
Vom Milieu zum Parteienstaat. Lebenswelten, Leitfiguren und Politik im historischen Wandel
Nahezu verschwunden seien die „gerade im klassischen Sozialismus so zahlreichen, gewiss oft exzentrischen, aber doch immer farbigen Intellektuellen“ (119). Dabei will es Walter nicht bewenden lassen, sondern beginnt seinen Band gleich mit zahlreichen Porträts von ihnen. Und um ihre Leistungen richtig ermessen zu können, liefert er gleich noch Texte zur Geschichte des Sozialismus in Deutschland nach, die ein breites Panorama überspannen: Von der Freikörperkultur in der frühen Arbeiterbewegung über die Gefahr ihres Verschwindens zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus bis hin zum „Third Way“ am Ende des letzten Jahrhunderts widmet Walter die erste Hälfte seines Buches dem Schwerpunkt seiner Forschungen der letzten Jahre. Mit der Geburt der „neuen Mitte“ aus dem Geiste des „Third Way“ schlägt er die konsequente Brücke in den zweiten Teil des Bandes, in dem er sich der katholischen Parallelgesellschaft, dem deutschen Bürgertum und schließlich dem migrantischen Prekariat widmet. Wie schon bei seinem Blick auf den Sozialismus sind es wiederum die Menschen, die Walter interessieren, und ihre Überzeugungen und Ideen, deren Eigenleben er auch dann weiter verfolgt, wenn sie sich längst von den Personen emanzipiert haben, durch die sie in die Welt kamen. Der Band des Göttinger Parteienforschers enthält vielfältige, leicht lesbare Beiträge verschiedener Herkunft. Sie oszillieren allenthalben zwischen historischen Porträts, Kommentaren zur Tagespolitik, geschichtlichen Miszellen und feuilletonistischen Zeitdiagnosen. Obwohl die Texte einer inhaltlich-formalen Vereinheitlichung unterzogen wurden, ist ihnen der heterogene Ursprung deutlich anzumerken. Umso bedauerlicher ist es, dass dem Buch keine Quellenangaben über ihre (teilweisen) Erstveröffentlichungen beigegeben wurden, denn die durchgehende Zählung seiner Fußnoten macht aus einem Sammelband noch keine Monografie. Dennoch: Interessant und gut geschrieben versorgt das Buch den intellektuell flanierenden Zeitgenossen mit leicht konsumierbarem Lesefutter. Aufwendig abgesicherte Argumentationen wird man dabei allerdings nicht finden.