Politikwissenschaftler Marco Overhaus: „Die zweite Trump-Präsidentschaft wird dazu führen, dass die drei Säulen der Pax Americana tatsächlich zusammenbrechen.“
Die Pax Americana bezeichnet die Zeit relativer Stabilität nach 1945, in der die USA zur global führenden ökonomischen, militärischen und kulturellen Macht aufstiegen und internationale Institutionen sowie Allianzen entstanden. Obwohl diese liberale internationale Ordnung auch auf Konsens und Kooperation basiert, blieben die USA im Kern ihr einziges, teils widersprüchlich agierendes Machtzentrum. Unter Trump verabschiedet sich Amerika vom Anspruch der Ordnungsmacht. Tanja Thomsen hat mit Marco Overhaus über das Konzept des amerikanischen Friedens, sein Ende und Chancen für eine Ordnung danach gesprochen.
Herr Overhaus, was weiß die Politikwissenschaft darüber, wie das Verhältnis von Demokratie, Sicherheit und Frieden innerhalb der Pax Americana verstanden wurde? Sie haben den Begriff der Pax Americana so beschrieben, dass darunter im Kern ein positiver Zusammenhang zwischen US-amerikanischer Macht und Sicherheit im internationalen System[1] angenommen wird.
Ich habe mich in meinem Buch „Big Brother Gone. Europa und das Ende der Pax Americana“[2] vor allem mit dem Verhältnis zwischen verschiedenen Ausprägungen von Macht – militärischer, wirtschaftlicher und auch normativer Macht – und Sicherheit beschäftigt. Es sind mehrere Ansätze in der Forschung, die sich darauf beziehen und die für die Idee der Pax Americana wichtig sind: Erstens liberale Theorien der Außenpolitik, die einen engen Zusammenhang zwischen der inneren Herrschaftsform – in diesem Fall der liberalen Demokratie – und der Außen- und Sicherheitspolitik herstellen, wo also Regelbasiertheit und der Modus der Kompromissfindung im Konfliktaustrag von innen auch auf außen übertragen werden. Deswegen besteht hier ein Zusammenhang zwischen Macht und Außenpolitik, zwischen Macht und Sicherheit. Zweitens hängt damit auch die Theorie des demokratischen Friedens zusammen, die im Wesentlichen postuliert, dass Demokratien in der Regel keine Kriege gegeneinander führen. Eine dritte wichtige Perspektive ist die Theorie hegemonialer Stabilität, die sich wiederum auch auf die Theorie öffentlicher Güter stützt. Demnach ist ein sehr mächtiger Staat bzw. Hegemon nötig, um öffentliche Güter wie Sicherheit bereitzustellen. All das spielt eine Rolle in der Grundidee der Pax Americana.
Sie sagten, dass der in der Pax Americana sprachlich angelegte Begriff „Frieden“ sehr viel voraussetzungsreicher als „Sicherheit“ sei[3]. Mögen Sie diesen Gedanken weiter ausführen?
Ich beschäftige mich in meinem Buch mit einem engen Verständnis von Sicherheit, die im Grunde genommen die Abwesenheit von systematischer Gewalt und Krieg meint, vor allem auch von zwischenstaatlichem Krieg. Frieden ist viel voraussetzungsreicher und auch normativer. Es ist mehr als die bloße Abwesenheit von Gewalt. Es geht auch um gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren, die diese Abwesenheit begünstigen: Strukturelle Umweltbedingungen, die Gewalt erst ermöglichen, sollen reduziert werden. Das betrifft soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, auch Gerechtigkeitsfragen bis hin zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.
Die USA formulierten einst den Anspruch, international anders als klassische Imperien mit machtpolitischer Selbstbeschränkung[4] führen zu wollen. Wir haben aber auch eine „militarisierte Pax Americana“ im Sinne von „gewaltsamer Demokratisierung“ unter Präsident George W. Bush gesehen. Wie hat sich das Verständnis der Pax Americana in den USA demnach gewandelt?
Die Grundidee der Pax Americana ist über mehr als 100 Jahre in den USA gleichgeblieben. Nämlich, der Anspruch der USA mit der Macht, über die sie verfügen, für Sicherheit und Stabilität in der Welt sorgen zu können. Der Begriff hat sich gleichwohl über die Zeit verändert. Zum ersten Mal trat er zum Ende des 19. Jahrhunderts in einigen Fachveröffentlichungen in Amerika auf. Dabei ging es bis in die 1920er-Jahre hinein vor allem um Sicherheit und Stabilität in der westlichen Hemisphäre.[5] Dann kam der 1. Weltkrieg und da ging es tatsächlich sehr um den Zusammenhang von Demokratie und Sicherheit sowie von Demokratie und Frieden. Dies spiegelte sich in den berühmten Worten von Präsident Wilson wider: „The world must be made safe for democracy.[6]." Unter Präsident George W. Bush war ein sehr militarisiertes Verständnis von Sicherheit mit einer Kombination von normativer, wertegeleiteter Überhöhung, imperialen Elementen und dem Einsatz von militärischer Gewalt Kennzeichen der Pax Americana. Das Verständnis hat sich also mit der Zeit verändert.
Welche Unterschiede gab es im Verhältnis zu den jeweiligen Weltregionen? Wirkte sich die Pax Americana in Europa anders aus als beispielsweise in Südostasien?
Es hing tatsächlich stark von der Weltregion ab, welche Bedeutung die unterschiedlichen Komponenten – Militär, Wirtschaft und Werte – der Pax Americana jeweils hatten. Vor allem im Verhältnis zu Europa und teilweise, wenn auch deutlich weniger, mit Blick auf Asien war die Idee der Pax Americana stark mit liberal-demokratischen Werten verknüpft. In Europa traf sie in der Nachkriegszeit auf eine Neuausrichtung der europäischen Ordnung: Bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaften und der NATO ging es dem Anspruch nach schon sehr früh auch um Werte und Demokratie. In Asien war das teilweise der Fall: Südkorea war beispielsweise bis in die 1980er-Jahre hinein keine echte liberale Demokratie, aber trotzdem ein Bündnispartner der USA. Am wenigsten anschlussfähig war die liberale Komponente der Pax Americana im Nahen und Mittleren Osten. Bis heute hat es hier, vielleicht mit Ausnahme Israels, im Grunde keine liberale Demokratie gegeben.
Sie vertreten die These[7], dass die Pax Americana auf drei Säulen ruhte – militärische Dominanz der USA, ihre wirtschaftliche Offenheit und liberal-demokratische Grundlagen US-amerikanischer Außenpolitik –, die allesamt schon vor Präsident Trump bröckelten. An welchen Wendepunkten oder Ereignissen machen Sie das fest?
Es ist eine Mischung. Es gibt klare Wendepunkte oder zumindest Wegmarken in einem Erosionsprozess, der sich schleichend über einen längeren Zeitraum vollzog. In militärischer Hinsicht war sicherlich die Reaktion der USA auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 maßgeblich: der Krieg gegen den Terrorismus, in der Folge auch die Intervention in Afghanistan und der Einmarsch in den Irak. Das hat militärisch zu einer enormen Überdehnung der USA geführt, aber auch zu einer Delegitimierung US-amerikanischer Macht, besonders im Nahen und Mittleren Osten.
In wirtschaftlicher Hinsicht begann die Erosion der Pax Americana bereits in den 1970er-Jahren mit der Krise des Währungssystems und vollzog sich dann mit dem zunächst relativen wirtschaftlichen Bedeutungsverlust in den USA, vor allem gegenüber China. Hinzu kam der „Chinaschock“, bei dem die aufholende Industrialisierung Chinas in gewissem Umfang auch Arbeitsplätze in den USA kostete. In der zweiten Amtszeit von Präsident Obama hinterfragten die USA erstmals grundsätzlich die Welthandelsorganisation und begannen, deren Streitschlichtungsmechanismus zu blockieren.
Was die liberal-demokratischen Grundlagen amerikanischer Außenpolitik angeht, so war auch hier der 11. September 2001 ein Wendepunkt, weil im Zuge des Krieges gegen den Terror auch die Befugnisse des US-Präsidenten und weitere Befugnisse der Exekutive stark ausgeweitet wurden. Hier wurde die von Arthur M. Schlesinger einst für Präsident Lyndon B. Johnson und Präsident Richard Nixon postulierte „imperiale Präsidentschaft“ wiederbelebt. Eine klare Zäsur ist sicherlich die zweite Amtszeit Donald Trumps, der liberal-demokratische Normen und Institutionen in den USA nunmehr offen angreift.
Der Begriff der „imperialen Präsidentschaft“ fiel im Zusammenhang mit George W. Bush und wird nun auch für Donald Trump verwendet. Wie unterscheiden sich die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der zweiten Trump-Administration vom neokonservativen Ansatz der Bush-Administration?
Wir sahen unter der Präsidentschaft von George W. Bush eine Außen- und Sicherheitspolitik, die durch eine extreme Übersteigerung von Werten und militärisches Eingreifen gekennzeichnet war. Die Kombination von Moral und Militär bis hin zu klaren, offenen imperialen Ambitionen: Das Ziel der USA war es, die Herrschaftsverhältnisse in anderen Staaten, insbesondere im Irak und in Afghanistan, mit militärischer Gewalt grundlegend zu ändern. Und daran sind die USA und ihre westlichen Verbündeten im Rahmen der NATO, jedenfalls was Afghanistan angeht, deutlich gescheitert.
Bei Trump spielen imperiale Gedankenspiele auch eine zentrale Rolle, wenn wir auf Aussagen zu Grönland, dem Panamakanal oder Kanada als 51. Bundesstaat der USA blicken. Aber es fehlt an ideologischer Konsistenz in der Außen- und Sicherheitspolitik. Diese Administration hat keine klare außenpolitische Strategie. Es wird nicht definiert, was die außenpolitischen Ziele der USA sein sollen und mit welchen Mitteln man sie zu erreichen gedenkt. Es ist meines Erachtens eine Mischung aus Isolationismus, Unilateralismus und imperialen Ideen.
Sie vertreten die These, dass die Pax Americana vorüber ist. Woran machen Sie das fest?
Die Pax Americana ist schon seit Jahren eine Art „Zombie“ gewesen. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass die Pax Americana eine Idee ist. Eine weiterhin sehr mächtige Idee, die in amerikanischen Politikkreisen stark verankert[8] ist. Bei der aber die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit schon vor Trump immer größer geworden ist. Allerdings ist diese Kluft unter der zweiten Trump-Regierung so offensichtlich geworden, dass die Idee praktisch tot ist und wir darüber nachdenken müssen, was nach der Pax Americana kommt. Ich würde sagen, dass die zweite Trump-Präsidentschaft dazu führen wird, dass die drei Säulen der Pax Americana tatsächlich zusammenbrechen.
Sie haben über den „Schatten einer illiberalen Außenpolitik“ unter Trump geschrieben und drei Felder unterschieden, in denen illiberale Tendenzen in den USA die Außenpolitik beeinflussen könnten[9]: Erstens in der Art und Weise, wie die USA künftig ihre Führungsrolle in ihren Allianzen ausgestalten; zweitens dem Stellenwert der Verteidigung demokratischer Werte für die Rolle der USA im Kontext europäischer Sicherheit; und drittens die globale Führungsrolle der USA. Was meinen Sie mit innenpolitischer Illiberalität und inwiefern hat dies konkrete Auswirkungen auf die amerikanische Außenpolitik?
Die Kernidee lautet, dass es einen engen Zusammenhang zwischen den innenpolitischen Verhältnissen und dem außenpolitischen Auftreten der USA gibt. Konkret bedeutet dies, dass illiberale Tendenzen im Inneren auch zu einer illiberaleren Außen- und Sicherheitspolitik führen können. Dies ist meines Erachtens schon beobachtbar, auch wenn es wichtig sein wird, dies mit einem gewissen zeitlichen Abstand nochmals genau zu untersuchen und zu vergleichen, was von dem, was Trump jetzt tut, langfristig erhalten bleiben wird.
Liberalismus im Inneren bedeutet etwa, dass grundlegende Freiheitsrechte geachtet werden – Stichwort Habeas Corpus, sprich der Schutz vor willkürlichen Verhaftungen oder das Erfordernis, dass es einen geordneten juristischen Prozess geben muss, bevor Menschen ihrer Freiheit oder ihres Eigentums beraubt werden können. Das sind Dinge, die die Trump-Regierung recht offen verletzt. Hinzu kommt die Ausweitung exekutiver Macht. Das Einreißen von Schranken für das Handeln des Präsidenten ist ein wesentliches Element von Illiberalität in den USA. Und das setzt sich insofern fort, dass die USA auch Schranken für ihr außenpolitisches Verhalten durch multilaterale Institutionen und deren Regeln immer weniger anerkennen und niederzureißen versuchen.
Letzteres ist zunächst nichts grundlegend Neues. Die USA haben immer auch unilateral gehandelt, auch wenn bestimmte Administrationen wie die Obama-Regierungen oder die Biden-Regierungen ihre Außenpolitik stärker an multilateralen Organisationen ausgerichtet haben. Aber die Art und Weise, wie jetzt auch der Anspruch fallengelassen wird, dass es im außenpolitischen Handeln Beschränkungen gibt, das ist sehr spezifisch für Trump.
Mitglieder der Trump II-Administration zeigten wiederholt offene Unterstützung für teils rechtsextreme Parteien in Europa. Stellt dieses Streben, das eigene illiberale Gedankengut und den Kulturkampf zu exportieren, eine Herausforderung für die innere, demokratische Verfasstheit der Europäischen Union dar?
Aus meiner Sicht ist es nicht unbedingt eine Unterstützung der Trump-Regierung für rechtsextreme Parteien. Wohl aber eine Unterstützung für Parteien, die einen konservativen Populismus pflegen, der Ähnlichkeiten mit der „Make America Great Again“-Ideologie Trumps hat. Da gibt es gewisse Übereinstimmungen, etwa in der Charakterisierung von Migration und Globalisierung als die zwei Grundübel aller möglichen politischen Probleme. Und auch das klassisch populistische Element, wonach vermittelnde Institutionen abgelehnt werden, die den vermeintlich „wahren Volkswillen“ verfälschen. Im Kontext der USA sind es aktuell die Gerichte, es können aber auch Medien oder parlamentarische Strukturen sein. Trump beansprucht im Lichte seines Wahlsieges von 2024 jenen Volkswillen in Amerika, das wirklich Amerikanische, zu repräsentieren. Und wer nicht seiner Meinung ist, wird als „undemokratisch“ oder „unamerikanisch“ kritisiert. Diesen Populismus, diese Art von Antimigration, Antiglobalisierung, Antiestablishment und Anti-Institutionalismus sehen wir auch bei vielen rechtskonservativen, vielleicht auch teilweise linkskonservativen und populistischen Parteien in europäischen Staaten. Die Bereitschaft und der Wille der Trump-Regierung, diese Ideologie auch zu exportieren und in anderen Ländern zu pflegen, das ist schon eine sehr besondere Herausforderung, die wir so von anderen US-Administrationen tatsächlich noch nicht kennen.
Mit Blick auf die bisher auch an geteilte Werte geknüpfte sicherheitspolitische Unterstützung der USA wirft dies die Frage auf, ob sich liberal-demokratische Staaten in Europa noch auf den Schutz der USA verlassen können. So machte der US-Vizepräsident europäischen Verbündeten auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Vorwurf der Einschränkung der Meinungsfreiheit und formulierte den Satz: "If you are running in fear of your own voters, there is nothing America can do for you".
Für mich steht tatsächlich die Frage im Raum, ob ein illiberales Amerika tatsächlich noch ein Sicherheitsgarant für Europa oder für den europäischen Teil der NATO sein kann. Die europäische Sicherheitsordnung – jedenfalls so, wie die meisten EU- und europäischen NATO-Staaten sie denken und auch realisieren wollen und wie sie auch mit der Charta von Paris Anfang der 1990er-Jahre vorgesehen war – basiert auf liberal-demokratischen Werten. Wenn wir über Sicherheit in Europa reden, dann geht es auch um die Verteidigung dieser Werte. Darin unterscheidet sich die europäische Sicherheitsordnung meines Erachtens von anderen Sicherheitsordnungen, etwa im Nahen Osten oder teilweise auch im Indopazifik, wo liberal-demokratische Werte in der regionalen Zusammenarbeit einen weitaus geringeren Stellenwert einnehmen. Und in dem Maße, wie sich die USA selbst von diesen Werten verabschieden, sind sie als Sicherheitsgarant in Europa weniger glaubwürdig.
Sie stellten fest, die Zielsetzung der Pax Americana habe ihr Gegenteil bewirkt: Werte seien international zu Konflikttreibern geworden[10]. Wie meinen Sie das?
Ich denke, was Russland, China und andere autoritär regierte Länder vor allem ablehnen, sind der Liberalismus und liberal-demokratische Herrschaftsformen, weil sie die eigene Machtbasis hinterfragen: Putin und Xi Jinping in der Kommunistischen Partei Chinas sehen in diesen Werten und dem Versuch ihrer Ausweitung eine Sicherheitsbedrohung für ihre eigenen Regime. Das ist meines Erachtens immer die zentrale Herausforderung dieses liberalen Verständnisses der Pax Americana gewesen: Nicht nur liberale Demokratien im Westen verfolgen das Ziel, ihre Werte in ihrem internationalen Umfeld stärker zu verankern, um sich selbst zu schützen, sondern auch autoritär regierte Staaten folgen dieser Logik. Dieser Mechanismus von innen nach außen funktioniert nicht nur im Sinne von westlichen Demokratien, sondern funktioniert auch im Sinne von Autokratien. Deswegen sind Werte zu so einem wichtigen Konflikttreiber in den internationalen Beziehungen geworden.
Sie vertreten die Auffassung, dass nach dem Ende der Pax Americana anstelle der von den USA dominierten liberalen Ordnung etwas käme, das als “multilaterale Multipolarität“[11] bezeichnet werden könne: Eine internationale Ordnung, in der Einfluss und Gewicht zwischen den Staaten – demokratisch wie autoritär verfassten – neu verteilt und die bestehenden internationalen Institutionen entsprechend reformiert werden. Interessensgeleitete Außenpolitik zwischen Staaten unterschiedlicher politischer Verfasstheit gab es zuvor im Rahmen der liberalen Ordnung auch, worin bestünde nun der Unterschied?
Die sogenannte liberale internationale Ordnung war ähnlich wie die Pax Americana immer auch eine Idee, die die Außen- und Sicherheitspolitik der USA und anderer westlicher Demokratien angeleitet hat. Sie war nie eine Realität, die völlig dem Anspruch genügte und in der ganzen Welt Verbreitung gefunden hat. Insofern ist es auch hier, wie schon bei dem Konstrukt der Pax Americana, wichtig, zwischen dem Anspruch einer Idee und der Realität zu unterscheiden. Die Vorstellung, dass die internationalen Beziehungen vor allem ein Kräftespiel zwischen stärkeren und weniger starken Staaten sind und sich der Stärkere letztendlich durchsetzt, widerspricht dieser Idee der liberalen internationalen Ordnung.
Können die Institutionen der liberalen Ordnung ohne die Ordnungsmacht USA weiter bestehen bzw. welche Anpassungsleistungen müssten sie erbringen?
Die Vorstellung, dass es internationale Ordnung und auch die Bereitstellung von öffentlichen Gütern wie Sicherheit und Wohlstand ohne einen Hegemonen geben kann, ist in der Erforschung der internationalen Beziehungen intensiv diskutiert worden. Und ich denke, dass die Forschung gezeigt hat, dass es möglich ist, auch ohne eine alles dominierende Militär- und Wirtschaftsmacht Sicherheit und Stabilität zu schaffen und dabei auf Institutionen zurückzugreifen. Die Herausforderung nach der Pax Americana besteht darin, die politische Führung, aber auch die teilweise sehr substanziellen materiellen Beiträge der USA dort zu kompensieren, wo sich Amerika zurückzieht. Es müssen politische und materielle Leerräume gefüllt werden. Naturgemäß bedeutet dies, dass andere Länder, darunter eben auch nichtdemokratische, die andere Werte vertreten, wichtiger werden. Die Staaten, die gemeinhin dem politischen Westen zugeordnet werden, und nicht-westliche Staaten müssen wieder stärker zum Konsens finden. Das betrifft auch die Reform der Entscheidungsstrukturen in jenen internationalen Organisationen, angefangen bei den Vereinten Nationen, die die Weltordnung und regionale Ordnungen tragen. Insgesamt bedeutet das notwendigerweise auch eine größere Repräsentanz der nichtwestlichen Welt, also von Staaten, die wir oft unter dem Begriff des globalen Südens zusammenfassen.
Wenn man der These folgt, wonach wir uns in einer postliberalen internationalen Ordnung entweder auf ein Konzert der Mächte[12] zubewegen oder sich eine sogenannte Pentarchie[13] aus Indien, China, den USA, Europa und Russland mit ihren Einflusszonen entwickeln könnte, dann können regelbasierte Institutionen für Staaten attraktiv sein. Es kann aber auch konfliktträchtig sein, wo sich solche Staaten zugleich in eben solchen Einflusszonen befinden. Besteht eine Herausforderung für die Institutionen darin, Strukturen anzubieten, die Sicherheit versprechen?
Ja, ich gehe davon aus, dass die Mehrzahl der Staaten dieser Erde kein Interesse an einer solchen Pentarchie hat. Es gibt viele Mittelmächte, die heute teilweise Bündnispartner der USA sind, wie Deutschland, Südkorea, Japan, aber auch viele andere Länder, die wichtig und einflussreich, aber keine Großmächte sind. Und das gilt erst recht für kleinere Staaten, die ebenfalls auf die Zusammenarbeit mit ihren Nachbarstaaten angewiesen sind und nicht einfach nur Teil einer Einflusszone sein möchten, in der sie Befehlsempfänger der jeweiligen Großmacht sind. Das ist das Momentum, das man nutzen kann, ob es nun Demokratien sind oder nicht. Die Mehrzahl der Staaten haben ein Eigeninteresse an einer gewissen Regelbasiertheit der Ordnung und der Funktionsfähigkeit von multilateralen Institutionen, die ihnen Mitspracherechte ermöglichen.
Meiner Ansicht nach kann man darauf sehr stark aufbauen, weil die liberale, internationale Ordnung in der Vergangenheit ja stets zwei Dimensionen aufwies: Eine bezog sich auf das gedeihliche Zusammenleben der Staaten, also das Völkerrecht, das Seerecht und alle möglichen Konventionen, die das friedliche Miteinander untereinander regeln. Aber die zweite Dimension war sozusagen ausgreifender, da mit dem Anspruch verbunden, liberal-demokratische Werte zu verbreiten – teilweise sogar mit militärischen Mitteln. Ich würde sagen, das Verständnis von Liberalismus in den internationalen Beziehungen als gedeihliches Zusammenarbeiten und Zusammenleben, das ist weiter extrem wichtig und muss auch die neue Ordnung nach der Pax Americana prägen. Dagegen ist der Anspruch, liberal-demokratische Werte in den Ländern zu verankern und die Demokratie sozusagen in die Welt zu tragen, etwas, woran der Westen in der Vergangenheit gescheitert ist. Wie ich sagte, ist der Schutz liberal-demokratischer Werte innerhalb der Europäischen Union und der europäischen Sicherheitsordnung weiterhin sehr zentral und eng mit der eigenen Sicherheit verbunden. Aber in anderen Weltregionen ist das nicht oder zumindest nicht in gleichem Maße der Fall.
Ist die liberale Demokratie global gesehen heute noch eine Herrschaftsform, die Staaten Sicherheit im internationalen Gefüge verspricht?
Ja, das denke ich schon. Es ist nach wie vor so, dass demokratische Regierungsformen, wie auch immer sie konkret ausgeprägt sind, mehr Sicherheit versprechen als autoritäre Regierungsformen. Aber das bedeutet nicht, dass es klug wäre, jetzt darauf zu setzen, liberal-demokratische Werte mit Druck, Sanktionen oder sogar Gewalt irgendwie in der Welt zu verbreiten. Das würde mehr Unsicherheit schaffen. Trotzdem sind demokratische Regierungsformen weiterhin attraktiv und verbreitet, auch wenn sie zurzeit eher in der Defensive zu sein scheinen.
Anmerkung aus der Redaktion: Dieses Interview wurde am 5. Juni 2025 geführt.
Anmerkungen:
Die Fragen stellte Tanja Thomsen.
Marco Overhaus / 15.04.2025
Big Brother Gone. Europa und das Ende der Pax Americana
Frankfurter Allgemeine Buch
Externe Veröffentlichungen
Jahara Matisek, James Farwell / 02.05.2025
Trump’s national security strategy: from Pax Americana to Pact Americana
The Strategist — The Australian Strategic Policy Institute Blog.
Kathryn Levantovscaia / 17.04.2024
Pax Americana vs. autonomy: How the US and EU defense industrial strategies diverge
Atlantic Council
Mehr zum Themenfeld Internationale Ordnung und Institutionen