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Heinrich August Winkler

Zerreißproben. Deutschland, Europa und der Westen. Interventionen 1990 bis 2015

München: C. H. Beck 2015; 230 S.; brosch., 14,95 €; ISBN 978-3-406-68424-1
Mit seinen versammelten 29 „Interventionen“ präsentiert sich Heinrich August Winkler mehr als nur ein beiläufig politisch interessierter Historiker, der Gelegenheit erhält, sich auf unterschiedlichen Plattformen zu ausgewählten Themen der Zeitgeschichte zu äußern. Offensichtlich haben die verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Focus und andere) auch nicht dem Fachhistoriker Winkler die Kommentar‑ und Feuilletonspalten angeboten, sondern dem historisch reflektierten Interpreten wichtiger Fragen mit hoher politischer Relevanz. Die Bandbreite von Winklers Einlassungen reicht von Überlegungen zum Selbstverständnis eines gerade wiedervereinigten Deutschlands bis hin zur Diskussion der Ukrainekrise, von den europäischen Perspektiven auf den rechten und linken Populismus bis hin zu den außenpolitischen Betrachtungen, etwa wo Europa im internationalen Koordinatensystem stehen sollte, oder wie die Neokonservativen unter der Bush‑Administration die Werte des Westens attackierten. Mal mahnend, mal ironisch entwickelt Winkler seine Perspektiven, die er – und da ist er tatsächlich einer der Ausnahmevertreter der deutschsprachigen Historikerzunft – unangestrengt, gewandt und glaubwürdig argumentierend für ein breiteres Publikum aufbereiten kann. Winkler scheut nicht die eindeutigen Positionen: So trat er im Jahre 2002 für eine „privilegierte Partnerschaft mit der Türkei“ (130) ein, lehnte aber eine EU‑Mitgliedschaft ab, die die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder jedoch nicht ausschließen wollte: „Eine EU‑Mitgliedschaft der Türkei würde beide Seiten, die Europäische Union und die Türkei, politisch und emotional überfordern.“ (133) Die „Neigung zum weltpolitischen Abseitsstehen und zum Gesinnungspazifismus" (163) konnten für Winkler nicht die deutsche Ablehnung des Irakkrieges begründen, aber sehr wohl die „rule of law“ (168), die die USA seiner Meinung nach verletzten. Eine solche Argumentation sieht sich keiner politischen Hauptströmung verpflichtet, sondern dem stringenten, analytischen Zu‑Ende‑Denken. Die Anlässe, zu denen Winkler seine Interventionen präsentierte, sind vielleicht für die Mehrheit der Zeitgenossen schon „Geschichte“, dagegen haben seine Antworten ihre Gültigkeit keineswegs verloren.
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Rubrizierung: 1.32.32.3312.353.12.224.224.34.41 Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Heinrich August Winkler: Zerreißproben. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39742-zerreissproben_47726, veröffentlicht am 09.06.2016. Buch-Nr.: 47726 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken