Daniel S. Hamilton, Joe Renouard (Hg.): The Transatlantic Community and China in the Age of Disruption
Dieser Sammelband analysiert, was Chinas Aufstieg für die transatlantische Gemeinschaft in einer von Großmachtrivalität, technologischen Umwälzungen und Machtverschiebungen geprägten Gegenwart bedeutet. Im Fokus stehen dabei Themen wie chinesische Einflussoperationen, kritische wirtschaftliche Dependenzen und das Bündnis zwischen Russland und China. Unser Rezensent Max Lüggert lobt die sachliche und facettenreiche Beschreibung sicherheitspolitischer Dilemmata.
Eine Rezension von Max Lüggert
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Volksrepublik China kontinuierlich zu einer globalen Großmacht entwickelt. Auf internationaler Ebene ist China somit ein Akteur, an dem man in politischer, militärischer und wirtschaftlicher Sicht nicht mehr vorbeikommt. Versteht man Weltpolitik als ein Nullsummenspiel, bedeutet der chinesische Bedeutungszuwachs zwangsläufig, dass andere Staaten an Bedeutung verlieren. Doch auch wenn man dieser Ansicht nicht anhängt, ist der wachsende Einfluss Chinas eine Tatsache, mit der sich andere Staaten auseinandersetzen müssen. Für die Vereinigten Staaten wie für Europa ist Chinas Aufstieg eine Herausforderung ihrer aktuellen Position. Diese Herausforderung spielt jedoch noch in eine weitere Ebene hinein. Zwischen (West-)Europa und den Vereinigten Staaten besteht seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein festes Bündnis, in dem es zwar hin und wieder zu Meinungsverschiedenheiten kam, das in dieser Zeit jedoch von keiner Seite ernsthaft in Zweifel gezogen wurde. Mit der wachsenden Konkurrenz aus dem Fernen Osten ist jedoch denkbar, dass Europa und die Vereinigten Staaten unterschiedlich darauf reagieren und dass sich darüber Spannungen im bestehenden Verhältnis bilden.
China wirkt … auch auf die transatlantischen Beziehungen
Daniel S. Hamilton und Joe Renouard haben zu diesem Thema einen Sammelband vorgelegt, in dem die Autor*innen näher betrachten, wie sich Chinas Verhalten auf die bestehenden transatlantischen Beziehungen auswirkt. Die Darstellung dieser Dreiecksbeziehung ist im Band in drei übergeordnete Themenkomplexe aufgeteilt: Zunächst wird die neue Mächtekonstellation dargestellt, anschließend folgen Beiträge zu sicherheitspolitischen Dilemmata und zum Ende wird beschrieben, welche Chancen zur Kooperation es bei aller Konkurrenz weiterhin gibt. Im ersten Beitrag des Bands schildern die Herausgeber allgemein, wie sich das Verhältnis zwischen China, Europa und den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Das Jahr 1989 wird in diesem Kontext als wichtige Wegscheide erwähnt. In jenem Jahr begann der Zerfall des Ostblocks und somit der ‚Sieg‘ der kapitalistischen Welt im Kalten Krieg. Im gleichen Jahr ereignete sich jedoch auch das Tian’anmen-Massaker, welches das kompromisslose Vorgehen der chinesischen Regierung gegenüber der internen Opposition verdeutlichte. Bis in die 2010er-Jahre hinein sahen Europa und die Vereinigten Staaten vor allem das wirtschaftliche Potential einer Annäherung. Die Hoffnung, dass aus engerer wirtschaftlicher Verflechtung auch eine weitere politische Öffnung Chinas folgen würde, bewahrheitete sich jedoch nicht.
Ungefähr seit dem Jahr 2010 hätten sich jedoch Diskrepanzen in der Wahrnehmung Chinas gezeigt. Während auf europäischer Seite die geschäftlichen Verbindungen weiterhin geschätzt worden seien, habe man in den Vereinigten Staaten zunehmend die sicherheitspolitische Herausforderung erkannt, die von China ausgeht. In der Amtszeit von Donald Trump seien die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vereinigten Staaten und Europa deutlich sichtbar geworden, inklusive eines offen vorgetragenen Unverständnisses für die jeweils andere Sichtweise. Erst mit dem Beginn des Ukrainekriegs – ein Krieg, der im Band noch an mehreren Stellen erwähnt wird – und der kaum verdeckten Unterstützung des russischen Militärs durch China, habe sich bei den Vereinigten Staaten und Europa wieder eine einheitliche Wahrnehmung von China eingestellt. Hamilton und Renouard sehen in der Konstellation zwischen China, Europa und den Vereinigten Staaten für die nahe Zukunft eine spürbare Unsicherheit, angedeutet im Titel ihres Beitrags „Crossing the river by feeling the stones“ (9).
Neben der Perspektive aus Europa und den Vereinigten Staaten ist ebenfalls interessant, wie die Wahrnehmung innerhalb Chinas aussieht. Diesem Thema widmet sich Jing Men in ihrem Beitrag. Aus chinesischer Sicht seien die Rollen dabei klar verteilt. Die Vereinigten Staaten seien für China eindeutig der wichtigere Akteur. Dabei werde die bestehende internationale Hegemonie der Vereinigten Staaten auch weiterhin anerkannt, allerdings würden die USA spätestens seit 2008 als ein Akteur wahrgenommen, der etwas ins Straucheln geraten sei und nicht mehr ohne Weiteres seine Vorstellungen in der ganzen Welt durchsetzen könne.
Europa sei aus chinesischer Sicht in der Sicherheitspolitik wenig mehr als ein Anhängsel der Vereinigten Staaten; in diesem Zusammenhang wird jedoch die Ambition geäußert, Europa aus der engen Verbindung mit den Vereinigten Staaten ein Stück weit herauslösen zu können. Men zeigt auch auf, dass Europa weiterhin Interesse daran habe, die wirtschaftlichen Beziehungen zu China beizubehalten. Insofern bestehe an dieser Stelle prinzipiell eine Möglichkeit für China, Europa näher an sich zu binden. Mit dem Ukrainekrieg sei dieses Fenster jedoch derzeit geschlossen, auch wenn aus chinesischer Sicht klar und nicht unzutreffend beschrieben wird, dass Europa durch die Sanktionen gegen Russland einen gewissen Preis für die Unterstützung der Ukraine zahlt. In ihrem Ausblick schildert die Autorin, dass auch innerhalb Chinas zunehmend globale Ambitionen artikuliert werden. Eine weitere Konkurrenz zwischen China und den Vereinigten Staaten ist somit aus ihrer Sicht „unvermeidbar“ (66).
Keine Schilderung der transatlantischen Beziehungen ist vollständig ohne eine Betrachtung der NATO und in diesem Sammelband beschreiben Hans Binnendijk und Daniel S. Hamilton wie China von der NATO gesehen wird. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Bündnisses überrascht es nicht, dass China lange Zeit nicht in dessen Fokus stand. Doch auch hier stellen Binnendijk und Hamilton wieder die Präsidentschaft von Donald Trump als eine Zeitenwende dar. Dieser habe seine Kritik an China auch innerhalb der NATO formuliert und zudem von den anderen Mitgliedstaaten erwartet, dass diese Position geteilt werde. Gab es gegen diese Ausrichtung zunächst noch Vorbehalte auf europäischer Seite, seien diese mit der chinesisch-russischen Kooperation im Ukrainekrieg ausgeräumt. Die Autoren schildern ausführlich, wie sich die NATO in den vergangenen Jahren insgesamt stärker in den pazifischen Raum ausgerichtet hat. Deutlich sichtbar wurde dies an den Gipfeltreffen in Madrid 2022 sowie in Vilnius 2023, wo erstmals eine gemeinsame Strategie der NATO gegenüber China erarbeitet bzw. verabschiedet wurde. Die Teilnahme weiterer Staaten wie Australien, Japan oder Südkorea an diesen Gipfeltreffen bestätigt diese neue Ausrichtung. Binnendijk und Hamilton sehen für die NATO in Zukunft weiterhin die Herausforderung, sich im Bündnis gegen China zu positionieren, um Angriffe auf die Einigkeit im Bündnis abwehren zu können. Gleichermaßen sehen die Autoren aber durchaus die Möglichkeit zur Kooperation, beispielsweise durch die Einrichtung eines NATO-China-Rats.
‚Realistische‘ Kooperationspartner: China und Russland
Die verstärkte Kooperation zwischen China und Russland zieht sich wie ein Schatten durch die verschiedenen Beiträge des Bandes. Marcin Kaczmarski wirft in seinem Beitrag einen näheren Blick auf diese Koalition. Oberflächlich betrachtet bestehe zwischen Russland und China ein Bündnis, das für Europa und die Vereinigten Staaten eine besondere Herausforderung darstellt. China wie Russland positionierten sich auf der internationalen Bühne klar in Ablehnung zu einem liberalen Verständnis von Außenpolitik. Beide Staaten verträten ein absolutes Verständnis nationaler Souveränität und lehnten dementsprechend Vorstellungen liberaler Außenpolitik, wie zum Beispiel humanitäre Interventionen, strikt ab. Diese Position sei auch nichts Neues, sondern stelle eine außenpolitische Strategie dar, die durch langjähriges Handeln wie gemeinsam vorgetragenen Vetos im UN-Sicherheitsrat fester Bestandteil des außenpolitischen Handelns beider Staaten sei. Den „kollektiven Westen“ (107) sähen China und Russland somit nur als Vehikel der Vereinigten Staaten, um ihre Interessen durchzusetzen – dementsprechend setzten sich beide zum Ziel, auf eine Entfremdung zwischen Europa und den Vereinigten Staaten hinzuwirken.
Die so geschilderte Kooperation zwischen China und Russland sei eine außenpolitische Tatsache und die zumindest indirekte Schützenhilfe durch China im Ukrainekrieg ebenfalls nicht abzustreiten. Kaczmarski schildert jedoch, dass das Verhältnis von China und Russland nicht so innig ist, wie es das gemeinsame Auftreten auf der internationalen Bühne vermuten lässt. Zunächst einmal bestünden zwischen China und Russland weiterhin ungelöste territoriale Ansprüche und konkurrierende Einflusssphären bei den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien. Zudem verfolgten beide Staaten in unterschiedlichen Regionen (der Beitrag nennt beispielhaft die Arktis, den Balkan sowie Westasien) jeweils eigene Ziele, wobei ein koordiniertes Vorgehen auf beiden Seiten nach Ansicht des Autors nicht wirklich erkennbar ist. Zudem stellt Kaczmarski auch heraus, dass China Russland durchaus stärker im Ukrainekrieg unterstützen könnte, sich jedoch angesichts einer möglichen Reaktion aus dem Westen in dieser Hinsicht noch zurückhalte. Das realistische Verhältnis von Außenpolitik zeige sich demnach konsequent auch im Verhältnis zwischen China und Russland – beide Staaten seien sich im Zweifel selbst am nächsten.
Alternative Institutionen für die internationalen Finanzströme entstehen
In finanziellen Fragen versuchte China in den vergangenen Jahren (seit dem Ukrainekrieg auch hier in engerer Abstimmung mit Russland) eigene Institutionen für internationale Finanzströme aufzubauen. Miguel Otero-Iglesias und Agustín González-Agote beschreiben in ihrem Beitrag, wie sich das Verhältnis zwischen Dollar, Euro und Renminbi auf die Dreiecksbeziehung China-Europa-USA auswirken. Seit Beginn der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 kam es vermehrt zu kritischen Entwicklungen, die sich durch die relative Dominanz von Dollar und Euro ergaben. Es sei vor diesem Hintergrund also eine berechtigte Frage, ob der Renminbi von solchen Entwicklungen profitieren kann. Die Autoren stellen in ihrem Beitrag zunächst einige Bedingungen fest, die erfüllt sein müssen, damit eine Währung auch internationale Relevanz beanspruchen kann. Hierfür sei erforderlich, dass eine Währung auch außerhalb seines eigentlichen Geltungsbereichs die drei Grundfunktionen des Geldes (Tauschmittel, Verrechnungseinheit und Wertspeicher) erfüllt, dass im eigentlichen Geltungsbereich der Währung eine gewisse politische Stabilität und Vorhersehbarkeit besteht und dass eine Währung in hinreichend liquiden Finanzmärkten verankert ist. Auch wenn sich die relative Position von Dollar und Euro als globale Reservewährungen in den vergangenen Jahren leicht geschwächt habe, zeigen die Autoren, dass der Renminbi davon noch nicht substanziell profitieren konnte. Otero-Iglesias und González-Agote illustrieren, dass der Renminbi trotz zuletzt zunehmender Bedeutung weiterhin eine eher randständige Position im Weltwährungssystem einnimmt, die in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung Chinas steht.
Dies ergebe sich auch aus den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der chinesischen Regierung. Zwar hat die Chinesische Volksbank mittlerweile eigene Zahlungssysteme mit internationalem Anspruch aufgebaut, diese sind jedoch weiterhin mit vergleichsweise starken Kapitalverkehrskontrollen verbunden und somit für viele Banken unattraktiv. Zudem reproduziere sich die dominante Stellung insbesondere des Dollars selbst, einfach weil es in dieser Währung gut ausgebaute und liquide Finanzmärkte gäbe. Das Festhalten am Dollar als globaler Leitwährung sei somit auch ein Stück weit durch Gewohnheit und Bequemlichkeit zu erklären. In ihrem Ausblick sprechen die Autoren jedoch an, dass geopolitische Verwerfungen das Verhältnis zwischen den Währungen aufrütteln können. Dass Russland nach Beginn des Ukrainekriegs aus dem SWIFT-System ausgeschlossen wurde, habe für manche Staaten die Attraktivität anderer Zahlungssysteme erhöht. Und die Ausweitung westlicher Sanktionen könnten eine hohe Abhängigkeit vom Dollar zunehmend als politisches Risiko erscheinen lassen. Im Fall von größeren internationalen Konflikten könnten somit weitgehend voneinander getrennte Zahlungsräume entstehen. China könnte dann seine Geschäfte ausweiten, während der Euro zunehmend zu einem Anhängsel im Dollarraum würde. Bei so vielen im Band geschilderten Konfliktfeldern stellt sich die Frage, ob es Räume gibt, in denen Kooperation zwischen China und Europa sowie den Vereinigten Staaten denkbar ist.
Sicherheitspolitik verdrängt Klimapolitik
Die Klimapolitik bietet sich angesichts der globalen Herausforderung, die der Klimawandel darstellt, als mögliches Feld der Zusammenarbeit an und Sophia Kalantzakos widmet ihren Beitrag der Frage, welche Möglichkeiten für ein gemeinsames Handeln in diesem Politikfeld denkbar sind. Die Autorin zeigt, dass es während der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama eine gewisse Annäherung in der Klimapolitik gab, verdeutlicht vor allem in Form des Pariser Klimaabkommens, das sowohl von China wie den Vereinigten Staaten mitgetragen wurde. Die weitere Beschreibung der Klimapolitik zwischen China, Europa und den Vereinigten Staaten spiegelt jedoch die Entwicklungen wider, die in diesem Band an anderer Stelle beschrieben wurden. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump nahmen die Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten zu und klimapolitische Überlegungen seien durch eine sicherheitspolitisch geprägte Sichtweise auf das Verhältnis zueinander verdrängt worden. Somit zeige sich für die Gegenwart wenig gemeinsamer Fortschritt in der Klimapolitik. Zwar schildert Kalantzakos, dass sich alle größeren Staaten nominell zur Dekarbonisierung verpflichten, dieses Ziel angesichts geopolitischer Unwägbarkeiten derzeit aber nicht mit Hochdruck verfolgen.
Fazit
Der von Hamilton und Renouard herausgegebene Band beschreibt facettenreich, wie verschiedene aktuelle Herausforderungen das Verhältnis zwischen China, Europa und den Vereinigten Staaten prägen. Interessant ist hierbei die zumeist sachliche Darstellung, die von einem gewissen positiven Grundton geprägt ist. Alle Autorinnen und Autoren versuchen hervorzuheben, dass Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil zwischen Europa und den Vereinigten Staaten auf der einen und China auf der anderen Seite grundsätzlich denkbar sind. Die Beiträge prägt jedoch auch die realistische Einschätzung, dass einer Verständigung zwischen beiden Seiten derzeit angesichts des Ukrainekriegs hohe Hürden entgegenstehen. Der russische Angriffskrieg wird in praktisch jedem Beitrag erwähnt; in der durch den Titel suggerierten Dreiecksbeziehung ist Russland als weiterer Akteur ständig präsent, gleichsam als sprichwörtliches viertes Rad am Wagen. Die einzelnen Beiträge sind sauber recherchiert, bieten allerdings wenig bahnbrechend neue Erkenntnisse. Zudem wäre es interessant gewesen, weitere Beiträge aus chinesischer Sicht zu erhalten, wobei man hier nicht vergessen darf, dass dies bei einer Veröffentlichung in einem westlichen Verlag mit gewissen Hürden verbunden sein kann. Zudem muss man sich vergegenwärtigen, dass alle im Band geschilderten Zusammenhänge im Fall einer schweren Eskalation zwischen den beiden Seiten (zum Beispiel nach einem chinesischen Überfall auf Taiwan) gegenstandslos würden. Dies anzuerkennen und explizit zu benennen, hätte den Beiträgen im Band nicht geschadet.
Außen- und Sicherheitspolitik
Weiterführende Links
Russia-China Relations. Emerging Alliance or Eternal Rivals?
Externe Veröffentlichungen
Thomas Wiegold, Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala / 08.11.2024
Sicherheitshalber
Mehr zum Themenfeld Strategische Konkurrenz in den internationalen Beziehungen