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Marcus Höreth

Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2014 (Brennpunkt Politik); 128 S.; kart., 19,90 €; ISBN 978-3-17-021895-6
Im Mittelpunkt dieser Einführung steht das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder hat Marcus Höreth nicht einbezogen. Der insofern leicht missverständliche Titel rechtfertigt sich aber dadurch, dass historische und auch Bezüge zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) hergestellt werden. Vier zentrale Fragestellungen bestimmen die Gliederung des Buchs: Wie wurde das Gericht so mächtig (Stichworte: Statusstreit; Lüth‑Urteil)? Wie ist es im Gefüge der Justiz organisiert (Klage‑ und Richterwahlverfahren)? Welche Funktionen übt es aus (Vetospieler; Bedeutung der Sondervoten)? Welche Spannungsfelder erwachsen aus seiner Macht im europäisch integrierten Regierungssystem (Justizialisierung der Politik/Politisierung der Justiz; Verhältnis zum EuGH)? Höreth, der bereits vergleichend zum EuGH und Supreme Court gearbeitet hat („Die Selbstautorisierung des Agenten“, siehe Buch‑Nr. 34797), sieht das Bundesverfassungsgericht zu Recht als das „vielleicht mächtigste Verfassungsgericht der Welt“ (118) an, weil es über das österreichische und US‑Modell hinaus als eigener Typ zugleich Verfassungsgericht und Superrevisionsinstanz mit flächendeckender Allzuständigkeit sei – und das in einem Land, in dem dem Recht bei politischen Konflikten eine besondere Bedeutung zufalle. Das werfe mit Blick auf den parlamentarischen Gesetzgeber Legitimationsfragen auf, sodass „die derzeitige Richterbestellung […] zu einem demokratietheoretischen Problem“ werde. „Politische Wertungen fließen immer in die Rechtserzeugung ein“ (118); Karlsruhe mache daher Politik und gehöre in das „Zentrum der Fragestellungen der Politikwissenschaft“ (8). – Sehr richtig, aber genau zu diesen Wertungen hätte man sich über den machtanalytischen Zugang hinaus gerade in einer politikwissenschaftlichen Einführung je ein weiteres Kapitel gewünscht: zu den Richterinnen und Richtern als rechtspolitisch agierende Persönlichkeiten und zur Bedeutung staatstheoretischer Vorverständnisse, um anhand zentraler Entscheidungen zumindest exemplarisch und dabei ausführlicher zu erfahren, welche ideengeschichtlichen Rezeptionen, (wissenschaftliche) Sozialisationen und politische Theorien es denn sind, die die Staats‑ und Rechtsverständnisse des Gerichts und seiner Richterinnen und Richter dominieren – und mit denen es via Deutung der Verfassung maßgeblich Politik macht. Zu fragen wäre etwa nach den Einflüssen des Gesellschaftsbilds sowie der Richterinnen und Richter auf die Rechtsprechung zur Gleichheit, der Integrations‑ und Wertordnungslehre auf Grundrechte, Föderalismus und Bundespräsident, der Parteienstaatslehre des Smend‑Schülers Leibholz auf Verbote und Finanzierung oder der Demokratietheorie des Schmitt‑Schülers Böckenförde auf die Bereiche Parlamentarismus und Europa.
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 2.3233.3 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Marcus Höreth: Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland Stuttgart: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37535-verfassungsgerichtsbarkeit-in-der-bundesrepublik-deutschland_43389, veröffentlicht am 18.09.2014. Buch-Nr.: 43389 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken