Parlamente und Parteiendemokratie - unter Druck?
Parteien und Parlamente sind das Herzstück moderner Demokratien. Schließlich übersetzen sie das Repräsentationsprinzip in die politische Praxis und gewährleisten so die Legitimität und Funktionalität des politischen Systems. In diesem Themenfeld sollen die großen und kleinen Fragen rund um den Parlamentarismus und die Parteiendemokratie beleuchtet werden.
Parteien sind aus modernen Demokratien nicht wegzudenken, ihr Wettbewerb um die Zustimmung der Wähler*innen gilt als ein zentrales Merkmal der repräsentativen Demokratie. Sie nehmen eine Scharnierfunktion zwischen Staat und Gesellschaft ein, indem sie die Interessen ihrer Mitglieder und Wähler*innen inhaltlich bündeln, öffentlich artikulieren und anschließend in die politischen Entscheidungsprozesse einbringen. Damit ermöglichen sie den Bürger*innen politische Teilhabe und tragen ganz entscheidend zur politischen Willensbildung bei. Gleichzeitig gewährleisten Parteien die Rekrutierung politischer Eliten und sind durch die Wahrnehmung von Mandaten und Ämtern ihrer Mitglieder in Fraktionen, Opposition und Regierung maßgeblich an der Ausübung und Kontrolle politischer Herrschaft beteiligt.
Auch Parlamente sind lebenswichtig für die moderne Demokratie, weil in ihnen die unterschiedlichen Interessen des Volkes repräsentiert werden. Darüber hinaus sind Parlamente für die Verabschiedung von Gesetzen, die Kontrolle des Regierungshandelns und die Wahl verschiedener staatlicher Ämter zuständig. Dabei unterscheiden sich die Stellung des Parlaments zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen: Während die Regierung in parlamentarischen Systemen durch die Parlamentsmehrheit abberufen werden kann, bedarf die Regierung in präsidentiellen Systemen nicht des Vertrauens der Parlamentsmehrheit, um im Amt bleiben zu können. Dieser zentrale Strukturunterschied hat verschiedene Konsequenzen, etwa für die Dynamik zwischen Regierung und Opposition, die Gewaltenteilung oder die Fraktionsdisziplin.
Sowohl der Parlamentarismus als auch die Parteiendemokratie sind in den letzten Jahren vermehrt als „krisenhaft“ beschrieben worden. Diese Deutung bleibt allerdings umstritten, schließlich ist nicht jede partielle Schwierigkeit automatisch eine vollumfängliche Krise und inflationäre Krisendiagnosen können selbst Schaden anrichten. Statt sich den Begriff der „Krise“ von vornherein zu eigen zu machen, soll in diesem Themenfeld danach gefragt werden, in welchem Zustand sich Parlamente und Parteien befinden, inwieweit und wodurch sie unter Druck geraten und wie etwaigen krisenhaften Entwicklungen entgegengewirkt werden kann.
In fast allen europäischen Ländern hat sich die Parteienlandschaft in den letzten Jahrzehnten aufgrund gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse fragmentiert. Auch wenn bereits in der Vergangenheit unterschiedliche Konfliktachsen (z.B. Kapital gegen Arbeit, Kirche gegen Staat, Stadt gegen Land oder Zentrum gegen Peripherie) bestanden, dominierte die ökonomische Links-Rechts-Achse die politische Landschaft westlicher Industriestaaten. Mit dem Übergang in die postindustrielle Gesellschaft änderten sich jedoch auch Interessenlagen und Wertvorstellungen in der Bevölkerung, sodass es sich in der Politikwissenschaft etabliert hat, den politischen Raum zusätzlich zur ökonomischen Achse zweidimensional anhand einer weiteren kulturellen Konfliktachse zu vermessen. Diese bildet soziokulturelle Wertekonflikte rund um Fragen von Tradition, Autorität und Migration ab, deren Positionen sich zwischen einem liberal-libertären und einem konservativ-autoritären Pol bewegen.
Die Pluralisierung des Parteiensystems ist eine logische Folge dieses Prozesses und ein Zeichen dafür, dass Demokratien in der Lage sind, neue politische Interessen und Weltanschauungen aufzugreifen. Auf der anderen Seite erringen insbesondere populistische und extreme Parteien vermehrt Parlamentsmandate, deren Vertreter*innen aktiv gegen eine pluralistische Demokratie arbeiten. Dies deutet darauf hin, dass die bisher etablierten Parteien bestimmte Bedürfnisse der Wählerschaft nicht mehr befriedigen können. Als Defizite der Parteien werden häufig mangelnde programmatische Unterscheidbarkeit, strukturelle Probleme wie Mitgliederschwund und die Überalterung der Mitgliedschaft und nicht zuletzt Zweifel an der Problemlösungskompetenz genannt.
Auch die Parlamente sind in den letzten Jahren aus ganz unterschiedlichen Richtungen unter Druck geraten. So werden die Regelungserfordernisse des modernen Nationalstaates vielfältiger und komplexer, politische Fragen sind zunehmend in einen globalen Kontext eingebettet und eine weitgehend demokratisierte Medienlandschaft (insbesondere soziale Medien) wirkt als Katalysator für die Wahrnehmung politischer Probleme. Hinzu kommt ein Bedeutungsgewinn nicht-majoritärer Institutionen wie Zentralbanken und Verfassungsgerichten sowie supranationaler Institutionen wie der Europäischen Union. Während also eine effiziente parlamentarische Arbeit notwendig ist, um die vielen Gesetzesvorhaben zu erarbeiten, sind die Bedingungen gleichzeitig durch ein generelles Legitimationsproblem etablierter demokratischer Verfahren, zunehmende Komplexität, eine Häufung von Krisen und die parlamentarische Existenz rechtsautoritärer Akteure, die versuchen, die parlamentarische Arbeit aktiv zu behindern, erschwert.
In diesem Themenfeld beleuchten wir Fragen rund um Parlamentarismus und Parteiendemokratie. Dies umfasst zum einen etwa die großen Fragen nach dem Wandel der Parteiensysteme, der Krise der (Volks-)Parteien und der Zukunft des Parlamentarismus. Zum anderen sollen aber auch konkrete Fragen beispielsweise zur Kandidatenaufstellung der Parteien, ihrer innerparteilichen Willensbildung und Koalitionsoptionen sowie zu innerparlamentarischen Arbeitsprozessen und Fraktionshandeln abgebildet werden.
Parlamente und Parteiendemokratien unter Druck
Forschungseinrichtungen und Think Tanks
Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht u. Parteienforschung (PRUF)
Institut für Parlamentarismusforschung (IParl)
Weiterführende Links
gegneranalyse.de
Monitoring und Debatten vom Zentrum Liberale Moderne zu Kanälen, die sich als Gegenmedien zur medialen Öffentlichkeit bezeichnen.