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Michael Ley

Holocaust als Menschenopfer. Vom Christentum zur politischen Religion des Nationalsozialismus

Münster: Lit 2002 (Wissenschaftliche Paperbacks 15); 186 S.; brosch., 18,80 €; ISBN 3-8258-6408-1
Der wahnhafte Antisemitismus der NS-Zeit sei nur zu erklären, wenn der Nationalsozialismus als säkulare Erlösungsreligion interpretiert werde. Der in Wien lebende Sozialwissenschaftler Ley analysiert deshalb von einem religionspolitologischen Ansatz aus die säkular-religiösen Inhalte des Nationalsozialismus sowie die Entwicklungslinien, die über zweitausend Jahre zu ihm geführt haben. In einem ersten Schritt zeigt der Autor die religiösen Wurzeln des Antijudaismus, indem er die Religionsgeschichte des Juden- und des Christentums mit den Zivilisationsprozessen und psychologischen Bedürfnissen der Menschen verknüpft. Von zentraler Bedeutung ist, dass die Juden die Religion vergeistigten und das Menschen- und Tieropfer abschafften. Dieser überaus wichtige Beitrag zur Zivilisierung der Menschen wurde vom Christentum wieder zurückgenommen: Mit dem ans Kreuz geschlagenen Jesus wird wieder ein Menschenopfer angebetet. Ley zeigt, dass der Antijudaismus nicht einfach darin gründet, dass - entgegen den historischen Tatsachen - den Juden zwecks Abgrenzung der beiden Religionen voneinander die Schuld für den Tod von Jesus gegeben wurde. Auch habe der antisemitische Christ noch "eine Reinkarnation des archaischen Totemtieres" (31) gebraucht, um seine destruktiven Aggressionen auslassen zu können. "Deshalb hat er sich den Juden in Teufelsgestalt erschaffen." (31) Der Antijudaismus sei weder durch die Reformation noch durch die Aufklärung abgeschwächt worden, im Gegenteil: Der Antijudaismus wurde säkularisiert. Etwa zeitgleich setzte mit dem deutschen Humanismus "die Suche nach einem deutschen Ursprungsmythos ein" (63). Außerdem sei seit Fichte und den Romantikern die Erlösung der Menschheit keine Aufgabe Gottes mehr. "Das deutsche Volk bzw. dessen erhoffter charismatischer Führer übernimmt Gottes Stelle und soll die Welt erretten." (134) Diese verschiedenen Entwicklungslinien, ohne die der Nationalsozialismus nicht verständlich sei, verknüpften sich Ende des 19. Jahrhunderts zum politischen Antisemitismus. Dieser sei der zentrale Bestandteil des Nationalsozialismus gewesen, der alle Merkmale einer Erlösungsreligion aufgewiesen habe und die "Erlösung durch Vernichtung" (2) versprach. "Deshalb ist der Genozid am europäischen Judentum der neuzeitliche Versuch, durch Menschenopfer den Gang der Geschichte zu beeinflussen." (131)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.23 | 2.312 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Michael Ley: Holocaust als Menschenopfer. Münster: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/18197-holocaust-als-menschenopfer_21030, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 21030 Rezension drucken