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/ 11.06.2013
Raphael Gross

Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000; 442 S.; ISBN 3-518-58285-2
Diss. Essen; Gutachter: D. Diner. - Carl Schmitt war ein Meister der Polarisierung. Seine Formel von der Freund-Feind-Unterscheidung als dem zentralen Kennzeichen des Politischen war eben mehr als nur eine Formel. Sein Werk führte diese Unterscheidung praktisch herbei, und noch immer tobt eine erbitterte Fehde zwischen Schmittianern und Schmitt-Gegnern. Ein Grund für diese Entzweiung mag nicht zuletzt in der Uneindeutigkeit des Schmitt'schen Ouevres liegen; wieselartig entzieht sich Schmitt jede...
Raphael Gross

Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000; 442 S.; geb., 54,- DM; ISBN 3-518-58285-2
Diss. Essen; Gutachter: D. Diner. - Carl Schmitt war ein Meister der Polarisierung. Seine Formel von der Freund-Feind-Unterscheidung als dem zentralen Kennzeichen des Politischen war eben mehr als nur eine Formel. Sein Werk führte diese Unterscheidung praktisch herbei, und noch immer tobt eine erbitterte Fehde zwischen Schmittianern und Schmitt-Gegnern. Ein Grund für diese Entzweiung mag nicht zuletzt in der Uneindeutigkeit des Schmitt'schen Ouevres liegen; wieselartig entzieht sich Schmitt jeder Festlegung und überlässt den Leser der Frage, ob Schmitt nun als bloßer Diagnostiker der Moderne oder als bewusster Beschleuniger ihrer Selbstzerstörungstendenz auftritt. Um Schmitt festlegen zu können, bedürfte es eines Archimedischen Punktes, von dem aus der Hebel an das Werk angesetzt werden kann. Für Gross bildet diesen Archimedischen Punkt offenbar Schmitts Verhältnis zum Judentum, das er in der bisherigen umfangreichen Schmitt-Rezeption merkwürdig untergewichtet behandelt findet. Anders als eine Deutung, die Schmitts NS-Engagement und seinen damit verbundenen Antisemitismus als karrierebedingten Opportunismus versteht, will Gross Schmitts Denken als grundlegend antisemitisch geprägt entlarven. Diese starke These entwickelt Gross in fünf Kapiteln. Im ersten Kapitel geht es um Schmitts Stellung und explizite Stellungnahme zur "Judenfrage" während des Dritten Reichs. Die nächsten drei Kapitel sind ideen- und begriffsgeschichtlich orientiert; hier kommt die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Judenfeindschaft zur Sprache - die Gegnerschaft gegen Phänomene der Moderne, welche als spezifisch "jüdisch" denunziert wurden, nämlich "Universalismus, Partikularismus und Beschleunigung" (27). Schmitts uneinsichtige Haltung in der Nachkriegszeit ist Gegenstand des letzten Kapitels. Ob Gross mit dem Antisemitismus den Archimedischen Punkt bei Schmitt gefunden hat, ist hier nicht zu entscheiden. Unabhängig davon aber wirft eine differenzierte Behandlung des Antisemitismus-Problems auch ein Schlaglicht auf den nationalsozialistischen Judenhass: Wenn in ihm der Hass auf bestimmte Folgen des Modernisierungsprozesses erkannt wird, lässt er sich nicht mehr so leicht als bloßer Betriebsunfall der Weltgeschichte abtun.
Barbara Zehnpfennnig (BZ)
Prof. Dr., Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 5.462.31 Empfohlene Zitierweise: Barbara Zehnpfennnig, Rezension zu: Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Frankfurt a. M.: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/12222-carl-schmitt-und-die-juden_14591, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14591 Rezension drucken
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