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Johannes Clessienne

Warum Bildungspolitik? Zur Begründung der Staatstätigkeit in Erziehung und Bildung im modernen Verfassungsstaat

Würzburg: Königshausen & Neumann 2012; 272 S.; brosch., 36,- €; ISBN 978-3-8260-4929-3
Diss. Köln; Begutachtung: W. Leidhold, Th. Jäger. – Den Ausgangspunkt der Dissertation bildet die Feststellung, dass die Schulpflicht neben der Wehrpflicht und der Kriminalstrafe „eine der intensivsten Formen der Einwirkung des Staates in das Leben seiner Bürger darstellt“ (9). Johannes Clessienne geht es deshalb um die Gründe, die ausgewählte Theoretiker „zur Rechtfertigung von Erziehung und Bildung als eine Aufgabe des modernen Verfassungsstaates“ (12) liefern. Sein Hauptaugenmerk gilt den bildungspolitischen Konzepten der Französischen Revolution nach Nicolas de Condorcet und Michel Lepeletier, der angelsächsischen „Education“‑Tradition nach John Stuart Mill und John Dewey sowie der „Erziehung zum staatstragenden Individuum“ (187) bei Eduard Spranger und Dahrendorfs Konzept aktiver Bildungspolitik als Ausfluss eines grundlegenden Bürgerrechtsverständnisses von Bildung. Die jeweilige Argumentation in ausgewählten Grundsatztexten wird hinsichtlich ihrer „Plausibilität“ und „Kohärenz“ sowie „ihrer logischen Qualität“ (20) geprüft. Dabei geht es nicht um die Frage der konkreten Beschaffenheit und Ausgestaltung einzelner bildungspolitischer Maßnahmen des Staates. Vielmehr interessiert Clessienne die viel generellere Frage, ob und wie Staatstätigkeit in diesem Politikfeld überhaupt „gewählt werden soll“ (21). Die Auswahl der doch sehr heterogenen Überlegungen wird mit einem kulturübergreifenden Ansatz gerechtfertigt, wonach unterschiedliche Diskurstraditionen wichtige Ideen zur „abendländischen Moderne“ (22) lieferten. So verwundert es allerdings kaum, wenn Clessienne schließlich feststellt, dass sich die untersuchten Plädoyers für eine bildungspolitische Staatstätigkeit deutlich voneinander unterscheiden. Der Autor spannt dennoch ein Kontinuum zwischen „Erziehung als Disziplinierung“ und „Bildung zur Selbsttätigkeit“ (247) auf. Lepeletiers „Plan d’éducation nationale“ (91), der auf einem strengen, staatlich regulierten und finanzierten System der Internatsausbildung im Interesse nationaler Prosperität beruht, ordnet er dabei dem ersten Pol zu. Als Gegenpol definiert er Mills liberale Bildungsvorstellung, an die im 20. Jahrhundert vor allem Dahrendorf mit seinem Ansatz anknüpft, ohne nicht auch die disziplinierenden Momente staatlicher Bildungspolitik hervorzuheben. Am Ende kommt Clessienne zu dem Schluss, dass „ein hohes Maß an Unabhängigkeit gegenüber den politischen Gewalten […] für die öffentlichen Bildungseinrichtungen eine unbedingte Voraussetzung dafür [ist], dass sie zu der Bildung von selbsttätigen Bürgern, für die sie unterhalten werden, beitragen können“ (258).
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 5.1 | 5.33 | 5.42 | 2.311 | 2.263 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Johannes Clessienne: Warum Bildungspolitik? Würzburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36026-warum-bildungspolitik_43261, veröffentlicht am 01.08.2013. Buch-Nr.: 43261 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken