Skip to main content
Oliver Tolmein

"RAF - Das war für uns Befreiung" Ein Gespräch mit Irmgard Möller über bewaffneten Kampf, Knast und die Linke

Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1997; 270 S.; 32,- DM; ISBN 3-89458-149-2
Immer wenn ehemalige Terroristen sich zu Wort melden, keimt die Hoffnung auf, man fände nun eine Möglichkeit zu verstehen, was sie damals zu ihrem Tun bewegte. Doch auch dieses Interview mit der ehemaligen RAF-Terroristin Irmgard Möller zeigt eher die Grenzen des Verstehens auf, als daß ein Brückenschlag gelänge. Mitschuld daran trägt der Interviewer Tolmein, der sich nur selten als kritischer Frager, meist hingegen offenbar als Sekundant begreift. Das wird schon an seiner Darstellung des historischen Hintergrunds deutlich, vor dem der Terrorismus agierte. Dessen wesentliche Rechtfertigungsstrategie, nämlich gegen ein Deutschland anzutreten, das mit seiner Nazi-Vergangenheit nicht gebrochen, sondern seinen Frieden gemacht habe, wird von ihm in keiner Weise in Frage gestellt. Selbst erwiesenermaßen von der Stasi in die Welt gesetzte Legenden wie die, Heinrich Lübke sei ein "KZ-Baumeister" (12) gewesen, werden ein weiteres Mal kritiklos kolportiert. So ist auch viel vom Eingreifen der Amerikaner in Vietnam zu lesen, nichts aber von dem der Russen in Afghanistan, viel von Befreiungskriegen in der Dritten Welt, kein Wort aber über Ungarn-Aufstand, Solidarnosç und 17. Juni. Weil Interviewer und Interviewte ihre selektive Wahrnehmung teilen, bestehen Differenzen meist nur in Fragen der Taktik, kaum aber in Fragen der Moral. Diese gepachtet zu haben, ist aber Grundlage des Terrorismus, und darauf beruht auch die Verwechslung von Terrorismus und Politik. Politisch zu agieren heißt, sich auf das Gegebene einzulassen, mit Gegenkräften und Gegenmeinungen zu ringen und Moral nicht als gegeben, sondern als aufgegeben zu verstehen. Der Terrorismus hat all das nicht nötig. Eine selbsternannte Bewußtseinselite mit geschlossenem Weltbild bombt das Heil herbei, ohne Rücksicht auf die Menschen, ohne Rücksicht auch auf das, was verächtlich nur noch als "bürgerliche Moral" (205) abgekanzelt wird. Die eigene überlegene Moral speist sich aus einer Sicht der Welt, in der sich die Mächte des Bösen verbündet haben und daher nur noch per Verschwörungstheorie dingfest machen lassen. Die im Kern faschistisch gebliebene Bundesrepublik ist "Hegemonialmacht in Europa" (64) und willigster europäischer Handlanger des US-Imperialismus; auch die Sozialdemokratie hatte das Ziel, "die CIA-Politik [...] zur offiziellen Politik dieses Staats" (253) zu machen; um sich seiner Gegner zu entledigen, verfolgt der staatliche Repressionsapparat ihnen gegenüber eine Vernichtungsstrategie, beispielsweise durch "Killfahndung" (146). Mit ähnlichen Verschwörungstheorien, natürlich unter umgekehrten Vorzeichen, hatten die Nazis ihren Kampf gegen die parlamentarische Demokratie begründet. Weil der Kampf dem Apparat gilt, löscht man im terroristischen Akt auch nur noch Funktionsträger aus, keine Menschen (146). Daß man nur "gooks" getötet habe, nicht aber Menschen, damit rechtfertigten amerikanische Soldaten von ihnen begangene Massaker in Vietnam. Woher auch immer diese Blindheit gegenüber der Angleichung an den Gegner stammt, welches auch immer die Gründe dafür sind, weder Weltdeutung noch eigenen Gnadenstand jemals kritisch zu prüfen - der Weg eines solchen Denkens ist der Zirkel. Man verübt Attentate auf Einrichtungen und Menschen; der Staat wehrt sich, manchmal aus der Not heraus, vielleicht auch mit ungeeigneten Mitteln; man ist empört, daß der Staat sich wehrt und verweist entsetzt auf die faschistische Fratze, die er nun offenbare. Zugleich aber schöpft man weit über die Grenze des Mißbrauchs hinaus alle rechtsstaatlichen Mittel aus, die man andererseits terroristisch bekämpft. Die Rede von den "unmenschlichen Haftbedingungen" (vgl. 29, 104) erscheint grotesk, nachdem zunehmend bekannt wird, daß die Terroristen für sich Privilegien erpreßten, wie sie keinem anderen Kriminellen zuteil wurden: Umschluß, Ausstattung mit allen verfügbaren Medien, Zusammenlegung u. a. mehr. Genau diese Doppelstrategie, nämlich zu benutzen, was man bekämpft, machte den Staat so hilflos; gedacht sind seine Regeln für diejenigen, die die Verbindlichkeit dieser Regeln für sich selbst akzeptieren oder im Regelverstoß eine Anerkenntnis der Regeln wenigstens noch erkennen lassen, nicht aber für diejenigen, die als Systemoppositionelle dann systemimmanent agieren, wenn es ihnen nützt. Bricht der Staat aufgrund seiner dadurch entstehenden Hilflosigkeit selber Regeln, hat man ihn da, wo er sich angeblich von Anfang an schon befand. Nur - man hat selbst herbeigeführt, wogegen anzukämpfen das eigene Vorgehen immer schon legitimieren sollte. Der Einblick in diese Zirkularität des Denkens ist es, was das Interview mit Irmgard Möller immerhin ermöglicht. Über den Menschen hinter der kalten, funktionalen Sprache der Ideologin erfährt man so gut wie nichts, sei es, daß er absichtlich verborgen wird, sei es, daß es ihn gar nicht gibt. "Was hätten wir auch miteinander reden sollen?" (185) fragt Möller angesichts ihrer Ablehnung eines Gesprächs, das die Brüder des ermordeten Gerold von Braunmühl den Terroristen angeboten hatten. Wohl um vor sich selbst standhalten zu können, beharrt Möller auf ihrer Lebenslüge, die Gefangenen in Stammheim seien ermordet worden. Wie ein Hohn klingt da der Titel des Buches: "RAF - das war für uns Befreiung". Ganz im Gegenteil bekommt man hier den Weg in die freiwillige Knechtschaft vorgeführt - die Selbstverknechtung durch eine hermetische Ideologie, durch ein Gefängnis im Kopf, das schlimmer sein muß als alle Gefängnisse, in denen Möllers Körper je gesteckt hat.
Barbara Zehnpfennnig (BZ)
Prof. Dr., Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 2.37 | 2.313 Empfohlene Zitierweise: Barbara Zehnpfennnig, Rezension zu: Oliver Tolmein: "RAF - Das war für uns Befreiung" Hamburg: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/2407-raf---das-war-fuer-uns-befreiung_3096, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 3096 Rezension drucken