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Außen- und Sicherheitspolitik

Strategische Konkurrenz im
internationalen System

Konkurrenzverhältnisse zwischen Nationalstaaten prägen die internationalen Beziehungen, die internationale Ordnung und Fragen von Krieg und Frieden. In diesem Themenbereich sollen diese vielschichtigen und komplexen Konkurrenzbeziehungen insbesondere aus der Perspektive der Strategic Studies in den Blick genommen werden.

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Die internationale Ordnung schien nach Beendigung des Ost-West-Konflikts durch die Abwesenheit strategischer Konkurrenz gekennzeichnet zu sein. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die USA unangefochten die einzig verbliebende Weltmacht. Kein anderer Staat konnte - während dieses mehr als zwei Jahrzehnte andauernden „unipolaren Moments“ - die Vereinigten Staaten auch nur ansatzweise politisch, ökonomisch, kulturell oder gar militärisch herausfordern.

Doch diese Zeit scheint endgültig vorbei zu sein. Der Aufstieg neuer Mächte sortiert die internationale Ordnung derzeit neu und verschiebt die globalen Kräfteverhältnisse. Insbesondere die Rivalität zwischen den USA und China kann inzwischen als das zentrale Leitparadigma der internationalen Beziehungen gelten. China fordert den US-amerikanischen Führungsanspruch heraus, sodass sich beide Staaten in einem Konkurrenzkampf um die globale Vormachtstellung befinden, der verschiedene Dimensionen aufweist und die (sicherheits-)politischen, technologischen, militärischen und wirtschaftlichen Dynamiken in der Welt schon heute prägt. Dies zeigt sich beispielsweise in der massiven Politisierung der Handelsbeziehungen beider Staaten: Handelsbilanzen, Zollpolitik, Lieferketten und technologische Überlegenheit bei der Produktion sensibler Güter werden von beiden Seiten „geopolitisch“ gedacht und eng mit weltordnungspolitischen Fragen verbunden. Auch militärisch fordert die VR China die USA zunehmend heraus, indem sie die Lücke zu den Potentialen der USA durch massive Aufrüstungsprogramme verkleinert und im Zuge der Ein-China-Politik mit der Eroberung Taiwans droht. In Bezug auf die militärische Dimension wird teilweise vor der Gefahr des Zuschnappens der „Thukydides-Falle“ gewarnt, die eine Konstellation beschreibt, in der eine aufsteigende Macht den etablierten Hegemon herausfordert, was historisch häufig in einer militärischen Eskalation gemündet habe. Folgenreich ist die sich zuspitzende Staatenkonkurrenz auch für multilaterale Institutionen wie die Welthandelsorganisation, deren Legitimation und Funktionsfähigkeit zunehmend erodieren. Dies liegt auch daran, dass sich die USA unterdessen von einer liberalen internationalen Ordnung, die sie als Hegemon maßgeblich gestaltet haben, offen abwenden.

Besonders deutlich wird der Bruch mit dieser regelbasierten Ordnung, deren Geltung von mächtigen Staaten bei Bedarf allerdings immer schon recht selektiv gehandhabt wurde, am Beispiel Russlands, das offen expansionistische Ansprüche hegt und durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine die europäische Sicherheitsarchitektur radikal infrage stellt. Das Land sieht sich – insbesondere unterfüttert durch sein Nuklearwaffenarsenal – als Großmacht an und beansprucht eine exklusive Einflusssphäre über große Teile des postsowjetischen Raums. Dabei wird Russland zunehmend von China, Iran und Nordkorea unterstützt (politisch, ökonomisch und militärisch), deren gemeinsames Ziel es ist, die internationale Dominanz der USA zurückzudrängen.

Neben diesen globalen Konkurrenzverhältnissen existieren auch in unterschiedlichen Weltregionen strategische Konkurrenzverhältnisse zwischen Staaten, die nach regionaler Dominanz oder gar Hegemonie streben. Besonders brisant und komplex stellt sich die Lage im Nahen Osten dar, wo der Iran mit seinen schiitischen Verbündeten in einem geopolitischen, ideologischen und sicherheitspolitischen Konflikt mit Saudi-Arabien und dessen Verbündeten steht und dabei sowohl um die Vormachtstellung am Persischen Golf als auch um die Führungsrolle in der islamischen Welt ringt. Ein zentrales Narrativ in der iranischen Politik ist zudem die Forderung nach einer Vernichtung Israels, das sich zuletzt den Golfmonarchien Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Bahrain angenähert hatte und dank seiner militärischen Dominanz und diversen erfolgreichen Militäroperationen in Nachbarländern selbst Anspruch auf den Status als regionaler Hegemon erheben kann. Dabei konnte Israel den Einfluss des Iran und seiner Proxies jüngst stark zurückdrängen.

Darüber hinaus möchten sich aufstrebende Mächte wie Indien und Brasilien auf globaler Ebne nicht mit einer neuen uni- oder bipolaren Ordnung zufriedengeben und erheben den Anspruch, die internationale Ordnung mitzuprägen und mitzugestalten. Dies gilt auch für die Europäische Union, die unter dem Stichwort der „strategischen Autonomie“ bereits seit Jahren diskutiert, wie die außenpolitische Kohärenz und Handlungsfähigkeit der EU gestärkt werden können. Wie komplex, multidimensional und politikfeldabhängig die Konkurrenzbeziehungen dieser Blöcke untereinander sein können, lässt sich an der Formulierung verdeutlichen, mit der die EU ihr Verhältnis gegenüber China definiert. Demnach sei die Volksrepublik „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ in einem. Während sich die Partnerschaft beispielsweise auf Fragen der Klimapolitik und des Handels bezieht, befinde man sich auch in einem Wettlauf um Märkte und Ressourcen. Gleichzeitig würden Chinas Weltordnungsambitionen und Versuche, sein autoritäres Modell im globalen Maßstab zu verbreiten, das Land aus Sicht der EU zu einem systemischen Rivalen machen. 

All diese Entwicklungen werden in der Forschung der Internationalen Beziehungen, aber auch der ursprünglich aus dem angelsächsischen Bereich stammenden Strategic Studies aufgegriffen, die die unterschiedlichen Dimensionen von strategischer Konkurrenz zwischen Staaten untersuchen. Als „strategisch“ werden dabei nach Joachim Krause jene politischen Prozesse verstanden, bei denen durch direkten oder indirekten Einsatz von Macht (nicht immer, aber auch durch den Einsatz militärischer Mittel) wesentliche politische Weichenstellungen erfolgen. In diesem Themenfeld erscheinen daher Beiträge, die sich mit der Beschreibung, der Analyse und der Prognose von strategischen Konkurrenzbeziehungen befassen: Welche Rolle spielen Parameter wie Wirtschaftskraft, technologische Innovation, strategische Abhängigkeiten oder Wandel in den Konkurrenzbeziehungen? Dabei wird auch die militärstrategische Dimension sowie die Konfrontation in den Domänen des Cyber- und des Informationskriegs betrachtet. Somit werden auch Themen wie Abschreckung, strategische Kultur, Verteidigung und Interventionsfähigkeit wieder relevant.