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Rezension / 02.05.2025

Christian Bueger, Timothy Edmunds: Understanding Maritime Security

Oxford, Oxford University Press 2024

Christian Bueger und Timothy Edmunds führen in die maritime Sicherheit ein und erklären, wie zwischenstaatliche Konflikte, Terrorismus oder Piraterie, Schmuggel und illegale Fischerei das Feld bestimmen, in dem neben unterschiedlichen Akteuren auch Themen wie kritische Infrastruktur, neue Technologien, Cybersicherheit, Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und das Wiederaufleben der Geopolitik zunehmend eine Rolle spielen. Dabei stellen die Autoren auch maritime Sicherheitslösungen vor. Sebastian Bruns lobt das Buch als wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Verständnis des Themenkreises.

Eine Rezension von Sebastian Bruns

Maritime Sicherheit ist in aller Munde. Ob Sabotage und Sanktionsbrüche in der Ostsee, ob Flüchtlingsrettung im Mittelmeer, ob Angriffe von Huthi-Rebellen auf die internationale Handelsschifffahrt im Roten Meer oder Chinas illegale Landnahme im Südchinesischen Meer, dazu die Auswirkungen des Klimawandels auf die Meere oder Raubfischerei mit schwimmenden Fischfabriken vor den Küsten Afrikas und Asiens: Die maritime Domäne steht im Mittelpunkt vieler aktueller politischer Diskussionen und Problemstellungen. Dabei geht es nicht nur um die Nutzung militärischer Mittel. Vielmehr sind auch polizeiliche und diplomatische Maßnahmen gefragt, um soziale, ethische oder volkswirtschaftliche Güter wirksam zu schützen.[1] Das facettenreiche Konzept der maritimen Sicherheit rückt so auch verstärkt in den Fokus der breiteren Öffentlichkeit jenseits der Hafen- und Marinestädte. In einer komplexen, von vielen Interdependenzen geprägten Welt werden maritime Abhängigkeiten und Anfälligkeiten meist dann deutlich, wenn es aussagefähige Bilder gibt – oder wenn die Preise im Supermarkt und an der Tankstelle drastisch steigen. Die Blockade im Suez-Kanals durch den manövrierunfähigen Containerfrachter „M/V EVER GIVEN“ im März 2021 illustriert diese Problematik. Schnell wird deutlich, dass die Meere miteinander zusammenhängen und sicherheitspolitische Krisen auf See nicht nur im direkten Bezug mit Problemen an Land stehen (und dort auch gelöst werden müssen), sondern auch spill-over effects in entfernte Regionen haben können.

Die Bedeutung der Meere für den Welthandel

Unsere Just-in-Time-Globalisierung funktioniert nur mit freien und sicheren Seewegen. Die Schifffahrtsrouten und die Seekabel sind die maritime Entsprechung des Internets. Hier werden 90 Prozent des Welthandelsvolumens befördert, zwischen 95 und 99 Prozent aller Datenströme laufen über Seekabel. Der maritime Raum ist Ort der Energiegewinnung und -versorgung, er ist Transport- und Erholungsraum und nicht zuletzt auch Ort der Nahrungsgewinnung für Milliarden von Menschen. Erschütterungen haben daher Kaskadeneffekte.

In diesem Kontext darf das von Christian Bueger und Timothy Edmunds 2024 vorgelegte und hier besprochene Buch als wesentlicher Beitrag zum allgemeinen Verständnis des Themenkreises verstanden werden. Der in Kopenhagen tätige Bueger und sein britischer Kollege Edmunds tummeln sich seit über anderthalb Jahrzehnten im Bereich der maritimen Sicherheit. Das Thema war wissenschaftlich und praktisch bis in die frühen 2000er-Jahre wenig erschlossen und wurde im Wesentlichen durch die militärische Brille betrachtet. Die von der Kopenhagener Schule der Internationalen Beziehungen ausgehende Versicherheitlichung vieler Lebensbereiche einerseits und das Aufkommen moderner Piraterie vor Somalia zwischen 2008 und 2012 andererseits führte zu einem nachhaltigen Erblühen von maritimer Sicherheitsforschung, obschon sich die Wurzeln der Maritimen-Sicherheitsagenda bis in die 1990er-Jahre zurückverfolgen lassen (22).

Maritime Sicherheit nach der Beendigung des Kalten Krieges

Nachdem viele europäische Mächte ihre Seestreitkräfte nach Ende des Kalten Krieges abgerüstet hatten[2] und die sicherheitspolitischen Probleme jener Zeit vor allem in landzentrischen Konflikten in Asien zu finden waren, übernahmen auch Marinen die maritime Sicherheit verstärkt in ihr Aufgabenportfolio, zunächst um die Jahrtausendwende durch die Anti-Terrorismusbrille, später im Bereich Seeräuberbekämpfung. Dass jedoch nur ein Teil der Probleme auf See mit dem scharfen Schwert gelöst werden kann, insbesondere in hybriden und asymmetrischen Konflikten, weisen die Autoren nachvollziehbar und leicht verständlich nach. Maritime Sicherheit betrifft demnach nicht nur zwischenstaatliche Konflikte, Extremismus und Terrorismus, sondern auch das blue crime: Schmuggel, illegale Fischerei und Piraterie (3). Dieser Problematisierung stellen die Autoren dann die Chancen maritimer Sicherheit entgegen und sprechen eine Einladung aus, über die Interdependenzen ergebnisoffen nachzudenken und Sicherheitsfragen ganzheitlich zu betrachten (5 f.). Mit Blick auf die fortwährend steigende Bedeutung der See und der diesbezüglichen Chancen ist diese wichtige Ermutigung nicht hoch genug einzuschätzen, nicht zuletzt zur Begegnung der allseits noch häufig diagnostizierten Seeblindheit – also der perzipierten Unfähigkeit, maritime Zusammenhänge und die Gestaltungsmöglichkeiten im maritimen Raum (etwa durch eine schlagkräftige und abschreckende Marine, durch Küstenwachen und gute Ordnung auf See) zu erkennen.[3]

Nach dieser Einführung finden sich weitere sieben Kapitel, die den Leser und die Leserin durch das Feld begleiten. Beginnend mit einigen grundsätzlichen Betrachtungen zur Sicherheit auf See als Gegenstand wissenschaftlichen Interesses leiten sie über auf methodische Aspekte. Angesichts der Vielzahl von Akteuren in der maritimen Domäne (national, international, privatwirtschaftlich, aber auch kriminell und subversiv) ist die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen des Seerechts und der daraus abgeleiteten juristischen Einwirkungen erhellend. Staatszentrische Perspektiven dienen hingegen dem Erklären interessensbasierter Politik: „Staaten entscheiden, welche Probleme adressiert werden und welche nicht“ (44). Analytische Interpretation und ein Verständnis für Sicherheitspraxis sehen die Autoren als weitere hilfreiche Methodiken an. Demnach seien es Recht, staatliche Interessen, Institutionen, Sinngebung, Praxis und Gründe für maritime (Un-)Sicherheit, die helfen, die komplexen Dynamiken in der maritimen Domäne zu kartografieren.

In der Folge richtet sich der Blick auf zwischenstaatliche Konflikte, Terrorismus und die Grauzone zwischen Krieg und Frieden. Die Autoren führen für diese Konflikte und ihre Beilegung illustrative Beispiele an. Die Debatte über aktuelle Seesicherheitsprobleme im hybriden Kontext – etwa von Russland, China und dem Iran ausgehend – ist notwendigerweise knapp ausgefallen; eine Dynamisierung und damit die zunehmende politische Aufmerksamkeit ist hier zu erwarten. Deutlich mehr Raum bekommt das anschließende Kapitel über blue crime. Die Piraterie-, Schmuggel- und Umweltverbrechenforschung sind seit Jahren das Steckenpferd der beiden Autoren.  Im dieser Subdisziplin der maritimen Sicherheit spielen militärstrategische und marinebezogene Fragen ohnehin nur eine Nebenrolle. Hier standen und stehen sich die klassische Friedens- und Konfliktforschung einerseits und die Militär- und Sicherheitspolitikforschung andererseits häufig noch allzu ablehnend und skeptisch gegenüber. Allein schon aus diesem Aspekt ist Bueger und Edmunds eine große Verbreitung ihres Buches auch in Kreisen der Marineforschung und -praxis zu wünschen, haben doch beide Autoren ihrerseits bewiesen, dass sie den Austausch mit den klassischen Militärexpertinnen und -experten nicht scheuen.

Besonders wertvoll ist in diesem Zusammenhang das sechste Kapitel, in dem die Verfasser ein Who is Who (119 ff.) der maritimen Sicherheit aufzeigen. Zahllose Akteure tummeln sich hier, haben unterschiedliche und überlappende Zuständigkeiten, berichten einer staatlichen Behörde oder einer NGO, wirken transnational, informell oder regional. Dazu gesellen sich wirtschaftliche Spieler, die Industrie und der unüberschaubare private Sektor. An keiner anderen Stelle im Buch wird die globale Bedeutung von maritimer Sicherheit so deutlich – und die Herausforderungen, sie zu schützen, so überwältigend – wie hier.  Doch halt, das Buch hilft auch hier.

Maritime Sicherheit erhalten, aber wie?

Im folgenden Kapitel stellen die Autoren einen ganzen Werkzeugkasten von Möglichkeiten dar, wie maritime Sicherheit bewahrt und verteidigt werden kann. Zwei Gedanken sind dabei zentral: Einerseits handelt es sich um den kooperativen Ansatz, also die Zusammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren unter- und miteinander. Dazu zählen Seestreitkräfte (Marinen, Küstenwachen, Wasserschutzpolizeien), die Industrie und der diplomatisch-politische Raum, die häufig schon in einer unüberschaubaren Zahl von Foren kooperieren. Ziel solle es sein, die Maritime Domain Awareness (also die Akkumulation und Auswertung von Daten die See betreffend und daraus abgeleitetes möglichst kohärentes Handeln) zu entwickeln beziehungsweise zu stärken. Dass sich diese Aktivitäten nicht im luftleeren Raum entfalten können und müssen, zeigen Bueger und Edmunds in einer erhellenden Diskussion von in der nahen Vergangenheit durchgeführten maritimen Sicherheitsoperationen (MSO) und den damit im Zusammenhang stehenden Strategien von EU, NATO, Afrikanischer Union (AU) und einiger Nationalstaaten.

Hier hätte sich der Rezensent eine deutlich artikulierte Problematisierung gewünscht, etwa bei der Diskussion von maritimen Strategien und ihren Wechselwirkungen mit maritimen Operationen. Zu verengt erscheint der kurze Abriss im Buch auf genau jene Papiere, die sich mit umfassenden und bisweilen wolkigen maritimen Chancen und Herausforderungen befassen. Dafür lassen diese die zentrale Rolle von Seestreitkräften als Händler militärischer, polizeilicher und diplomatischer Maßnahmen außer Acht. Maritime Sicherheit ist im Kern immer noch eine vordringlich nationale Aufgabe, die international, interdisziplinär und multiperspektivisch gelöst werden muss. Gleichwohl sind es eben Seestreitkräfte, die Hard Power und Soft Power aufbieten und zwischen Machtprojektion, guter Ordnung auf See und Diplomatie zum Schweizer Armeemesser des außen- und sicherheitspolitischen Werkzeugkastens werden können, wenn man als Entscheiderin bzw. Entscheider und als Analystin bzw. Analyst den Blick entsprechend weitet.

Ausblick

In ihrem abschließenden Kapitel werfen Bueger und Edmunds schließlich den Blick in die Zukunft. Die rasant steigende Bedeutung des Cyberraums, der immer mal wieder mit dem maritimen Raum verglichen wird,[4] dazu die durch zahlreiche Aktivitäten in der Ostsee gerade in Deutschland in den Blick geratene maritime kritische Infrastruktur und nicht zuletzt die biologische Vielfalt im Meer und die Zusammenhänge mit der drastischen Veränderung des Weltklimas (ihrerseits mit Wirkung auf Ressourcen und Konflikte) sind nur drei der Punkte, die dem Themenbereich der maritimen Sicherheit noch mehr Konjunktur verschaffen werden. Es ist bezeichnend, dass die deutsche Universitätslandschaft bis heute keinen Lehrstuhl für diesen wichtigen, vielfältigen und anschlussfähigen Kreis hat. Nicht ohne Grund zieht es deutsche Lehrende und Forschende regelmäßig oder auf Dauer ins Ausland, wo maritime Sicherheit und die Verschränkung von Akademie und Praxis gelebt, gelehrt und gelernt werden. Das vorliegende Buch darf als wichtiger Schritt gelten, dass noch mehr Menschen Zugang zum Phänomen der maritimen Sicherheit erhalten können.


 Anmerkungen:

[1] Bruns, Sebastian (2018): US Naval Strategy and National Security. The Evolution of American Maritime Power, London: Routledge, S. 9.
[2] Stöhs, Jeremy (2024), The Decline of European Naval Forces: Challenges to Sea Power in an Age of Fiscal Austerity and Political Uncertainty, Annapolis: USNI Press.
[3] Unter „Good Order at Sea” versteht man die Achtung des Seerechts und die Befolgung einschlägiger Umwelt- und Sicherheitsvereinbarungen. Jenseits der Küstengewässer und der Ausschließlichen Wirtschaftszonen nimmt die Rechtsordnung ab, die Hohe See ist damit zwar kein rechtsfreier Raum, aber unterliegt keiner nationalen oder multilateralen Einwirkung. Als „Global Commons“ wird dieser gewaltige mehrdimensionale Raum als Gemeingut der Menschheit verstanden.
[4] Van Alst, Niklas (2022): Geostrategische Kulturen und die Konstruktion des Cyberraumes. Berliner Stuttgart: Wissenschafts-Verlag.


DOI: https://doi.org/10.36206/REZ25.20
CC-BY-NC-SA

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