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Interview / 07.02.2025

Verfassungsrechtlerin Schönberger im Interview: „Das BSW verstößt gegen das Gebot der innerparteilichen Demokratie“

Der Parteivorstand rund um Sahra Wagenknecht nimmt nur handverlesene Mitglieder auf. Bild: Steffen Prößdorf via Wikimedia Commons

Wie hält es das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit der innerparteilichen Demokratie? Sophie Schönberger, Verfassungsrechtlerin und Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung, hat die innere Struktur des BSW genauer untersucht. Ihr Fazit: Gerade im Hinblick auf die restriktive Mitgliederaufnahme sowie die fehlende Autonomie der Gebietsverbände verstößt das BSW gegen das Parteienrecht und auch bei der Parteifinanzierung bleiben Fragen offen. Rechtliche Möglichkeiten zur staatlichen Durchsetzung der innerparteilichen Demokratie gebe es jedoch kaum.

Sie haben sich in einem Working Paper[1] mit der Frage beschäftigt, inwieweit das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dem Gebot der innerparteilichen Demokratie genügt. Wo findet sich dieses Gebot und was genau müssen die Parteien dafür erfüllen?

Das Gebot der innerparteilichen Demokratie ergibt sich aus Artikel 21 im Grundgesetz, der den Parteien eine herausgehobene Stellung bei der politischen Willensbildung zuspricht und vorschreibt, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Somit ist es ein Kernbestandteil des deutschen Parteiensystems. Das notwendige Ausmaß innerparteilicher Demokratie ist auch in der Wissenschaft nicht unumstritten, doch lässt sich sagen, dass die demokratischen Anforderungen nach allgemeiner Auffassung nicht ganz so streng wie bei staatlichen Institutionen sind, weil Parteien für die Umsetzung ihres politischen Programms mehr Spielraum benötigen. Die innerparteiliche Demokratie umfasst zentrale Prinzipien wie Mehrheitsentscheidung, Minderheitenschutz, die Rechenschaftspflicht der Parteiführung gegenüber der Basis sowie Mitwirkungsrechte der Mitglieder. Was diese allgemeine Verfassungsnorm konkret bedeutet, ist im Parteiengesetzt konkreter ausbuchstabiert. Dort finden sich beispielsweise auch die Regeln zur Parteienfinanzierung.

Das BSW steht für seinen Umgang mit Mitgliedern in der Kritik. Derzeit hat die Partei nur etwa 1.000 Mitglieder, obwohl es ein Vielfaches an Anträgen gibt.[2] Nur sorgfältig ausgewählt Unterstützer*innen werden aufgenommen, entscheiden darf ausschließlich der Parteivorstand in Berlin. Dagegen regt sich inzwischen auch innerhalb des BSW Widerstand. Wie bewerten Sie diese restriktive Aufnahmepraxis parteienrechtlich?

Die Mitgliederaufnahme des BSW verstößt klar gegen das Parteiengesetz. Dieses gibt den Parteien relativ viel Spielraum. Sie dürfen grundsätzlich frei darüber entscheiden, wen sie aufnehmen oder nicht. Daher gibt es nach herrschender Rechtsauffassung auch keinen Aufnahmeanspruch in eine Partei. Was Parteien aber nicht machen dürfen, ist es, Aufnahmesperren zu verhängen. Das heißt, sie müssen grundsätzlich offen für neue Mitglieder sein, die dann auch mitbestimmen dürfen. Denn Parteien sind nun mal nicht demokratisch organisiert, wenn ausschließlich ein kleiner Zirkel dauerhaft die Macht ausübt. Genau das ist aber das Problem mit dem BSW. Es nimmt nur eine geringe Zahl handverlesener Mitglieder auf und arbeitet mit Zielgrößen, wie viele Mitglieder man bis zu welchem Jahr aufgenommen haben will. Sie haben die Zahlen bereits genannt: Für viele Menschen, die Mitglieder werden wollen, bedeutet diese Praxis faktisch eine Aufnahmesperre.

Sahra Wagenknecht würde nun argumentieren, dass die Parteiführung lediglich sicherstellen will, dass die inhaltliche Grundausrichtung erhalten bleibt und eine Unterwanderung der Partei verhindert wird. Ist das bei einer so jungen Partei aus politischer Sicht nicht nachvollziehbar?

Selbstverständlich hat das BSW die Möglichkeit, jede*n einzelne*n Bewerber*in anzugucken und zu prüfen, ob die Person inhaltlich zu ihnen passt. Das ist aber etwas völlig anderes, als einen großen Teil der Anträge schlicht liegen zu lassen und gar nicht erst zu bearbeiten. Dies zeigt, die Anträge werden nicht geprüft und die Leute werden nicht abgelehnt, weil sie individuell nicht zur Partei passen, sondern die Parteiführung möchte grundsätzlich verhindern, dass die Partei ungeplant wächst und dadurch notwendige unvorhersehbare demokratische Prozesse in Gang gesetzt werden.

Auch in anderen Parteien als dem BSW soll es schon vorgekommen sein, dass die Fraktionsführung beispielsweise Einfluss auf die Kandidat*innennominierung nahm und missliebige Personen abstrafte. Haben die demokratischen Defizite des BSW eine gänzlich andere Qualität als in anderen Parteien? 

Definitiv. Denn natürlich gibt es immer Prozesse innerhalb von Parteien, wo beispielsweise von oben Einfluss genommen oder Druck ausgeübt wird. Das ist manchmal nur unschön, manchmal wirklich auf der Kippe und kippt in anderen Situationen auch mal klar ins Rechtswidrige. Nehmen Sie als banales Beispiel die Satzung der CDU, die vorsieht, dass der Generalsekretär für vier Jahre gewählt wird. Es ist völlig klar, dass das gegen das Parteiengesetz verstößt, weil der Vorstand, zu dem der Generalsekretär gehört, alle zwei Jahre gewählt werden muss. Trotzdem würde ich sagen, dass – bei allem Ärger einer Parteienrechtlerin über den Verstoß - die Parteiendemokratie davon insgesamt keinen Schaden nimmt. Beim BSW haben wir es dagegen mit einer völlig neuen, hierzulande bislang ungekannten Qualität zu tun, weil die gesamte Partei autoritär strukturiert ist. Das BSW ist als ein striktes Kader- und Machtprojekt einer kleinen innerparteilichen Führungsriege organisiert. Statt den politischen Prozess offen zu gestalten, schließt es ihn gezielt gegen „demokratische Zumutungen“ ab.

Sie schreiben, dass „in der Phase der Parteigründung durchaus ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den auf etablierte Parteien zugeschnittenen Regeln des Parteiengesetzes und den zum Teil unfertigen, provisorischen und im Aufbau befindlichen Strukturen einer sich neu gründenden Partei auftreten“ können. Ist es nicht nachvollziehbar, dass eine neue Partei nicht vom ersten Tag an alle Anforderungen in gleicher Weise erfüllen kann wie seit Jahrzehnten etablierte Parteien? Ist eine gewisse Nachsicht im Sinne der Chancengleichheit der Parteien in einer lebendigen Demokratie nicht sogar geboten?

Reduzierte Anforderungen an neue Parteien sind auf alle Fälle geboten. Dazu muss man wissen, dass das heutige Parteiengesetz ein Kind seiner Zeit ist und als es 1967 geschaffen wurde, sich die Bundesrepublik in ihrer Hochphase parteipolitischer Stabilität befand. Man konnte es sich damals kaum vorstellen, dass erfolgreiche Parteien neu gegründet werden und das Parteiensystem dynamisch ist. Zum Vorgang der Parteigründung verliert das Parteiengesetzt daher kein Wort. Wie die Parteien in die Welt kommen, interessiert es im Grunde nicht, es verwaltet lediglich ihre Existenz.

Es gibt also das beschriebene Spannungsverhältnis, weil das Recht Anforderungen an fertige Parteien stellt, die eine Partei nicht von Tag eins an erfüllen kann. Daher ist es völlig richtig, dass man abgestufte Anforderungen stellt und festhält, dass nicht alle Anforderungen in vollem Umfang von vornherein erfüllt werden können. Das entlastet das BSW im konkreten Fall aber nicht, denn hier haben wir im Grunde die umgekehrte Situation, weil sich das BSW künstlich klein macht. Hier wären genug Interessierte vorhanden, um beispielsweise nachgeordnete Gebietsverbände (sprich Ort- und Bezirksverbände) zu gründen, die es nach meinem Wissen beim BSW noch immer nicht gibt. Der Mangel an Personen ist hier keine Folge des Alters der Partei, sondern eine bewusste Entscheidung der Führungsriege.

Ein weiteres mögliches Problem betrifft die Frage der Parteienfinanzierung. Um dies zu verstehen, müssen wir zunächst über die Gründungsgeschichte des BSW sprechen. Wie kam die Gründung zustande?

Im Unterschied zu anderen Parteigründungen der letzten Jahre, die häufig recht unkoordiniert abliefen, zeichnet sich die Gründung des BSW durch ihre beinahe generalstabsmäßige Form der Planung aus. Noch vor Gründung der Partei wurde im Herbst 2023 zunächst ein gleichnamiger Verein gegründet, der bereits Strukturen aufbaute und Spenden für die Parteigründung einsammelte. Aus diesem – formal unabhängigen – Verein heraus, wurde dann im Januar 2024 die Partei BSW gegründet. Diese Konstruktion hatte den Vorteil, dass der Verein bereits Geld einsammeln konnte, aber keine Mitglieder aufnehmen musste. Im Grunde wurde bereits vor der eigentlichen Parteigründung deutlich, dass es sich beim BSW um ein Projekt handelt, das am Reißbrett entworfen wurde und von oben nach unten durchexerziert wird.

Der Verein, den Sie ansprechen, hat bisher gut knapp 1,3 Millionen Euro an die Partei gespendet, was bis zur Parteigründung fast dem gesamten erreichten Spendenaufkommen von etwa 1,4 Millionen Euro entspricht.[3] Wer hinter den Spenden steckt, die der Verein für die Partei eingesammelt hat, ist bisher völlig intransparent, da als Spender allein der Verein ausgewiesen wird. Umgeht das BSW auf diese Weise das Transparenzgebot für Parteispenden?

Das kommt darauf an, wie diese Spenden verbucht werden und wie sie später in den Rechenschaftsberichten auftauchen. Der Verein argumentiert explizit, dass er die Identität aller Spender*innen an die Partei weitergibt, sodass die Gelder als Spenden der ursprünglichen Geldgeber*innen verbucht werden können. Das muss unbedingt geschehen, denn ansonsten hätten wir es mit einer illegalen Strohmannspende zu tun, die die wahre Herkunft der Gelder verschleiert. Damit das Vorgehen rechtskonform ist, müssten die Namen der Spender*innen über 10.000 Euro also im nächsten Rechenschaftsbericht der Partei auftauchen.

Parteispenden über 35.000 Euro müssen hingegen unverzüglich der Präsidentin des Deutschen Bundestages gemeldet werden, die diese dann unter Nennung des Namens des ursprünglichen Spenders veröffentlicht. Daher ist es etwas irritierend, dass die Bundestagsverwaltung die von Ihnen angesprochene Spende über 1,3 Millionen Euro lediglich als Spende des Vereins an die Partei ausgewiesen hat. Dies müsste zwangsläufig bedeuten, dass bei den Spenden an den Verein keine Spende einer Einzelperson über mehr als 35.000 Euro dabei war. Man erkennt an diesen Ausführungen aber schon die Unsicherheiten, die mit dieser neuartigen Verein-Partei-Konstruktion einhergehen.

Dass die Partei die Namen ihrer Spender*innen kennt ist das eine. Aber wann wird die Öffentlichkeit den Rechenschaftsbericht einsehen können?

Das wird – wie bei allen Parteien – erst mit ganz erheblicher zeitlicher Verzögerung möglich sein. Der Rechenschaftsbericht für 2024 muss erst Ende dieses Jahres eingereicht werden, wird dann durch die Bundestagsverwaltung geprüft und dann Anfang 2026 veröffentlicht.

Im Papier sprechen Sie eine weitere Problematik im Verhältnis von Gründungsverein und Parteifinanzen an, nämlich die zeitliche Rückanknüpfung bei der staatlichen Parteienfinanzierung. Worum handelt es sich dabei genau?

Hintergrund ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die besagt, dass eine Partei aus der staatlichen Parteienfinanzierung maximal genauso viel Geld bekommen darf, wie sie an Einnahmen aus nicht-staatlichen Quellen erhalten hat. Parteien dürfen also maximal 50 Prozent ihres Einkommens aus staatlichen Ressourcen beziehen, die Höhe ihrer staatlichen Einnahmen sind durch ihre nicht-staatlichen Einnahmen gedeckelt. Dies ist die sogenannte relative Obergrenze bei der Parteifinanzierung, die je nach Partei variiert. Berechnungsgrundlage sind dabei stets die Einnahmen des Vorjahres.

Was aber, wenn es bei einer frisch gegründeten Partei gar kein Vorjahr gibt? Bei einer strengen Auslegung des Gesetzeswortlauts müsste man sagen: Wer im Vorjahr keine Einnahmen hatte, erhält auch keinerlei Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung. In der Vergangenheit hat die Bundestagsverwaltung in den wenigen Fällen, in denen das aufgetreten ist, jedoch am Gesetzeswortlaut vorbei kreative Lösungen gefunden, um mit geschätzten Einnahmen aus dem Vorjahr zu arbeiten. Das ist juristisch sehr zweifelhaft, doch war die Verwaltung der Auffassung, dass man frisch gegründete Parteien nicht benachteiligen dürfe.

Ob diese Praxis so aufrecht zu erhalten ist, da habe ich große Zweifel. Denn die Folgen dieser freihändigen Gesetzesauslegung sieht man jetzt: Das BSW sagt selbst, die Parteigründung bis in den Januar 2024 verschleppt zu haben. Dem liegt vermutlich die Überlegung zugrunde, dass es für den Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung wahrscheinlich deutlich günstiger ist, für die Berechnung der relativen Obergrenze geschätzte Werte der Einnahmen im (fast) gesamten Kalenderjahr 2024 zugrunde zu legen als die tatsächlichen Einnahmen im Zeitraum zwischen der ursprünglichen Gründung im Oktober 2023 und dem Ende desselben Jahres. Hier steht also der Verdacht sehr deutlich im Raum, dass das BSW die umstrittene Praxis der Bundestagsverwaltung bewusst zu seinem eigenen finanziellen Vorteil ausnutzen wollte. Momentan prüft die Bundestagsverwaltung diesen Vorgang. Wie sie damit umgehen will und ob sie die bisherige Praxis der fiktiven Einnahmenschätzung des Vorjahrs weiter anwenden will, ist noch nicht klar.

Wie fällt Ihr Fazit aus? Erfüllt das BSW insgesamt die Vorgaben des Grund- und des Parteiengesetzes?

Nein, eindeutig nicht. Das BSW verstößt gegen das Gebot der innerparteilichen Demokratie. Gerade im Hinblick auf die Mitgliederaufnahme und die fehlende Autonomie der Gebietsverbände gibt es große Defizite, denn unterhalb des Bundesvorstands darf praktisch nichts Relevantes entschieden werden. Das Parteiengesetz schreibt aber vor, dass sich eine Partei in Gebietsverbände untergliedern muss, denen auch eigene Befugnisse verbleiben. Die Satzung des BSW ist in der bestehenden Form daher mit den rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.

Dann drängt sich die Frage regelrecht auf, was man denn dagegen tun kann. Welche Durchsetzungsmöglichkeiten gibt das Parteienrecht her, um das BSW zu sanktionieren bzw. zu einer Verhaltensänderung zu bewegen?

Das Parteiengesetz ist mit der staatlichen Einflussnahme sehr zurückhaltend. Dies ist der besonderen politischen Natur der Materie geschuldet, denn natürlich möchte man unbedingt verhindern, dass politische Entscheidungsträger*innen über rechtliche Vorgaben gezielt die politische Konkurrenz behindern. Um es klar zu sagen: Das Parteiengesetz kennt keinerlei öffentlich-rechtliche Durchsetzungsmechanismen der Vorschriften über die innerparteiliche Demokratie. Lediglich Verstöße gegen die Rechenschaftspflicht oder die Spendenannahmeverbote können mit Strafzahlungen (oder über das Ausbleiben der staatlichen Parteienfinanzierung) sanktioniert werden. Was es außerdem gibt, ist die Möglichkeit, dass aus der Partei heraus vor den Parteischiedsgerichten und den Zivilgerichten für die Geltung rechtlicher Standards gestritten wird. Aber da beißt sich die Katze beim BSW in den Schwanz, weil eine Partei, die kaum Mitglieder aufnimmt, natürlich über keine effektive interne Kontrolle verfügt.

Ernst Fraenkel, Jurist und einer der Gründungsväter der Politikwissenschaft in Deutschland, schrieb 1964: „Der Bestand der Demokratie im Staat hängt ab von der Pflege der Demokratie in den Parteien. Nur, wenn den plebiszitären Kräften innerhalb der Verbände und Parteien ausreichend Spielraum gewährt wird, kann eine Repräsentativerfassung sich entfalten“. Damit betont er die zentrale Rolle demokratischer Mitbestimmung einfacher Parteimitglieder für die gesamte Verfassungsordnung. Einerseits kann man daraus den Schluss ziehen, dass eine strikte Durchsetzung des Gebots der innerparteilichen Demokratie besonders dringlich ist. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob man „den plebiszitären Kräften“ ausgerechnet per Gerichtsentscheid zu ihrem Gück verhelfen kann, insbesondere in einem so sensiblen politischen Bereich wie dem Innenleben einer Partei. Lässt sich dieser Widerspruch für Sie auflösen?

Ich finde, das Zitat bringt den Widerspruch sehr gut auf den Punkt. Es ist enorm schwierig, dabei die richtige Balance zu finden. Einerseits steigt das politische Missbrauchspotential, sobald man anfängt, bestimmte Vorgaben in den Parteien staatlich durchzusetzen. Andererseits ist es offensichtlich ein Problem, wenn die parteirechtlichen Vorgaben in der Praxis ins Leere laufen. Die implizite Annahme des Parteienrechts, dass durch die Diversität der Parteimitglieder und ihre unterschiedlichen Interessenlagen ein so großes Interesse an interner Kontrolle besteht, dass die Mitglieder selbst effektiv intern für die Durchsetzung der rechtlichen Standards sorgen, bricht in sich zusammen, wenn sich eine Partei weitgehend gegen neue Mitglieder abschottet, damit autoritär durchregiert werden kann.

Das BSW legt einige problematische Schwachstelle des Parteiengesetzes offen, die bislang nicht wirklich relevant waren. Wir sollten dies zum Anlass nehmen, auch die Durchsetzbarkeit der bestehenden Regeln auf den kritischen Prüfstand zu stellen. Es ist zwar alles andere als einfach, ausgewogene Lösungen mit Augenmaß zu finden, die gleichermaßen Missbrauch verhindern und die demokratisch zwingende Freiheit der Parteien respektieren, aber zum Schutz der kritischen Infrastruktur der liberalen Demokratie ist ein solcher Prozess dringend nötig. Ich fordere beispielsweise schon lange die Einsetzung einer „unabhängigen Behörde“, die sich um die Parteienfinanzierung kümmert. Es wäre denkbar, dass so eine Institution auch das Mandat für eine gewisse Kontrolle parteirechtlicher Vorgaben erhält.

Auch in anderen europäischen Ländern sind in den letzten Jahren Parteien erfolgreich gewesen, die sehr stark an einer einzigen Person ausgerichtet sind. Die ÖVP wurde in Österreich 2017 unter dem Namen „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei (ÖVP)“ stärkste Kraft, Emmanuel Macron wälzte das französische Parteiensystem mit seiner Partei „En Marche!“ um, die bei ihrer Gründung sicher nicht zufällig seine Initialen trug, und die rechtspopulistische „Partij voor de Vrijheid“, die in den Niederlanden 2023 einen fulminanten Wahlsieg feiert, verfügt nur über ein einziges Mitglied – nämlich den Vorsitzenden Geert Wilders selbst. Liegt das BSW voll im europäischen Trend?

Es stimmt, wir sehen solche Projekte in vielen Ländern, dort gibt es allerdings auch die entsprechenden verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Wenn man sich beispielsweise anschaut, wie Emmanuel Macron seine Partei seinerzeit aufgezogen hat, da schlackern einer deutschen Parteienrechtlerin schon die Ohren. Aus unserer Perspektive ist das ein hochautoritäres Projekt, aber man kann eine französische Partei natürlich auch nicht am deutschen Parteienrecht messen. Interessanterweise bezieht sich Wagenknecht auch nicht auf Macron, sondern explizit auf den französischen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon und sieht sich mit ihrem personalisierten Parteiprojekt als Trendsetterin in Deutschland. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich stimmt oder ob im BSW nicht einfach ganz viel alte Kaderpartei à la DDR steckt.

Die Parteiforschung hat mit Blick auf die Entwicklung von Parteien zahlreiche Trends identifiziert. Erstens wächst wie geschildert die Personalisierung von Parteien.[4] Zweitens nimmt die Zahl der Parteimitglieder seit Jahrzehnten rapide ab.[5] Drittens agieren Parteien immer professioneller.[6] Viertens diagnostizierten Richard Katz und Peter Mair bereits in den 1990er-Jahren das Aufkommen des Typus der „Kartellpartei“, die eindeutig staatszentriert sei und ihre Verbindung zur Basis nur aus Legitimationsgründen erhalte.[7] Nimmt man all dies zusammen – Personalisierung, Mitgliederminimierung, Professionalisierung und Kartellierung – muss dann nicht konstatiert werden, dass das BSW in einer merkwürdigen, weil affirmativen Form, Ausdruck einer allgemeinen Krise der Parteiendemokratie ist?

Was die Personalisierung, Mitgliederminimierung und Professionalisierung (besonders bei der Gründung der Partei) anbelangt, würde ich sagen, dass diese Entwicklungen tatsächlich auf eine ziemlich merkwürdige Weise im BSW kulminieren. Bei der Kartellierung würde ich es aber anders sehen, denn als Protest- und Anti-Establishment-Partei ist das BSW aus meiner Sicht nicht primär an staatlichen Ressourcen interessiert, sondern grenzt sich sehr deutlich von den etablierten Parteien ab. Ich würde diesen internationalen empirischen Befunden aber grundsätzlich gerne die Normativität des deutschen Parteienrechts entgegensetzen. Sollen wir uns von unseren Ansprüchen an Parteien lösen, bloß, weil der empirische Trend teilweise in eine andere Richtung läuft? Ich denke, dass wir ganz im Gegenteil umso stärker am Leitbild demokratischer und pluralistischer Parteien festhalten sollen, weil solche Parteien zur kritischen Infrastruktur der liberalen Demokratie gehören.


Anmerkungen:

[1] Schönberger, Sophie (2024): There’s a new kid in town – das Bündnis Sahra Wagenknecht als Herausforderung für das Parteienrecht, Working Paper, online unter: https://wp.pruf.hhu.de/article/view/728

[2] Reimann, Anna/Röhlig, Marc (15.11.2024): Wagenknechts Kaderschmiede, in: Der Spiegel, online unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bsw-mitgliederaufnahme-beim-buendnis-sahra-wagenknecht-die-bsw-kaderschmiede-a-bb43589f-34bf-4bbe-a9ff-1615c0c50b4f [letzter Zugriff: 10.01.2025]

[3]   Grunert, Marlene/Wehner, Markus (25.10.2024): Wie finanziert sich die Wagenknecht-Partei?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, online unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bsw-konto-in-pirna-wie-finanziert-sich-die-wagenknecht-partei-110067088.html [letzter Zugriff: 10.01.2025]

[4] Für einen Überblick siehe Raupp, Juliana (2021). Personalisierung. In: Borucki, Isabelle et al. (Hrsg.): Handbuch Politische Kommunikation, Wiesbaden: Springer VS.

[5] Siehe exemplarisch für Deutschland: Niedermeyer, Oskar (2024): Parteimitglieder in Deutschland: Version 2024, in: Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 32, online unter: https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/44868/Parteimitglieder-Version-2024.pdf?sequence=1

[6] Siehe exemplarisch Bochert, Jens (2003): Die Professionalisierung der Politik. Zur Notwendigkeit eines Hindernisses, Frankfurt a.M., Campus.

[7] Katz, Richard/Mair, Peter (1995): Changing Models of Party Organization and Party Democracy: The Emergence of the Cartel Party, in: Party Politics, 1(1), 5-28.



DOI: 10.36206/IV25.1
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