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Stefan Fuchs

Mehr Kinder durch weniger Familie? Die Politik der Defamilialisierung und die niedrige Fertilität in Deutschland

Online-Publikation 2013 (http://hss.ulb.uni-bonn.de/2013/3265/3265.pdf); 677 S.
Diss. Bonn; Begutachtung: T. Mayer, H.‑D. Laux. – Bundesministerin Renate Schmidt führte in ihrer Amtszeit eine neue Familienpolitik ein, die darauf setzte, eine „nachhaltige Bevölkerungsentwicklung“ (4) auf den Weg zu bringen. Dieses Ziel wurde auf Grundlage eines von Eckhart Bomsdorf, Professor für Ökonometrie und Statistik, erstellten Gutachtens mit dem konkreten Wert von 1,7 Kindern pro Frau verbunden. „Um diesen pronatalistischen Anspruch der ‚nachhaltigen‘ Familienpolitik geht es in dieser Arbeit: Sie fragt danach, inwieweit die ‚nachhaltige‘ Familienpolitik die Geburtenneigung fördern kann und ihrem Ziel einer Geburtenrate von 1,7 Kindern pro Frau näher gekommen ist“ (5). Entsprechend kann Fuchs‘ Arbeit nach dem Lesen der ersten Seiten als eine Evaluation der deutschen Familienpolitik begriffen werden, die er nicht an fremden, von außen an die Politik herangetragenen, sondern an den eigenen Ansprüchen und Zielen messen möchte. Tatsächlich holt Fuchs in seiner gut 600 Textseiten umfassenden Dissertation aber deutlich weiter aus als es die von ihm direkt formulierte Fragestellung erfordern würde. Ihm geht es um ein deutlich anspruchsvolleres Unterfangen, denn er versucht zu zeigen, dass sowohl die von Sachverständigen erstellten familienpolitischen Gutachten als auch der Mainstream der Wirtschafts‑ und empirisch arbeitenden Sozialwissenschaften ahistorisch operieren: Sie suchen die Gründe für die derzeit bestehende niedrige Geburtenzahl beispielsweise in der Frauenerwerbsarbeit und der bisher als unzureichend angesehenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Nichtbeachtung historischer Entwicklungspfade führt allerdings zu „schwerwiegenden Fehlschlüssen“ (7), was Fuchs anhand mehrerer wirtschafts‑ und sozialwissenschaftlicher Studien anderer Autoren in seinem Teil II nachweist. Auf Grundlage dieser Erkenntnis geht der Autor in Auseinandersetzung mit dem von Ron Lesthaeghe und Dirk von den Kaa vorgelegten Konzept des Zweiten Demografischen Übergangs sowie der von Wolfgang Lutz entwickelten These der Falle der niedrigen Fertilität den auf der Mikroebene angesiedelten Gründen für die generativen Verhaltensweisen und ihren Wandlungen nach. Fuchs legt dabei ein kontingentes, pfadabhängiges Entwicklungsverständnis zugrunde und sieht neben ökonomischen Bedingungen auch kulturelle und religiöse Prägungen sowie (familiär‑)biografische Erfahrungen als für den Kinderwunsch (oder dessen Ausbleiben) bestimmend an.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.343 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Stefan Fuchs: Mehr Kinder durch weniger Familie? 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37366-mehr-kinder-durch-weniger-familie_45962, veröffentlicht am 31.07.2014. Buch-Nr.: 45962 Rezension drucken