Skip to main content
Amitav Ghosh

Zeiten des Glücks im Unglück. Indische Augenblicke. Mit einem Vorwort von Ilija Trojanow

München: Karl Blessing Verlag 2006; 346 S.; geb., 19,95 €; ISBN 978-3-89667-314-5
In seinen Essays verknüpft der indische Romancier Ghosh Reiseschilderungen und Autobiografisches erhellend mit politischen, kulturellen und historischen Kontexten. Er geht immer von einem Menschen aus, der nie Bestandteil einer anonymen Bevölkerung ist, sondern stellvertretend mit seiner eigenen meist kleinen Welt das große Ganze abbildet. So steht in „Die Stadt am Meer“ ein Mann im Mittelpunkt, der mit dem Tsunam 2004 seine Frau und ein Kind verlor. Ghosh beschreibt nicht nur die Suche des Mannes nach seinen Familienangehörigen, sondern erklärt auch gleich, warum die Katastrophenhilfe auf den Inseln der Andamanen und Nikobaren schlecht funktionierte: Als „Bundesterritorien“ würden die Inseln von Indien wie Kolonien behandelt; es fehle an demokratischen Strukturen und Öffentlichkeit. Die Inselbewohner würden nicht von gewählten Repräsentanten in Neu-Delhi vertreten, in der Konsequenz fühle sich ihnen niemand verpflichtet. Zu den weiteren Themen der zum größten Teil erstmals auf deutsch erscheinenden Essays gehörten der fast vergessene indische Unabhängigkeitskampf während des Zweiten Weltkriegs an der Seite der Japaner, die gewalttätigen Ausschreitungen nach der Ermordung Indira Gandhis und der Guerilla-Kampf in Birma. Eines der besten Stücke des Bandes ist die Beschreibung der Schwierigkeiten der Kambodschaner, ihr Leben und die Geschicke ihres Landes wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Allerdings sei es den Roten Khmer gelungen, schreibt Ghosh, „sich die Anwesenheit der UN zu Nutze zu machen, um ihre eigene militärische Position zu stärken, während sie gleichzeitig den Friedensprozess sabotieren.“ (317) Er verknüpft seine Beobachtungen und Gespräche mit dem Aufbruch in die Zukunft, den König Sisowath 1906 für sein Land plante, nachdem er in Begleitung von fast hundert klassischen Tänzerinnen Frankreich besucht hatte. Ghosh zitiert Rilke, dem sich in der Begegnung mit dem kambodschanischen Tanz bereits etwas offenbart habe: „Kambodschas bedeutenden Anteil an Kultur und Politik der Moderne, in all ihrer Verheißung und all ihrem Schrecken.“ (315)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.68 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Amitav Ghosh: Zeiten des Glücks im Unglück. München: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/26780-zeiten-des-gluecks-im-unglueck_31241, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 31241 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken