Henry Farrell/Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy
Henry Farrell und Abraham Newman zeigen anhand verschiedener Beispiele und Konfliktfälle detailliert auf, wie die USA mit ihrer Telekommunikations-, Internet- und Satelliteninfrastruktur die globale Finanz- und Informationswirtschaft ermöglichen – und so strukturelle Macht über ausländische Unternehmen und andere Länder ausüben können. Jakob Kullik lobt die Arbeit zur daraus entstehenden Konfrontationsdynamik für die kompakte „Zusammenstellung weitgehend bekannter, aber verstreuter Informationen unter der Metapher des Underground Empire“, das hierdurch sichtbar gemacht werde.
Eine Rezension von Jakob Kullik
In der politikwissenschaftlichen Betrachtung der Machtressourcen von Staaten wird sich oft an die Konzepte „Hard Power“ und „Soft Power“ des US-amerikanischen Politologen Joseph S. Nye Jr. angelehnt. Demnach haben Staaten ökonomische und militärische Hard Power-Ressourcen und Fähigkeiten und können Soft Power über kulturelle Attraktivität oder diplomatische Gefolgschaft erzeugen. Unterbelichtet bleibt dabei die strukturelle Macht, die auf Infrastrukturen und Netzwerken basiert und für beide Zwecke einsetzbar ist. Genau dieser strukturellen (Welt-)Macht widmen sich die beiden US-amerikanischen Politik-Professoren Henry Farrell und Abraham Newman in ihrem Buch „Underground Empire“, dessen Untertitel – „How America Weaponized the World Economy“ – bereits insinuiert, in welchem Sinne die USA diese Machtfähigkeit eingesetzt haben.
Es ist eine Binse zu erwähnen, dass die Globalisierung die Welt in vielfältiger Weise miteinanderverbunden hat. Vor allem die weltumspannende Telekommunikations-, Internet- und Satelliteninfrastruktur hat dies ermöglicht. Ohne diese physische Infrastruktur würde die moderne datengestützte Finanz- und Informationswirtschaft nicht existieren. Die Treiber und Profiteure dieser vernetzten Weltwirtschaft waren überwiegend private Unternehmen, die neue Geschäftsmodelle entwickelten und damit Anfang der 2000er-Jahre die Vorstellung einer durchliberalisierten „flachen Welt“[1] beflügelten, in der nationalstaatliche Grenzen zunehmend an Bedeutung verlieren würden. Doch der Gedanke, dass mehr Vernetzung automatisch mehr Kooperation bedeute und die Infrastrukturen dahinter frei von machtpolitischer Einflussnahme seien, ist den Autoren zufolge nicht (mehr) haltbar. Im Gegenteil: Die Kontrolle der „subterranean machineries“ (3) und die Arbeit an diesen sei hochpolitisch. Farrell und Newman bringen dies auf die griffige Formel: „plumbing is political“ (ebd.).
Die Spinne im Netzwerk
Der Staat, der diese Netzwerke kontrolliere und damit die Datenströme der internationalen Institutionen, sitze wie die Spinne im globalen Netz. Noch bevor Sanktionen angedroht oder Armeen in Marsch gesetzt würden, seien die Vereinigten Staaten in der Lage, ihr Underground Empire als Drohkulisse zu instrumentalisieren und wenn nötig, auch einzusetzen, um Staaten zu bestrafen oder aus dem „American imperium“ (2) auszuschließen. Dies ist der argumentative und analytische Hauptstrang des ganzen Buchs, der anhand verschiedener Beispiele und Konfliktfälle detailliert beschrieben wird.
Die sechs Kapitel des Buchs sind eine Mischung aus Technologie-, Wirtschafts- und Politikgeschichte, in deren Zentrum die Entstehung und Wandlung des US-dominierten Underground Empire im 20. und frühen 21. Jahrhundert nachgezeichnet wird. Die beiden Autoren machen allerdings gleich zu Beginn deutlich, dass mit dieser netzwerkbasierten Machtkonzentration auch große Verantwortung einhergeht und der Missbrauch Auswirkungen auf die Stabilität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat: „The United States was able to retain its empire so long because it was hidden in the shadows. Now that it has been exposed to the light, it will crumble, or worse. […] When you have built the economic equivalent of a nuclear arsenal, you shouldn’t be surprised when others think about striking first or striking back” (16). Diese in der Einleitung ausgesprochene Warnung ist nicht einfach so daher gesagt. Vielmehr schwebt sie wie ein – wenn auch schwaches Menetekel – über den behandelten Fallbeispielen.
Netzwerke und Pfadabhängigkeiten
Kapitel 1 und 2 behandeln die Entstehung und den Siegeszug US-amerikanischer Finanzdienstleister: von den Zahlungssystemen der Citibank über die Etablierung des SWIFT-Systems als zentralem Knotenpunkt der weltweiten Finanzströme. Interessant ist dabei die strukturelle Veränderung des Charakters des Internets, das ursprünglich als dezentrales, von staatlicher Macht weitgehend freies Netzwerk von Netzwerken konzipiert wurde. Im Zuge der globalen Ausbreitung dieses Netzwerks kam es jedoch aus praktischen ökonomischen Gründen zu einer Konzentration und der Ausbildung weniger zentraler Knotenpunkte. An diesen wurden neue Netzwerke errichtet, was zu konzentrierten Pfadabhängigkeiten führte. Dort, wo einmal ein Netzwerk errichtet wurde, lagen die Chancen höher, dass dieses ausgebaut und modernisiert wurde. Diese nichtintendierte Konzentration von Netzwerken führte unweigerlich dazu, dass irgendwann Staaten – zuvorderst die USA als globaler Netzwerk-Pionier – begannen, den politischen Nutzen der Netzwerkkontrolle zu entdecken und zu regulieren (37). Fortan waren Datenknoten, zentrale Finanzinstitutionen und bestimmte Schlüsselunternehmen laut den Autoren nicht mehr nur ökonomische Akteure, sondern Bausteine und Instrumente im außenpolitischen Werkzeugkasten Washingtons.
Im Ringen zwischen US-Tech-Konzernen und dem Staat um die Dominanz und regulatorische Gestaltung des Internets dominierten lange Zeit die Konzerne. Doch mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde deutlich, dass die Fähigkeiten und Befugnisse der US-Geheimdienste an die neue Bedrohungslage angepasst werden mussten. Die Folgen sind bekannt: eine enorme Vergrößerung des Sicherheitsapparats, beinahe schrankenlose weltweite Überwachungsbefugnisse und der Spitzenplatz bei den technischen Geheimdienstfähigkeiten. NSA und CIA avancierten nicht nur zur hochleistungsfähigen Speerspitze der US-amerikanischen Globalspionage, sondern auch zu den stillen Hütern des Netzwerkimperiums. Diese überlegenen Fähigkeiten würden auch gern von den europäischen Verbündeten genutzt, die sich offiziell zwar mit strengen Datenschutzgesetzen adelten, aber insgeheim fester Bestandteil des amerikanischen Underground Empire seien. Ausspähen unter Freunden geht eben doch und ist überdies gelebte Praxis in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Debatten über eine multipolare Weltordnung oder eine größere technologische Souveränität der EU sind gemäß den Autoren daher nicht selten substanz- und folgenlos, denn in der Realität sind und bleiben die europäischen Staaten fürs erste „heavliy dependent“ (65) von den USA.
Um dies zu ändern, müssten zur militärischen Zeitenwende bei der Bundeswehr zusätzlich noch eine netzwerkinfrastrukturelle und eine nachrichtendienstliche Wende hinzukommen, ergo eigene Netze, Datenknoten, potente Nachrichtendienste und dazu noch europäische Tech-Konzerne, die das European Underground Empire verwalten und fortentwickeln würden. Davon ist derzeit nichts zu sehen.
Auftritt Chinas
Der einzige Staat, der ernsthaft die US-Netzwerk- und Währungsdominanz herausfordert, ist die Volksrepublik China. In Kapitel 3 (War without Gunsmoke) wird auf das Ringen der beiden Tech-Supermächte eingegangen. Der Erfolg chinesischer Technologiegiganten von Huawei bis Alibaba und seit neuestem auch in der E-Auto-Branche habe die Sorgen in Washington wachsen lassen, wonach die eigene Führungsposition in Gefahr sei. Der amerikanisch-chinesische Kampf um ökonomische und technologische Vorherrschaft und Souveränität werde dabei auf beiden Seiten von verfestigten strategischen Vorstellungen und Gegnerperzeptionen angetrieben, die seit einiger Zeit scheinbar unaufhaltsam in Richtung Konfrontation steuerten. Graham Allisons Thukydides-Falle lässt grüßen! „Even if Huawei’s global reach wasn’t the result of a Chinese plot (many U.S. politicians believed that it was), America knew from its own experience how quickly commercial success could be transformed into imperial power“ (81). Diese imperiale Macht solle aus US-Sicht im Falle Chinas verhindert oder zumindest eingedämmt werden, was allerdings mit Blick auf die globale Verbreitung chinesischer Technologie – angefangen vom Alltags-Smartphone bis zur 5G-Technologie – mittlerweile nicht mehr allzu realistisch erscheint.
Hier haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten die technologisch-industriellen Fertigungskapazitäten so massiv zugunsten Chinas verschoben und infolgedessen eine wertschöpfungsstufenübergreifende Lieferketten-Dominanz erzeugt, die nur noch schwerlich von den USA – und selbst dem vereinten Westen – aufgebrochen werden könnten. Huawei, Halbleiter, Taiwan – diese Namen, Technologien und Schlüsselländer sind laut Newman und Farrell auf der Weltkarte der Verwundbarkeiten neuralgische choke points, um die bisher „nur“ mit politisch-regulatorischen, handelspolitischen und diplomatischen Mitteln gekämpft wird. Immerhin einten die USA und China ihre strategische Sicht auf Technologie als Element nationaler Sicherheit: „Telecommunications switches were like armies – if you didn’t control them, you didn’t control your national security“ (88). Informierte deutsche Zeitungsleserinnen und Zeitungsleser wissen um die endlosen Debatten um den Einbau von 5G-Technologie von Huawei in das deutsche Telefon- und Internetnetz. Hieran wird das Fehlen einer integrierten Sicherheitsbetrachtung, wie sie erst seit 2023 in der ersten nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung festgehalten wurde, überdeutlich.
Farrell und Newman zeigen anhand diverser Beispiele, wie China versucht, dem Griff des US-Underground Empire zu entkommen oder diesen zumindest zu lockern. Hierzu zählen eigene Finanzdienstleister, neue Digitalwährungen, nationale Tech-Champions, Protektionismus und massive Subventionen. Doch noch reicht es nicht, die USA vom Thron zu verdrängen, denn es mangele nicht nur an der kritischen Netzwerkmasse, sondern auch an Alliierten, Vertrauen und einem unabhängigen Rechtsstaat, der die Kommunistische Partei Chinas zu bändigen vermag. All dies werde China als Parteidiktatur selbst mit noch so viel Anstrengung und Mitteln auf absehbare Zeit nicht erreichen. Auf der Habenseite der USA stünden daher bis auf weiteres die führenden IT-Giganten des Silicon Valley, die besten Geheimdienste, der Zugriff auf die weltweiten Datenströme und der Dollar als unangefochtene Weltwährung. „Judged by the size of its economy, China was a global power. Judged by its influence over global economic networks, it was at best an also-ran. The United States could use its underground empire to pass the painful costs of coercion onto allies and enemies” (110).
Die aktuelle Konfrontationsdynamik ist hochrisikoreich
Doch gerade hier liegt den Autoren zufolge auch eine große Gefahr für die USA: Denn je mehr sie ihre Macht ge- und missbrauchen, desto größer wird der Unmut darüber selbst unter den Verbündeten. Und für das internationale Wirtschaftssystem sei die derzeitige Konfrontationsdynamik unberechenbar und hochrisikoreich. Die beiden Autoren schließen daher mit einem eher düsteren Ausblick, in dem sie vor dem imperialen Machtmissbrauch durch die USA warnen: „Today, a new spiral of economic confrontation is slowly gathering strength. It might tear the global economy apart or even pull the world into actual war“ (191). Und wie schnell Imperien absteigen können, zeigt ein Blick in die Geschichte. Das amerikanische Underground Empire, das große Freiheit, Wohlstand und weltweiten Austausch mit sich gebracht hat, ist daher in mehrfacher Hinsicht in Gefahr: durch geopolitische Herausforderer, aber auch durch die Hybris in Washington. Und die Europäer schauen vom Rand aus zu und hoffen, dass alles so bleibt, wie es ist.
So klar und überzeugend diese Analyse ist, so wenig überzeugen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Farrell und Newman schlagen etwa ein Forum für die USA, China und andere bedeutende Staaten vor, „where they can frankly discuss the risks of weaponizing the world economy and build the necessary guardrails to mitigate them” (209). Ein runder Tisch, an dem die wichtigsten Akteure sich über globale Probleme austauschen. Das ist nun wirklich wenig innovativ und es adressiert auch nicht das Kernproblem. Denn es mangelt nicht an zu wenig Austauschformaten, sondern am ernsthaften Willen zum Dialog und zum Kompromiss.
Eine gelungene Analyse mit Schwächen
Das Buch ist insgesamt eine spannend geschriebene und erhellende Tour durch die Untiefen des Underground Empire, und wurde vielfach hochgelobt. Und in der Tat ist es eine gelungene Analyse, die allerdings auch einige Schwächen hat. So sind viele der genannten Fakten und Zusammenhänge in der Summe nicht neu. Kennerinnen und Kenner der IT- und Geheimdienstszene wissen längst um die Möglichkeiten der US-Dienste. Und zu Chinas Überwachungsstaat wird seit Jahren vielfach publiziert. Das eigentliche Verdienst des Buchs besteht vielmehr in der kompakten Zusammenstellung weitgehend bekannter, aber verstreuter Informationen unter der Metapher des Underground Empire, das nach der Lektüre etwas weniger geheimnisvoll sein sollte.
Anmerkungen:
[1] Friedman, Thomas (2006): Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts, Berlin: Suhrkamp.
Außen- und Sicherheitspolitik