Skip to main content
Josef Schmid

Kirchen, Staat und Politik in Dresden zwischen 1975 und 1989

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 1998 (Geschichte und Politik in Sachsen 7); 521 S.; geb., 128,- DM; ISBN 3-412-11497-9
Diss. Hamburg; Erstgutachter: A. Sywottek, Zweitgutachter: H. Dähn. - Der Autor untersucht für die Zeit von 1975 bis zum Frühjahr 1989 die Haltung und die Aktionen der evangelischen und katholischen Kirche und ihrer Mitglieder gegenüber den lokalen Machthabern aus Staat und Partei. Datenbasis bilden neben einigen Archivmaterialien - der Autor verweist selbst auf die sich im Untersuchungsverlauf verändernden bzw. generell beschränkten Zugangsmöglichkeiten (9, 24-25) - eine systematische Zeitschriftenauswertung und 21 Interviews mit Amtsinhabern beider Kirchen und einer Reihe von Mitgliedern der sog. kirchlichen Gruppen. Für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens kann Schmid zeigen, wie aus den Anfängen ihrer offenen Jugendarbeit der 70er Jahre zunächst Anfang der 80er Jahre die Friedensgruppen und später weitere, nun auch zunehmend von nicht kirchlich gebundenen Dresdner Bürgern unterstützte Gruppen insbesondere zu ökologischen Themen sowie eine erste, sich als unabhängig verstehende politische Gruppe hervorgingen. Diese streckenweise sehr konfliktreichen Gruppenbildungen erfolgten in einem von allen Beteiligten immer wieder neu auszulotenden Kräftedreieck von Staat, Kirchenleitung und kirchlicher Basis. Sehr deutlich wird, daß innerhalb der evangelischen Kirche einzelnen Pfarrern und Superintendenten eine Schlüsselrolle zukam; sie waren es in erster Linie, die Gruppen und ihre Aktivitäten unterbanden oder aber ermutigten, förderten und in den späten 80er Jahren auch aktiv mitgestalteten. Die zahlenmäßig weitaus kleinere katholische Kirche und ihre Gemeinden blieben dagegen lange Zeit zu allen politischen Fragen bewußt auf Distanz. Hier waren es zunächst einzelne Kirchenmitglieder, die sich den Gruppen in der evangelischen Kirche anschlossen. Eine ganz neue politische Schubkraft erhielt diese zaghafte "politische Ökumene" allerdings durch die Ökumenische Versammlung in der DDR von 1988/89, an der schließlich auch die katholische Kirche offiziell teilnahm. Diese Versammlung tagte zweimal in Dresden und beeinflußte das politische Klima der Stadt. Insgesamt decken sich Schmids Befunde zum Verhalten und zur Rolle der beiden großen Kirchen in Dresden über weite Strecken mit denen anderer (Lokal-)Studien. Neu und methodisch sehr sinnvoll ist vor allem die konfessionell vergleichende Perspektive, die es Schmid erlaubt, seine Ergebnisse präziser einzuordnen und die Dynamik der "politischen Ökumene" der späten Jahre der DDR zu erfassen. Schade ist nur, daß Schmids Studie die eigentliche Umbruchszeit ab dem Sommer 1989 und insbesondere die Rolle der Dresdner Kirchen im lokalen Demokratisierungsprozeß (etwa in der Dresdner "Gruppe von 20") nicht mitbearbeitet hat.
Antonius Liedhegener (Li)
Dr., wiss. Ass., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.uni-jena.de/svw/powi/sys/liedhege.html).
Rubrizierung: 2.313 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Antonius Liedhegener, Rezension zu: Josef Schmid: Kirchen, Staat und Politik in Dresden zwischen 1975 und 1989 Köln/Weimar/Wien: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/5276-kirchen-staat-und-politik-in-dresden-zwischen-1975-und-1989_6938, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 6938 Rezension drucken