Geschichtswiss. Diss. – Warum hat sich die Türkei nach 1945 eindeutig dem Westen zugewandt und Interesse an Organisationen bekundet, „welche in gewissem Umfang gar die nationalen Souveränitätsrechte berühren?“ (15) Zur Beantwortung dieser Frage blickt Sümeyra Kaya auf die 1950er‑Jahre, in denen in der Türkei eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Philosophie des Staatsgründers Kemal Atatürk stattfand und von vielen Intellektuellen die Notwendigkeit einer Europäisierung der Türkei gesehen wurde. Das große Interesse an Europa und die Vielzahl sowie Heterogenität der Schriften in dieser Zeit wertet die Autorin als „Demokratieorientierung“. „Die Auseinandersetzung mit der Europaidee [...] macht die Türkei [...] (ideell betrachtet) europäisch“ (263) und sie bildete, so Kaya, auch die Grundlage für den türkischen Antrag auf Mitgliedschaft in der EWG im Jahr 1959. Die 1950er‑Jahre hält sie für entscheidend im Hinblick auf die türkische Positionierung zu Europa, weil sich in dieser Zeit eine „authentische Auseinandersetzung mit den Staatsprinzipien und der türkischen Identität im Hinblick auf das europäische Vorbild ablesen“ (314) lässt. Die Tatsache, dass es damals nicht zur EWG‑Mitgliedschaft kam, führt Kaya auf die internen Unstimmigkeiten zwischen Kommission und Ministerrat zurück. Doch aufgrund der geopolitischen Lage des Landes, die Ankara immer wieder als Trumpf ins Spiel gebracht hat, setzte Brüssel alles daran, die Türkei an sich zu binden – so erklärt sich der Abschluss des Assoziationsabkommens 1963. Die Gezi‑Park‑Proteste des Jahres 2013 zeugen nach Meinung der Autorin von „der Suche der Türken nach ihrem Selbstbild, das sich kontinuierlich an einem europäischen Ideal und seiner östlichen Herkunft reibt und bislang nur durch einen [...] künstlichen Nationalcharakter (Kemalismus) definiert worden war“ (329). Sie sieht in den Demonstrationen einen Indikator dafür, dass sich die türkische Bevölkerung unbewusst auf dem Weg zu einer nationalen Identität befindet und damit zumindest ideell näher an Europa heranrückt.