
Neue Marx-Lektüre. Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Logik
Helmut Reichelt gehört neben Hans-Georg Backhaus zu den wichtigsten Autoren der Marx’schen Werttheorie. Er hat durch seine Kritik ökonomischer Kategorien wegweisend zur Neuen Marx-Lektüre beigetragen, die – beeinflusst von Simmel, Adorno und Sohn-Rethel – eine erst noch herauszuarbeitende Methode der Kritik der politischen Ökonomie zum Ausgangspunkt ihrer Theorie macht. Diese Verwissenschaftlichung im Marxismus ist zweifellos ein Reflex auf das praktische Verschwinden sozialistischer Politik bzw. der recht unbedarfter Wiederaneignung einiger programmatischer Aussagen des Marxismus in neuerer Zeit. Im Mittelpunkt der Rekonstruktion der Marx’schen politischen Ökonomie stehen daher weniger einzelne zur Ideologie geronnene Aussagen aus dem „Kapital“, sondern die in „Grundrissen“ entwickelte methodische Kritik nationalökonomischer Begriffe (Wert, Geltung, Arbeit, Geld, Kapital, Zins). Von dieser im ersten Teil dargelegten und bereits in „Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx“ (1970) entwickelten Geltungstheorie rekonstruiert Reichelt im zweiten Teil Marx als soziologischen Klassiker, der einen handlungstheoretischen Ansatz vermeiden will, ohne jedoch in bloßes strukturobjektivistisches Denken zu verfallen. Im dritten Teil werden die methodischen Überlegungen mit den gängigen Grundannahmen des Marxismus konfrontiert. Dies betrifft vor allem so zentrale Theorieelemente wie den Materialismus, die Geschichtsphilosophie und die Revolutionstheorie, die der eigenen, in den „Grundrissen“ entwickelten methodischen Kritik nicht gerecht werden. Denn im Anschluss an Adorno impliziert für Reichelt die Kritik verkehrter Gesellschaftlichkeit stets eine Kritik der Subjektivität. Aus diesem Grund muss einer wertkritischen Marxlektüre die bloße Kritik der Wirklichkeit im Namen des Entrechteten (Proletariats, Arbeiter, Unterschicht, Prekariat etc.) genauso naiv erscheinen wie die Hoffnung auf kommunikatives Handeln und deliberative Demokratie.