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Richard Saage

Utopisches Denken im historischen Prozess. Materialien zur Utopieforschung

Berlin: Lit 2006 (Politica et Ars 9); 291 S.; brosch., 29,90 €; ISBN 978-3-8258-9555-6
Ausgangspunkt dieser Aufsätze ist der 1516 publizierte Roman „Utopia“ von Thomas Morus. Dieser habe damit ein neues literarisches Genre erschaffen und eine neuzeitliche Denktradition in Leben gerufen, „die eine genuine Alternative sowohl zum kontraktualistischen Paradigma des subjektiven Naturrechts (Hobbes, Locke etc.) als auch zum machtstaatlichen Diskurs (Bodin, Machiavelli, Carl Schmitt) darstellt“ (7), schreibt Saage – wobei nicht sicher sei, ob Morus sich mit dem von ihm entworfenen, einer mittelalterlichen Klostergemeinschaft nachempfundenen Staat identifiziert habe. Abzulehnen sei allerdings auch die Interpretation, Morus habe mittels der Ironie das „Furchtbild einer möglichen Gesellschaft“ (13) erdacht. Saage distanziert sich aber sowieso von dem Ansinnen, eine utopische Gegengesellschaft als Antwort auf heutige Problemlagen zu konstruieren. Ihn interessiert die Utopie als ein „analytisches Muster“ (65). Deutlich wird dies in den Beiträgen in dem Kapitel über „Utopie und Politik“, etwa über die „Utopie und Staatsästhetik“ in der frühen Sowjetunion, über die Frage, ob Hitler ein Utopist war und über das politische Selbstverständnis der deutschen Sozialdemokratie. Voran gehen Aufsätze, die einen breitgefächerten Zugang zum Thema bieten. Saage schreibt über die Biografie Morus’, über das Werk selbst und seine Rezeptionsgeschichte bei Konservativen wie Gerhard Ritter und Hermann Oncken, die eine Rechtfertigung für Machtpolitik herauslasen, oder bei Linken wie Karl Kautsky, der sich für diese Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft interessierte. Ferner zeichnet Saage das Zusammenspiel von Utopie und Aufklärung nach sowie die Kontroverse über den Begriff selbst. In seinem Plädoyer für einen klassischen Utopie-Begriff verweist er auf die Verankerung des utopischen Diskurses in seiner jeweiligen Zeit, auch in den Ereignissen des 20. Jahrhunderts – gespiegelt in den Romanen von Samjatin, Orwell und Huxley. Deren strukturelle Anbindung an die Zeitgeschichte unterscheide ihre Gesellschaftsentwürfe von Wolkenkuckucksheimen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 5.35.335.325.22.3312.3122.622.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Richard Saage: Utopisches Denken im historischen Prozess. Berlin: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14354-utopisches-denken-im-historischen-prozess_31775, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 31775 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken