Legale und/oder legitime Diktatur? Die Rezeption von Carl Schmitt und Hans Kelsen in der schweizerischen Staatsnotrechtslehre zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
Rechtswiss. Diss. Bern; Gutachter: Andreas Kley. – Der vor allem gegen die „Wiener Schule“ von Hans Kelsen geführte „Richtungsstreit“ in der deutschsprachigen Staatslehre strahlte auch auf die Schweiz der Zwischenkriegszeit aus. Als mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Rahmen des „Vollmachtenregimes“ eine zeitlich befristete De facto-Diktatur eingeführt wurde, spiegelten sich in der schweizerischen Staatsnotrechtslehre die Kontroversen wider, die in der Endphase der Weimarer Republik um Legalität, Legitimität, Souveränität, Diktatur und Ausnahmezustand geführt wurden. Casanova analysiert erstmals ausführlich diese staatstheoretischen Rezeptionslinien anhand ihrer Hauptprotagonisten, der beiden Zürcher Staatsrechtler Zaccaria Giacometti und Dietrich Schindler. Das ist nicht nur von Interesse für das Verständnis der schweizerischen Debatte, sondern erhellt auch wieder deutsche Rezeptionsstränge – wenn man etwa bedenkt, dass der durch Schmitt stark beeinflusste Schindler in der deutschen Staatslehre selbst einflussreich war (z. B. für das Verfassungsverständnis des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Josef Wintrich). Über das Interesse juristischer Zeitgeschichte hinaus sucht Casanova am exemplarischen Fall der Schweiz auch eine Antwort auf die grundsätzliche – und angesichts des Terrorismus neuerlich aktuelle – Frage zu finden, ob und wie viel „kommissarische Diktatur“ eine freiheitliche Demokratie zu ihrer Rettung in Notsituationen verträgt.