Wenn es noch eines Beweises für die Autonomie massenmedialer Kommunikationsprozesse bedurft hätte, dann wäre die sich an Walsers Rede "Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede" (zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998) anschließende so genannte "Walser-Bubis-Debatte" dafür gewiss ein ausreichender Beleg. Allerdings meint "Autonomie" in diesem Zusammenhang lediglich, dass sich diese Kommunikationen nach eigenen, aus dem Prozess selbst ergebenden Regeln vollziehen und nicht intentional einzelnen Kommunikationspartnern zugerechnet werden können. Unter diesem Gesichtspunkt untersucht der Literaturwissenschaftler Borchmeyer die Vielzahl der kritischen Stellungnahmen und Kommentare, die Walser teils ausdrücklich, teils indirekt in die Rolle eines "geistigen Brandstifters" rückten. Nicht nur mit Blick auf die 1998 gehaltene Rede, sondern mehr noch vor dem Hintergrund anderer einschlägiger Texte von Walser - wie "Unser Auschwitz" (1965), "Auschwitz und kein Ende" (1979), "Händedruck mit Gespenstern" (1979) - sieht der Verfasser diese Debatte als Ausdruck einer Fehlrezeption, in der die medial wahrgenommene die gesprochene Rede vollständig überlagert hat. Dass hier eine Differenz zwischen "erster" und "zweiter Rede" vorliegt (40 ff.), macht Borchmeyer plausibel - und Kenner des Walser'schen Werkes werden ihm darin zustimmen -, offen bleibt jedoch, wie man derartige Diskursverläufe erklären könnte. Inhalt: 1. Über freie und unfreie Rede; 2. Auschwitz und kein Ende; 3. Zwei Reden; 4. Erinnern - miteinander.