Wahlen und andere Formen politischer Partizipation
Die wichtigste Form politischer Partizipation in liberalen Demokratien sind die Wahlen. Sie sind in all ihren Facetten – ob in Form von Wahlsystemen, Wahlkämpfen, oder die den Wahlentscheidungen zugrundeliegenden politischen Einstellungen – Gegenstand der Wahlforschung. Doch die Partizipationsmöglichkeiten und -forderungen der Bürger*innen gehen weit über die Wahlen hinaus und umfassen neben alternativen Methoden der Ämterauswahl das zivilgesellschaftliche Engagement ebenso wie politischen Protest auf der Straße.
Demokratie setzt politische Partizipation voraus. In der berühmten Gettysburg-Address des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln wird Demokratie als “Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk” definiert. Doch wie kann das Regieren “durch das Volk” gelingen? In der griechischen Antike, dem historischen Vorläufer der modernen Demokratie, wurde die Partizipationsfrage relativ einfach beantwortet: man traf sich auf dem Marktplatz, diskutierte dort die öffentlichen Angelegenheiten und stimmte gemeinsam über sie ab. In modernen Demokratien ist das anders: Allein aufgrund ihrer Größe ist die Partizipationsfrage schwieriger zu lösen. Es gibt keinen Marktplatz, der groß genug wäre, um alle Bürger*innen eines modernen Territorialstaats zu versammeln – ganz zu schweigen von der Unmöglichkeit, ihnen alle in einer begrenzten Zeit das ihnen zustehende Rederecht einzuräumen.
Moderne Demokratien sind daher repräsentative Demokratien. Der zentrale Modus der Auswahl politischer Amtsträger in Demokratien ist die geheime und gleiche Wahl, die oft sehr komplexen Regelwerken folgt. Je nach Wahlsystem sind damit unterschiedliche Herausforderungen verbunden.
Während die reinen Verhältniswahlsysteme darauf abzielen, die abgegeben Stimmen möglichst proportional in Sitze umsetzen und damit aber die Bildung politischer Mehrheiten und Koalitionen erschwert, verfolgen die reinen Mehrheitswahlsysteme ein anderes Ziel. Hier steht explizit die effektive Regierbarkeit im Vordergrund. Das „the winner takes it all“-Prinzip geht allerdings zu Lasten der proportionalen Umsetzung des Wählerwillens. Die politikwissenschaftliche Wahlforschung beschäftigt sich neben der Analyse unterschiedlicher Wahlsysteme auch mit Wahlkämpfen zwischen Parteien und Kandidat*innen. Darüber hinaus hat die Wahlforschung eine politiksoziologische Komponente, weil sie die Einstellungen und Wahlverhaltensmuster von Individuen und unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen sowie Milieus über längere Zeiträume hinweg betrachtet: Wer wählte wen, bzw. was und warum und welche Veränderungen sind erkennbar?
Die rückläufige Wahlbeteiligung und der hohe Anteil an Nicht-Wähler*innen in sozial-prekären Schichten deuten auf eine Krise der repräsentativen Demokratie hin. In vormodernen Zeiten galt die Wahl aufgrund der Bevorzugung sozial und finanziell ressourcenreicher Kandidaten eher als aristokratisches, denn als demokratisches Prinzip: Dieser historische Ursprung nährt bis heute die Kritik an ungleichen Partizipationschancen in der repräsentativen Demokratie.
Die Überzeugung, dass die Partizipationsbedürfnisse der Bürger*innen nicht allein durch Wahlen erfüllt werden können, führt zu Überlegungen über neue repräsentative Partizipationsformen. Das kann sowohl die Auswahlverfahren als auch die Repräsentativkörperschaften betreffen. Ein vieldiskutiertes und neuerprobtes Beispiel ist der Versuch, über die Installation ausgeloster Bürger*innenräte die Distanz zwischen den Bürger*innen und der politischen Elite zu verringern, in dem diesen Räten beispielsweise eine beratende Funktion oder bestimmte Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden
Einen zentralen Stellenwert in Bezug auf die politische Partizipation hat in modernen Demokratien das politische und zivilgesellschaftliches Engagement. Bereits im 19. Jahrhundert war klar, dass die Demokratie aktive Bürgerinnen und Bürger bedarf. Fortan wird ihnen gestattet und zugleich von ihnen gefordert, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. So ist etwa die Mitarbeit in Parteien eine wichtige Form politischer Partizipation mit zentraler Bedeutung für das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie. Ebenso gehört es zum Selbstverständnis aktiver Bürger*innen, ihren Interessen über andere politische Zusammenschlüsse wie Verbänden oder Gewerkschaften Gehör zu verschaffen. So können sich Initiativen von Bürger*innen bspw. im lokalen Bereich für oder gegen bestimmte Infrastrukturprojekte einsetzen oder sich auf nationaler Ebene organisieren, um sich an den Petitionsausschuss des Bundestags zu wenden. Aber auch Formen der Beteiligung wie Demonstrationen gehören zum breiten Feld politischer Partizipationsmöglichkeiten, die in diesem Themenfeld behandelt werden.
Partizipation diesseits und jenseits von Wahlen
Forschungseinrichtungen und Think Tanks
Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF)
Über Beteiligungsformate, in denen sich Bürger*innen aleatorisch und nicht interessengeleitet in politische Entscheidungsprozesse einbringen können.
Berlin Institut für Partizipation
Analysen und News rund um die Weiterentwicklung von Partizipation, Bürgerbeteiligung und Demokratie.
Weiterführende Links
politik-digital e. V.
Über die Digitalisierung demokratischer Prozesse, mittels derer Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger*innen in Europa und institutionelle Transparenz gestärkt werden könn(t)en.
Brand New Bundestag
Die Initiative engagiert sich für eine diversere Zusammensetzung des Parlaments.