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Uwe Jun, Oskar Niedermayer: Die Parteien nach der Bundestagswahl 2021. Neueste Entwicklungen des Parteienwettbewerbs in Deutschland

11.12.2023
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Autorenprofil
Dr. Michael Kolkmann
Heidelberg, Springer 2023

Die politikwissenschaftliche Aufarbeitung der Bundestagswahl 2021 wird durch ein weiteres Standardwerk ergänzt. Oskar Niedermayer und Uwe Jun präsentieren in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband eine systematische Bestandsaufnahme der parteipolitischen Entwicklungen seit der Bundestagswahl. Neben Kapiteln zu allen relevanten Parteien werden auch die Grundlagen und die programmatische Seite des Parteienwettbewerbs behandelt. Michael Kolkmann lobt, das Buch als eine „wahre Fundgrube“ für Parteienforscher*innen, die „auf absehbare Zeit nicht übertroffen werden dürfte“. (dk)


Eine Rezension von Michael Kolkmann

Seit der Bundestagswahl im September 2021 sind inzwischen mehr als zwei Jahre vergangen. Mit den Bänden von Karl-Rudolf Korte („Die Bundestagswahl 2021“), von Martin Fuchs und Martin Motzkau („Digitale Wahlkämpfe. Politische Kommunikation im Bundestagswahlkampf 2021“) sowie von Knut Bergmann („‘Mehr Fortschritt wagen‘? Parteien, Personen, Milieus und Modernisierung. Regieren in Zeiten der Ampelkoalition“) sind jüngst mehrere zentrale Publikationen zu Wahl und Wahlkampf 2021 sowie der anschließenden Bildung der Ampel-Koalition erschienen. Zu Standardwerken haben sich mittlerweile auch die alle vier Jahre erscheinenden Bände zum Stand einzelner Parteien und des Parteiensystems der Bundesrepublik entwickelt, die seit der Bundestagswahl von 1998 vom Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer herausgegeben werden. Mit dem Trierer Kollegen Uwe Jun hat er seit der Wahl von 2017 einen Co-Herausgeber an seiner Seite. Kürzlich ist die jüngste Ausgabe dieser Reihe erschienen, die schwerpunktmäßig die Entwicklungen des Wahljahres 2021 sowie der Zeit danach in den Blick nimmt.

In einem umfangreichen Überblickskapitel („Die Verfestigung des pluralistischen Parteiensystems“) thematisiert Niedermayer zu Beginn des Bandes die Grundlagen des deutschen Parteiensystems. So stellt er die üblichen Kriterien zur Analyse beziehungsweise zur Unterscheidung von Parteiensystemen wie Format, Fragmentierung, Polarisierung oder Segmentierung vor. Danach unterscheidet er verschiedene Modelle von Parteiensystemen und verortet das bundesdeutsche Parteiensystem der vergangenen Jahre innerhalb dieser unterschiedlichen Typen. Anschließend geht er auf aktuelle Aspekte des Parteiensystems in der Bundesrepublik ein. Anhand der Wahlergebnisse seit 2013 beleuchtet er den Wandel von einem pluralistischen Parteiensystem hin zu einem System mit Zwei-Parteien-Dominanz – und wieder zurück, denn für die aktuelle Situation diagnostiziert Niedermayer für die Bundesrepublik wieder ein pluralistisches System. Ein Schwerpunkt des Beitrages liegt in der Kartierung der Konsequenzen der Covid-19-Pandemie für das Parteiensystem im Zeichen der „Stunde der Exekutive“ (13). Vergleichsweise knapp fällt der Abschnitt über die parteipolitischen Folgen des zweiten hier behandelten externen Schocks, des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, aus. Offenbar wurde der Beitrag wenige Monate nach Beginn des Krieges, also vor inzwischen mehr als einem Jahr abgeschlossen, was bei wissenschaftlichen Sammelbänden nicht ungewöhnlich ist.

Marius Minas, Simon Jakobs und Uwe Jun wenden sich anschließend der programmatischen Seite des Parteienwettbewerbs zu und analysieren die Wahlprogramme und den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung von 2021. Sie konstatieren eingangs: „Wahlprogramme bilden stets verschriftlichte Aushandlungsprozesse innerparteilicher Diskussionen und Debatten, Faktions- und Flügelkämpfe. Sie nur als Minimalkonsens oder primär als Kompromisse zu verstehen, wäre jedoch nichtzutreffend – im Gegensatz zu Koalitionsvereinbarungen“ (41). Wahlprogramme könnten zudem als „Orientierungshilfen nach innen wie nach außen betrachtet werden, die sowohl Wähler:innen und potenziellen Koalitionspartner:innen als auch Parteimitgliedern anzeigen, wo eine Partei inhaltlich steht und welche politischen Entwicklungen sie für die nächsten Jahre anstrebt“ (42). Methodisch knüpft der Beitrag an frühere Untersuchungen aus den Jahren 2015 und 2018 an. Ausführlich wird zunächst der aktuelle Forschungsstand zum Thema referiert, aber auch die Ausgangslage für die einzelnen Parteien vor der 2021er Wahl skizziert. Dabei werden auch die für einzelne Parteien zentralen Politikfelder berücksichtigt. Für ihre konkrete Analyse differenzieren die Autoren insgesamt sechszehn Bereiche, die klassische Felder wie die Innen-, Gesundheits- oder Außenpolitik, aber auch Kategorien wie das jeweilige „Demokratieverständnis“ sowie die „Abgrenzung von anderen Parteien“ umfassen. Die umfangreichen Befunde der Untersuchung werden in anschaulicher Weise anhand von Tabellen und Abbildungen visuell nachvollziehbar dargestellt. Der Beitrag ähnelt einer tour d’horizon durch bundesdeutsche Programmlandschaften, deren einzelne Bestandteile akribisch zusammengetragen werden.

Deutlich knapper ist der anschließende Abschnitt ausgefallen, in dem es darum geht, welche inhaltlichen Vorstellungen der Parteien in den Koalitionsvertrag der Ampel Eingang gefunden haben. Anschließend wird der Parteienwettbewerb innerhalb der bekannten Koordinatensysteme (progressiv-traditionell und Sozialstaatsinterventionismus-freie Marktwirtschaft) verortet. Dabei zeige sich - anders als anderweitige Studien zum Thema behaupten - eine deutlich identifizierbare und zugenommene Polarisierung (vgl. 72). Die Analyse des Koalitionsvertrages zeige, dass dieser in inhaltlich-programmatischer Hinsicht eher den Vorstellungen von SPD und Grünen und weniger denen der FDP entspreche, auch wenn die mediale Berichterstattung nach der Bekanntmachung des Vertrages anderes habe vermuten lassen. Womöglich erklärt dieses Ergebnis auch die seitdem immer wieder sichtbar gewordenen Konfliktlinien innerhalb der Ampel. Die Autoren schränken jedoch ein, dass sich die beiden erstgenannten Parteien inhaltlich ohnehin recht nahe stünden und dass diese Nähe von SPD und Grünen deutlichen Einfluss auf den entsprechenden Mittelwert habe, da sie letztlich zwei der drei Koalitionäre stellten (vgl. 73).

Im Hauptteil des Bandes steht die Analyse der einzelnen Parteien im Fokus. Zunächst stellt Uwe Jun die SPD in den Mittelpunkt des Interesses und fragt im Titel, ob ihr „Überraschungserfolg […] mehr als ein Strohfeuer“ (77) sei. Dabei thematisiert er, „wie sich die SPD im Sommer 2021 aus einer langjährigen elektoralen Krisensituation“ (ebd.) befreit habe und knapp zur stärksten Partei wurde. Dabei wird auch das seiner Auffassung nach „völlige Versagen der Union bei der Gestaltung des Übergangs zur Post-Merkel-Ära“ (Richard Stöss) in den Blick genommen, das der SPD unbestritten „wahlentscheidend in die Karten“ (ebd.) gespielt habe. Weitere Faktoren des Wahlerfolgs seien „Unzulänglichkeiten“ (78) bei den Grünen und insbesondere ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sowie ein professionell geführter Wahlkampf, eine starke Fokussierung auf den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz („Scholz packt das an“) mit „Vizekanzlerbonus“ (83) und das geschlossene Auftreten auf Seiten der SPD im Wahlkampf gewesen. Die basisdemokratisch herbeigeführte Entscheidung über den Parteivorsitz findet ebenso Berücksichtigung wie die Mitgliederentwicklung der Partei sowie entsprechende Parteireformen der vergangenen Jahre.

Ergänzt wird der Beitrag durch einen Blick auf die Rolle der SPD in den Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen sowie auf den Start der Ampel-Koalition. Jun konstatiert, dass die SPD ihren Führungsanspruch aufgrund der Forderungen der beiden anderen Koalitionspartner „nur begrenzt“ (90) durchsetzen könne und im politischen Alltag eher auf eine Moderatorenrolle beschränkt sei, befördert durch die inhaltliche Positionierung der SPD in der ideologischen Mitte der Koalition sowie durch den Führungsstil ihres Bundeskanzlers Olaf Scholz – eine Rolle, die in außen- und verteidigungspolitischer Hinsicht im Zeichen des Ukrainekriegs noch weiter betont worden sei. Abschließend verortet Jun die SPD innerhalb des Parteienwettbewerbs, blickt auf zentrale Meilensteine der Parteigeschichte während der vergangenen zwei Jahrzehnte zurück und identifiziert das Wähler*innenpotenzial der Partei auf Basis möglicher unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzungen.

Torsten Oppelland interpretiert anschließend die Niederlage der CDU bei der Bundestagswahl 2021 als die Folge einer ungelösten Führungskrise. Er beginnt seine Ausführungen mit dem Wahlabend, als die Partei „kollektiv in einen Abgrund“ blickte (101): Nicht nur habe die CDU bei dieser Wahl 7,9 Prozentpunkte verloren und statt zuvor 185 nur noch 98 Direktmandate gewonnen, zugleich musste sie das schlechteste Bundestagswahlergebnis der Nachkriegszeit und den Verlust der Regierungsmacht hinnehmen. In seinem Beitrag fokussiert Oppelland abseits der veränderten Rahmenbedingungen für die ehemaligen Volksparteien auf die „mittelfristigen, strukturellen Faktoren“ (103), die zu dem schlechten Wahlergebnis beigetragen haben. Der Autor schlägt einen weiten Bogen bis zurück in den Herbst 2018, als Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern den Rückzug von der Parteiführung ankündigte, damit mit der traditionellen Doppelrolle von Kanzleramt und Parteivorsitz brach (vgl. 103) und Annegret Kramp-Karrenbauer als Bundesvorsitzende der CDU übernahm. Nach den innerparteilichen Querelen rund um die Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten und der anschließenden Rückzugsansage von Kramp-Karrenbauer sei die Parteivorsitzende zur „lame duck“ (106) geworden. Die kurz darauf ausgebrochene Covid-19-Pandemie habe der Union im Zuge eines „Rally around the flag“-Effekts (108), den auch Niedermayer bereits in den Mittelpunkt seines Beitrages gestellt hatte, einen Höhenflug in der Unterstützung als größte Regierungspartei beschert. Die Pandemie habe den ungelösten Führungsstreit an der Parteispitze (nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen habe sich ein Parteitag in digitaler Form als schwierig erwiesen) als „frozen conflict“ etabliert (109). Mit der Wahl des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet Anfang 2021 habe der nächste Parteivorsitzende übernommen. Das zentrale Thema des Beitrages von Oppelland ist die Entscheidung der beiden Unionsparteien über den gemeinsamen Kanzlerkandidaten. Die Kür dieses Kandidaten interpretiert Oppelland als „Prolongierung der Führungskrise“ (112), erst im April 2021 setzte sich Laschet gegen Markus Söder, den Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU und bayerischen Ministerpräsidenten, durch. Ausführlich und detailliert zeichnet der Autor die Woche(n) der Entscheidung nach und zeigt, wer von den beiden Kandidaten sich auf welche Art und Weise präsentiert hat und wo sie jeweils innerhalb von Partei und Fraktion Unterstützung fanden, bis schließlich „die Würfel gefallen“ (Markus Söder, 114) waren.

Dass einzelne Ereignisse im Wahlkampf wie etwa der „Laschet-Lacher“ so eine zentrale Rolle spielen konnten, führt Oppeland auf die skizzierte Führungskrise zurück: „Zu knapp war das Ergebnis der Vorsitzenden-Wahl und zu umstritten seine Nominierung als Kanzlerkandidat der Unionsparteien, als dass Laschet zur allgemein anerkannten Führungsperson hätte werden können, hinter der sich die Reihen im Wahlkampf hätten schließen können“ (118). Auch andere Aspekte seien im Sommer 2021 hinzugekommen, etwa dass neben dem Kanzlerkandidaten Laschet Angela Merkel nach wie vor Kanzlerin war. Oppellands Zwischenfazit lautet: „So fehlte letztlich dem Unionswahlkampf das überwölbende, die Aktivisten und Anhänger motivierende Narrativ, warum die Union nach 16 Jahren weiterhin die Regierung führen müsse“ (ebd.). Es folgt eine ausführliche Darstellung des Ergebnisses der CDU bei der Bundestagswahl 2021 sowie des Übergangs von Armin Laschet zu Friedrich Merz im Amt des Parteichefs. Der Beitrag schließt mit einer ersten Bilanz der bisherigen Amtszeit von Merz. Das „Problem der Führungsfrage“ (125) sei mit dessen Wahl einstweilen gelöst worden, offen bleibe aber, inwieweit sich die Partei unter dem neuen Parteichef in inhaltlicher Sicht verändert habe und wie erfolgreich die anstehenden Europa- und Landtagswahlen absolviert würden. Nicht zuletzt davon werde abhängen, ob das in der 2022 verabschiedeten Grundwertecharta verankerte „Selbstverständnis als Volkspartei“ (125) dauerhaft aufrechterhalten werden könne. Mit Verweis auf die wichtige Rolle von Personen für die Wahlentscheidung der Bürger*innen hält es Oppelland schlussendlich für wichtig, „gerade in diesen personellen Fragen die richtigen Lehren aus den letzten Jahren zu ziehen und rechtzeitig die Weichen zu stellen“ (127).

Auf die weiteren Beiträge des Bandes kann aus Platzgründen lediglich kursorisch verwiesen werden. Mit „Im Sinkflug an die Macht“ überschreiben Sebastian Bukow und Niko Switek ihr Kapitel über Bündnis 90/Die GRÜNEN. Sie beschreiben eingangs die ambivalente Stimmung bei vielen Akteur*innen der Grünen am Wahlabend: „Die Grünen erreichten Umfragewerte, die einen Zweikampf mit der Union andeuteten, und mit der ersten Kanzlerkandidatin der grünen Parteigeschichte bestand den Umfragen zufolge eine Chance auf den Einzug ins Kanzleramt. Es kam bekanntlich anders, das Wahlergebnis blieb einmal mehr hinter den Umfragewerten und hinter den Möglichkeiten in einer für grüne Themen empfänglichen Zeit zurück. Doch nichtsdestotrotz realisierte die Partei mit dem historischen Resultat zwei wichtige Ziele – das Ende einer unionsgeführten Bundesregierung und die eigene Rückkehr in Regierungsverantwortung nach sechzehn Jahren in der bundespolitischen Opposition (131).
Uwe Jun beschreibt anschließend die Rolle der FDP als „liberales Korrektiv und typischer Koalitionspartei zu neuen Ufern“ sowie deren „(Wieder)-Aufstieg als Regierungspartei“ (157). Die Populismusforscherin Anna-Sophie Heinze analysiert die AfD („Etablierung trotz Radikalisierung?“). Der Flügelstreit innerhalb der Partei, die drohende Überwachung durch den Verfassungsschutz, die Auseinandersetzung um eine*n eigene*n Kanzlerkandidat*in sowie die geringere Rolle von „‘klassisch‘ rechtsradikalen Mobilisierungsthemen (vor allem Migration) (181) im Wahlkampf sind zentrale Gegenstände ihres Beitrages. Ursula Münch thematisiert die Konsequenzen der gescheiterten Kanzlerkandidatenkür des CSU-Vorsitzenden Markus Söder zwischen „Kandidat[en] der Herzen“ und „Dauer-Sticheln“. Dabei berücksichtigt sie auch die spezifische Rolle der CSU mit ihrer „Doppelrolle als autonome[r] Landespartei mit besonderem Bundes-Charakter“ (Alf Mintzel, 201).
Der Linken wendet sich wieder Anna-Sophie Heinze zu. In „Vom Sinkflug in die Bedeutungslosigkeit?“ fragt sie danach, warum die Partei angesichts der Folgen der Covid-19-Pandemie, die „doch theoretisch günstige Gelegenheitsstrukturen für linke Wahlerfolge“ (221) bieten würden, nicht stärker hiervon profitieren könne. Für Heinze ist es „lohnenswert, nicht nur einen Blick auf Faktoren der Nachfrageseite, sondern auch der Angebotsseite zu werfen, etwa ihre massiven personellen Probleme, ihre strategisch ungünstige Betonung einer (unwahrscheinlichen) RRG-Koalitionsoption und ihr mangelhaftes eigenständiges Profil“ (222).

Als besonders spannend erweist sich der den Band beschließende Beitrag von Hendrik Träger, der sich Klein- und Kleinstparteien bei der Bundestagswahl 2021 und damit einem Thema zuwendet, das bislang nur sporadisch im Fokus politikwissenschaftlicher Untersuchungen steht. Mit Verweis auf die Fachliteratur betont Träger, dass in der Disziplin nach wie vor kein Konsens darüber bestehe, was unter Klein- und Kleinstparteien zu verstanden werden könne (vgl. 244). Diesen Parteien testiert Träger im Titel mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 „Achtungserfolge“ trotz mancher „Stolpersteine“. Nach einer Klassifizierung der hier relevanten Parteientypen werden die wichtigsten Aspekte der Situation der Klein- und Kleinstparteien vor der Bundestagswahl 2021 skizziert. Anschließend folgt eine detaillierte Analyse der Wahlergebnisse, bei der auch auf regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten eingegangen wird. Besondere Aufmerksamkeit widmet Träger danach jenen Parteien, auf die 2021 mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen entfielen.

Dass angesichts aktueller Herausforderungen wie dem Ukraine-Krieg oder dem Nahostkonflikt so manche der beschriebenen inhaltlichen Positionierungen der Parteien von der Zeit (schnell) überholt worden sind, liegt auf der Hand, schmälert aber den Wert des Buches nicht, wenn man es als Momentaufnahme des Zeitraumes rund um die Bundestagswahl von 2021 begreift. Gerade weil im Untertitel des Werkes „Aktuelle Entwicklungen des Parteiwettbewerbes“ in Deutschland genannt werden, hätten die einzelnen Kapitel stärker miteinander verwoben werden können, etwa anhand eines (weiteren) systematischen Kapitels. Leider findet sich am Ende des Bandes keinerlei zusammenfassendes Fazit oder gar ein Ausblick auf möglicherweise zukünftige Perspektiven für das bundesdeutsche Parteiensystem. Welche Herausforderungen haben die vorgestellten Parteien gleichermaßen betroffen? Inwieweit unterscheiden sich ihre aktuellen Rollen, je nachdem ob sie als Regierungs- oder Oppositionspartei fungieren? Auch ein kursorischer Blick auf die Landesebene wäre hilfreich gewesen, da sich hier oft Entwicklungen konstatieren lassen, die früher oder später auch die Bundespolitik prägen (können).

Davon abgesehen erweist sich der besprochene Band als eine wahre Fundgrube für alle, die aus Sicht der Parteienforschung die politischen Prozesse und Entwicklungen der vergangenen Jahre akzentuiert und problemorientiert in den Blick nehmen möchten. Die einzelnen Beiträge sind detailliert, ausführlich und quellengesättigt. Allen Autor*innen gelingt es durchgehend, eine Fülle an Zahlen, Daten und Fakten zu den aktuellen Ereignissen und Entwicklungen zusammenzutragen, diese aber zugleich für eine systematische politikwissenschaftliche Betrachtungsweise der einzelnen Parteien fruchtbar zu machen. So bietet das Buch zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsarbeiten rund um das Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland. Auch der jüngste Band dieser Reihe erweist sich damit als ein Standardwerk, das in deskriptiver wie in analytischer Hinsicht auf absehbare Zeit nicht übertroffen werden dürfte.

CC-BY-NC-SA
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