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Die Rolle von begrenzten Nuklearoptionen für die erweiterte Abschreckung in Europa

16.10.2023
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Autorenprofil
Lydia Wachs
Wie kann gegenüber Russland in Europa eine überzeugende Abschreckung beibehalten werden? Lydia Wachs über die sicherheitsstrategischen Herausforderungen für die NATO-Staaten. Bild: Jorge Franganillo, Pixabay.

Wie kann die erweiterte Abschreckung der USA für Europa aufrechterhalten werden? Lydia Wachs forscht mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und erläutert in diesem Beitrag für "SIRIUS - Zeitschrift für Strategische Analysen" zunächst die Nuklearpolitik der Biden-Administration. Daneben thematisiert sie auch die Eigenverantwortung der europäischen NATO-Staaten: Gerade die Bundesregierung solle die „Zeitenwende“ dazu nutzen, um sich stärker diesen Themen zu widmen, sowohl innerhalb der NATO als auch in der eigenen Öffentlichkeit. Andernfalls riskiere Deutschland, Einfluss auf die Nuklearpolitik der Partner zu verlieren. (tt)


Eine Analyse von Lydia Wachs


1. Einleitung

Der Ukraine-Krieg markiert eine Zäsur in der europäischen Sicherheitsordnung. Moskau hat mit dem Angriff auf die Ukraine seine Bereitschaft demonstriert, hohe Risiken und Kosten in Kauf zu nehmen, um die europäische Sicherheitsarchitektur zu verändern. In Reaktion darauf hat die NATO eine militärische Neuaufstellung beschlossen. Die Auswirkungen dieses Krieges gehen jedoch über die konventionellen Streitkräfte hinaus. Angesichts der Schwächen, die Russland im Bereich der konventionellen Kriegsführung im Krieg gegen die Ukraine hat erkennen lassen, und der absehbaren Verbesserungen der NATO auf diesem Gebiet wird Russlands Sicherheitsstrategie in den kommenden Jahren der nuklearen Abschreckung und nicht-strategischen Nuklearwaffen wahrscheinlich mehr Gewicht zumessen.[1] Sollte Russland sich verstärkt auf nicht-strategische Kernwaffen stützen, so könnte dies negative Auswirkung auf die Krisenstabilität in Europa haben. Vor diesem Hintergrund stellt sich erstmals nach Ende des Kalten Kriegs die Frage nach der Glaubwürdigkeit der erweiterten Abschreckung der USA. Wie lässt sich eine wirksame erweiterte Abschreckung angesichts der erodierenden Sicherheitsordnung in Europa aufrechterhalten und welche Rolle können dabei US-Kernwaffen in Europa spielen – und zwar nicht-strategische wie strategische?

Eine der Hauptaufgaben der NATO wird in den kommenden Jahren darin bestehen, gegenüber Russland eine überzeugende nukleare Abschreckung beizubehalten. Nur so kann die Grundlage für eine wirksame Rückversicherung gebildet werden. Die zentrale Frage ist: Kann das mit den vorhandenen nicht-strategischen Kernwaffen der USA im Rahmen der nuklearen Teilhabe geschehen oder müssen neue Systeme beschafft werden? Dieser Artikel vertritt die These, dass es nicht erforderlich ist, die nicht-strategischen Nuklearfähigkeiten der NATO weiter zu vergrößern und zu diversifizieren. Russlands Risikokalkulation und Eskalationsmanagement lassen sich auch mit den derzeit in Modernisierung befindlichen Systemen und jenen strategischen Angriffssystemen der USA beeinflussen, die erkennbar in nicht-strategischen Rollen Einsatz finden können. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Kontext die Entscheidung von US-Präsident Joseph Biden, entgegen seiner ursprünglichen Absicht Sprengköpfe geringerer Sprengkraft des Typs W76-2 für U-Boot-gestützte ballistische Raketen (SLBMs) beizubehalten.

Der Artikel untersucht zunächst die Bemühungen in der Vergangenheit, die Glaubwürdigkeit der erweiterten Abschreckung zu stärken, um so die Politik der Biden-Administration einzuordnen. Anschließend wird erörtert, wie sich die Rolle von Nuklearwaffen in Russlands Strategie und im europäischen Sicherheitsumfeld in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Vor diesem Hintergrund wird analysiert, wie die NATO reagieren und wie eine wirksame erweiterte Abschreckung heute aufrechterhalten werden kann, wobei der Fokus auf dem Stellenwert nicht-strategischer US-Nuklearwaffen liegt. Schließlich werden Empfehlungen für die europäischen NATO-Staaten und insbesondere für Deutschland dargelegt.

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Anmerkung


[1] Unter nicht-strategischen Kernwaffen werden generell alle Kernwaffen Russlands verstanden, die nicht Teil der strategischen Angriffssysteme sind, wie sie im Rahmen der Rüstungskontrollverträge (START, New-START) festgelegt wurden. Zu diesen Kernwaffenträgern zählen in der Hauptsache Marschflugkörper (see-, luft- oder bodengestützt) und ballistische Raketen mit kürzeren und mittleren Reichweiten sowie noch verbliebene Gefechtsfeldwaffen aus der Zeit der Sowjetunion, siehe: Woolf, Amy (2022): Nonstrategic Nuclear Weapons. Washington, D.C.: Congressional Research Services.


sirius band 7 heft 3 2023 

Die Rolle von begrenzten Nuklearoptionen für die erweiterte Abschreckung in Europa

SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen 
Band 7 Heft 3-2023, Aus der Zeitschrift SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen https://doi.org/10.1515/sirius-2023-3004

Die Erstveröffentlichung des Textes erfolgte am 7. September 2023.


Die Zeitschrift SIRIUS wird herausgegeben durch die Stiftung Wissenschaft und Demokratie (SW&D), ebenso ermöglicht die Stiftung ab dem Jahr­gang 2022 die digitale Veröffentlichung aller Artikel in Open Access unter der Lizenz CC­BY NC ND. Die SW&D ist eine wissenschaftsfördernde Stiftung, die sich in ihrer operativen Tätigkeit als Herausgeberin von SIRIUS und mit ihrem Online­portal für Politikwissenschaft insbesondere um die Kommunikation politikwissenschaftlicher Forschungsergebnisse bemüht. Darüber hinaus unterhält sie eine eigene Forschungseinrichtung, das Institut für Parlamentarismusforschung in Berlin, und fördert das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Band 7 der Zeitschrift SIRIUS wird während des 30­-jährigen Jubiläums der SW&D veröffentlicht. Die SW&D verfolgt mit ihren Einrichtungen und Förderprojekten das Ziel, insbesondere die Politikwissenschaft bei der Lösung praktischer und normativer Probleme der Demokratie zu unterstützen.   

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Externe Veröffentlichungen

Lydia Wachs / 25.11.2022

Stiftung Wissenschaft und Politik

Frank Sauer / 06.05.2022

Bundeszentrale für politische Bildung

 

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