, den Freiheitsbegriff ausschließlich in der Terminologie des Liberalismus und Poststrukturalismus zu diskutieren.
{FG}
Rubrizierung: 2.272.222.232.635.425.46 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Rike Sinder: Fremde Freiheit. Freiburg i. Br.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37997-fremde-freiheit_46404, veröffentlicht am 22.01.2015. Buch-Nr.: 46404 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken