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Stephan Scholz

Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2015; 440 S.; 49,90 €; ISBN 978-3-506-77264-0
Geschichtswiss. Habilitationsschrift Oldenburg; Begutachtung: D. von Reeken, H. H. Hahn, R. Traba. – Der schlichte Titel lässt es nicht auf Anhieb vermuten, aber Stephan Scholz schafft mit seiner akribischen Erörterung von Anzahl, Formen, Verortungen im Raum und Inschriften von „Vertriebenendenkmälern“ eine fundierte Grundlage für wichtige Diskussionen der Gegenwart – etwa darüber, ob die Vertriebenenverbände die (hier mit Beispielen belegte) Flanke zum Rechtsextremismus offenhalten wollen, oder im Gegensatz dazu darüber, ob die „Erinnerung an die Zwangsmigration der Deutschen […] zu einer Sensibilisierung für Flüchtlingsfragen der Gegenwart beitragen und zukünftig als ein historischer Referenzpunkt für eine liberale Flüchtlingspolitik dienen“ (370) könnte. An dieser Wegscheide stehen die Organisationen, die seit 1945 (und seit 1990 in den neuen Bundesländern) die Vertreibung der Deutschen in Politik umzusetzen versuchen, auch mithilfe von Steinen und Kreuzen. „Memorialisierung im Denkmal diente immer schon auch der politischen Mobilisierung der Zeitgenossen“ (190) – und zwar im Falle der Vertriebenendenkmäler bis 1990 für eine Revision der deutschen Grenzen von 1945 (oder früher) sowie für eine „selbstbezogene Erinnerungskultur“ (364), mit der der Kontext der NS‑Gewaltherrschaft als Ursache der Vertreibung wie auch der Holocaust lange ausgeblendet blieben. Dabei widerspricht Scholz der Behauptung, die Vertriebenen seien in der westdeutschen Gesellschaft praktisch ignoriert worden – die stetig weiter steigende Zahl an Denkmälern, die in Anwesenheit von (Kommunal‑)Politikern eingeweiht wurden, spricht seiner Ansicht nach dagegen. Zugleich zeigt er aber auch auf, dass die Heimatideologie der Vertriebenen(funktionäre), die an Diskurse der Zwischenkriegszeit anknüpften oder auch dem Münchner Abkommen weitere Gültigkeit zusprachen, in der sich modernisierenden Gesellschaft desintegrierend wirkte und „sie immer mehr in eine gesellschaftliche Randstellung“ (175) führte. Besonders hervorzuheben sind Scholz‘ Überlegungen zum Vorwurf, die Deutschen seien unfähig zu trauern (der sich ursprünglich auf Hitler bezogen hat) – er geht nicht davon aus, dass eine Gesellschaft den an sich individuellen Trauerprozess überhaupt vollziehen kann (und grenzt sich damit von Andreas Kossert ab, siehe Buch‑Nr. 34617); aber eben dieser Vorwurf und das Beharren der Vertriebenenverbände auf der „vermeintlichen Vorläufigkeit des Verlustes“ (136) seien hinderlich bei der allgemeinen Beschäftigung mit dieser Geschichte. Nichts weniger als eine Historisierung also öffnet den Blick und schützt vor politischer Instrumentalisierung.
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Rubrizierung: 2.352.3312.3132.315 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Stephan Scholz: Vertriebenendenkmäler. Paderborn u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38838-vertriebenendenkmaeler_46434, veröffentlicht am 10.09.2015. Buch-Nr.: 46434 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken