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Colin Crouch

Die bezifferte Welt. Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht. Postdemokratie III. Aus dem Englischen von Frank Jakubzik

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015; 250 S.; 21,95 €; ISBN 978-3-518-42505-3
Nicht der Algorithmus, sondern die Ziffer gefährdet die menschliche Ambivalenz und somit die Entscheidungsfreiheit. Wirtschaftliche Kennziffern bedrohen das in anderen Gesellschaftsbereichen gewonnene Wissen, indem sie dieses verdrängen und die Menschen sich in ihren Handlungen allein an jenen ausrichten. Aber der durch die Mechanismen von Angebot und Nachfrage sich bildende Preis auf dem Markt ist als alleiniger Indikator für alle nötigen Handlungsinformationen in einer komplexen Welt keineswegs ausreichend. So könnte man die zentrale These des Buches zusammenfassen, wenn es Colin Crouch nicht allzu oft unterlassen würde, das Problem der Bezifferung der Welt tiefgehender zu analysieren; stattdessen arbeitet er sich an zwar plausiblen, aber theoretisch nicht weiterführenden Beispielen ab. Zunächst scheinen seine Analysen wenig bestreitbar: 1. Der Umbau des öffentlichen Dienstes nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten beschneidet das Wissen und die Kompetenzen des fachlich geschulten Personals. 2. Der Markt als Produzent von Wissen tendiert dazu, andere Formen der Erkenntnisgewinnung zu überlagern. 3. Der Neoliberalismus honoriert im Gegensatz zur klassischen marktwirtschaftlichen Theorie unmoralisches Verhalten, wodurch Wissen verzerrt und verfälscht wird. 4. Er neigt überdies zur Monopolisierung und schränkt hierdurch den Zugang zum Wissen ein. 5. Der Neoliberalismus verwandelt uns in amoralische Rechenmaschinen und ist diesbezüglich tendenziell totalitär. Insbesondere der letzte Punkt verdeutlicht die Schwäche des Buches. Anstatt sich zu fragen, wie und warum das ökonomische Wissen ein derartiges Monopol in der Öffentlichkeit erringen konnte, um sodann den Menschen selbst zu disziplinieren und zuzurichten, verbleibt Crouch im Modus des moralischen Wehklagens. Zur Erklärung aber hätte es insbesondere einer Lektüre Michel Foucaults und dessen Analyse von Wissensformationen und Machtbeziehungen bedurft. Seine Lösungsvorschläge verhallen dementsprechend als Appell an verloren gegangene Tugenden.
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Rubrizierung: 2.22.22 Empfohlene Zitierweise: Patrick Stellbrink, Rezension zu: Colin Crouch: Die bezifferte Welt. Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39113-die-bezifferte-welt_47757, veröffentlicht am 19.11.2015. Buch-Nr.: 47757 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken