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Tagungsbericht / 16.10.2025

Wahlorganisation zählt! Stand und Perspektiven der vergleichenden Wahlorganisationsforschung (25.-26.09.2025)

Foto: Stiftung Wissenschaft und Demokratie / Eckhard Schmelter.

Wie lässt sich sicherstellen, dass Wahlen fair und transparent ablaufen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Tagung „Wahlorganisation zählt!“, die im September in Kiel stattfand. Forschende und Praktiker*innen diskutierten über aktuelle Herausforderungen wie Politisierung, Desinformation und den zunehmenden öffentlichen Druck auf Wahlorgane. Daniel Hellmann fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen und kommt zu dem Fazit, dass es keine einheitliche Lösung gibt, der Blick in andere Länder aber wertvolle Impulse für eine resiliente Wahlorganisation liefern kann.

Ein Tagungsbericht von Daniel Hellmann

Schließen Sie einmal kurz die Augen und denken Sie an folgendes Wort: Wahlen. Vermutlich sehen Sie vor Ihrem inneren Auge Wahlplakate, Fernsehduelle und wahlweise entweder den Versuch, die Briefwahlunterlagen den richtigen Umschlägen zuzuordnen, oder Wahlkabinen, Stimmzettel und Wahlurne. Wenn die Teilnehmenden der Konferenz „Wahlorganisation zählt! Stand und Perspektiven der vergleichenden Wahlorganisationsforschung“ an Wahlen denken, sehen sie vermutlich deutlich öfter den schier wahnwitzigen Verwaltungs-, Arbeits- und vor allem Organisationsaufwand, der mit einer Wahl einhergeht. Wie Mozaffar und Schedler hervorheben: „Elections involve the largest peacetime mobilization of the national population. Their organization and conduct therefore require complex logistical exercises usually under severe time constraints.“[1]

Diese Herausforderungen deutlich zu machen und gemeinsam mit Praktiker*innen an Lösungen zu arbeiten, war das Ziel der zweitägigen Tagung vom 25. bis zum 26. September in den Räumen der Kieler Stiftung Wissenschaft und Demokratie. Die Tagung entstand in Kooperation zwischen Danny Schindler, Daniel Hellmann, beide Institut für Parlamentarismusforschung (IParl), und Stephan Bröchler von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR). Die Konferenz war in dieser Art einer der ersten, welche sich mit der Organisation von Wahlen auseinandersetzt und dabei die wissenschaftliche und die praktische Perspektive zusammenbringt.

Tag 1: Wahlorganisation im deutschsprachigen Raum

Um Herausforderungen und Forschungsbedarfe benennen zu können, ist zuvor ein Forschungsüberblick notwendig. Wie Daniel Hellmann und Stephan Bröchler (HWR und Landeswahlleiter Berlin) herausarbeiteten, stellt die politikwissenschaftliche Erforschung der Wahlorganisation in Deutschland ein Novum dar. Die vergleichende ‘electoral management’-Forschung ist erst in den späten 1990er-Jahren entstanden und ist somit vergleichsweise jung. Dieser Disziplin hat man sich hierzulande wissenschaftlich bislang so gut wie gar nicht zugewandt, wohingegen die Wahlorganisation in der juristischen und historischen Forschung stärker vertreten ist. Stephan Bröchler identifizierte dabei insbesondere die Wahlkreiseinteilung (Stichwort: Gerrymandering), den Wahlkampf, den Wahlakt und die sich daran anschließende Ergebnisermittlung sowie die darauffolgende Wahlprüfung als aktuelle Problemfälle der Wahlorganisation.

Öffentlichkeitsarbeit, Auskunftsdienst und Community Management rund um den Wahlprozess stellten, wie Anna-Karina Elbert, Leiterin des Büros der Bundeswahlleiterin, herausarbeitete, einen neuen Schwerpunkt in der Arbeit der Bundeswahlleitung dar. Dies äußerte sich unter anderem in der temporären personellen Aufstockung auf 30 Personen. Stärker als bisher engagierte man sich in der Bekämpfung von Desinformation in den sozialen Medien. Frau Elbert machte auch deutlich, dass Mitarbeiter*innen des Büros sich deutlich mehr Anfeindungen als bisher ausgesetzt sehen. Auch die Bundeswahlleiterin wurde im Vorfeld der Wahl unter anderem wegen ihrer Äußerungen zum bevorzugenden Wahldatum massiv angefeindet.

Ähnliches wusste Frank Bätge (Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung) zu berichten. In seinen Schilderungen zu neuralgischen Punkten der Wahlorganisation aus rechtswissenschaftlicher Perspektive, die mit diversen Anekdoten aus der Praxis gespickt waren, verwies er auf viele kleinteilige und menschliche Probleme. So sei auf der Ebene der Wahlkreise künftig eine zunehmende Politisierung der Wahlausschüsse zu befürchten. Vor dem Hintergrund, dass Wahlorganisation bestmöglich neutral sein sollte, damit auch die Wahlen fair sind und als solches wahrgenommen werden, ist dies eine beunruhigende Entwicklung. Dies zu unterbinden, werde zunehmend die Aufgabe der Wahlleitungen sein müssen.

Warum Parteien überhaupt in den Wahlorganisationsprozess eingebunden sind, lässt sich verstehen, wenn man die historische Entwicklung der Wahlorganisation nachverfolgt. Arne Pilniok (Universität Bielefeld) zeigte jene für Deutschland in seinem Input auf. Dabei verweist er unter anderem darauf, dass der Gedanke, die Wahlen durch das Volk selbst zu organisieren, aus dem ausgeprägten Misstrauen gegenüber der Neutralität der Regierung und der Bürokratie im Kaiserreich gespeist war.

Eine gänzlich andere Entwicklung zeigte sich in der Schweiz, wie Michael Strebel (Hochschule für Polizei Baden-Württemberg) erläuterte. Die Wahlorganisation liegt dort fast ausschließlich in den Händen der Bürokratie, was nicht zuletzt auch auf die Involvierung der großen Parteien im Bundesrat (der Regierung der Schweiz) und die vergleichsweise geringe Bedeutung der Nationalratswahlen in Anbetracht der Vielzahl an Abstimmungen zurückzuführen ist. So bestehe, zumindest für die großen Parteien, kein Grund, an der Neutralität der Wahlbehörden zu zweifeln.

Am Schluss des ersten Tages stellte Ayran Shooshtari (Center for Advanced Internet Studies) sein Projekt zur Digitalisierung der Arbeit der Wahlorgane vor. Auf Grundlage einer Befragung der Gemeindebehörden identifizierten er und sein Team Probleme bei der Durchführung der Bundestagswahl. Insbesondere das Wählen für Auslandsdeutsche stellte eine Herausforderung dar. Zum einen registrierten sich durch den neuen Onlineprozess so viele Auslandsdeutsche wie noch nie für die Wahl, und zum anderen kamen die Wahlämter und Postdienstleister nicht mit der Zustellung der Wahlunterlagen hinterher. Hier könnte, so Shooshtari, die Digitalisierung des Verwaltungsweges Abhilfe schaffen.

Tag 2: Wahlorganisation around the Globe

Am zweiten Tag der Konferenz war das Ziel, über den Tellerrand hinauszuschauen. Denn es lassen sich, wie alle Beiträge aufzeigten, viele Unterschiede identifizieren, wobei zugleich ähnliche Herausforderungen existieren.

Der Input von Alistair Clark zum Vereinigten Königreich verdeutlichte beispielsweise, dass Wahlorganisation zunehmend politisiert wird. Zugleich nahmen die Kosten für Wahlen stetig zu, was potenziell einen Spardruck erzeugt. Mancherorts sei es schwer, Wahlhelfer*innen zu rekrutieren.

Das Problem der Politisierung ist aktuell besonders in den USA virulent. Michael Kolkmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erörterte wie Wahlkreiseinteilung und Wähler*innenregistrierung noch stärker als bisher instrumentalisiert werden, um politische Vorteile zu erhalten. Auch der Versuch der Einflussnahme Trumps auf den Wahlzertifizierungsprozess 2020 war ein klares Indiz für diesen Trend.

Die Art der Wahlorganisation ist immer auch eine Kulturfrage, wie der Beitrag von Takeshi Kawasaki (Sophia Universität Tokyo) verdeutlichte. Praktiken, die in Deutschland als unbedenklich gelten, sind in Japan verpönt. Insbesondere die Wahlwerbung unterliegt klaren Regeln. So gibt die Wahlbehörde beispielsweise die Wahlkampfmittel (Namensschilder für Reden und Wahlkampfveranstaltungen) an die Kandidat*innen aus, um unfaire Vorteile für ressourcenstarke Bewerber*innen und Parteien zu verhindern. Diese starke Kontrolle speist sich aus einem ausgeprägten Misstrauen gegenüber Politiker*innen, das in der Vergangenheit durch immer wiederkehrende Korruptionsskandale genährt wurde.

Wie eine Wahl auf dem afrikanischen Kontinent organisiert wird, erläuterte Melatwork Hailu Abebaw, eine von zwei Chairpersons des National Election Board of Ethiopia. Sie betonte, wie wichtig die Wahrnehmung des Election Boards als neutrale, unparteiische Institution sei, um bei den zwangsläufig auftretenden Disputen rund um eine Wahl einer politischen Instrumentalisierung vorbeugen zu können. Außerdem berichtete sie von den vielfältigen Reformen, die das National Election Board in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren unternommen hat, um die Wahldurchführung zu professionalisieren.

Martina Barker-Ciganikowa berichtete aus ihrer Arbeit bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und nahm damit eine etwas andere Perspektive ein. Sie beobachtete in den letzten 30 Jahren eine zunehmende Professionalisierung der Wahlorgane. Aber auch sie machte einen Trend zu einem zunehmenden öffentlichen Druck auf Wahlorgane aus. Ferner übernähmen Wahlorgane zunehmend Aufgaben im Wahlkampf, etwa durch Debunking/Prebunking[2]-Informationen und eine stärkere Präsenz in den sozialen Medien.

Viele der bereits skizzierten Herausforderungen machte auch Holly Ann Garnett (Royal Military College of Canada, Queens University) aus. Auf der Grundlage der ‘electoral management’-Forschungsliteratur entwickelte sie Lösungsansätze für einige dieser Probleme: Eine Antwort auf die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Wahlorgane wäre demzufolge deren stärkere Vernetzung mit anderen staatlichen wie nicht-staatlichen Institutionen (‘interdependence’ anstelle von ‘independence’). Desinformation und Politisierung könne man durch ausgebaute Medienangebote der Wahlorgane entgegenwirken.

Politisierung, Anfeindung und keine “one-size-fits all”-Lösung

Viele Aspekte, Fragen und Herausforderungen zogen sich trotz der unterschiedlichen Blickwinkel durch beide Tage der Veranstaltung und bilden die Grundlage für eine weitergehende Beschäftigung mit der Thematik. Die zunehmende (reale oder unterstellte) Politisierung der Wahlorgane sowie ihre öffentliche Anfeindung waren Themen, über die Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus verschiedenen Perspektiven berichteten und die sie umtrieben. Auch der Befund, dass der Wahlkampf und dessen Überwachung und Abschirmung gegen Desinformation zunehmend zu einem Betätigungsfeld der Wahlorganisation wird, zog sich durch die Beiträge und Diskussionen. Ob und inwiefern dafür Regeln geschaffen werden und wie Wahlorgane dies überhaupt bewältigen können, war Gegenstand vielfältiger Diskussionen.

Der Blick über den Tellerrand hat gezeigt, dass es keine “one-size-fits all”-Lösung gibt. Jedes Land gestaltet seine Wahlen anders. Viele Eigenarten sind historisch gewachsen, wie etwa die Selbstorganisation der Wahlen durch das Volk in Deutschland oder die strenge Wahlkampfregulierung in Japan. Diese Unterschiede können derweil als Inspiration für Reformen – auch hier in Deutschland – dienen. Denn nur, wenn Wahlen unparteiisch, effizient und transparent organisiert werden, können die auf dieser Grundlage durchgeführten Verfahren als integer wahrgenommen und die so gewählten Vertreter*innen über die notwendige Legitimation zum Treffen gemeinverbindlicher Entscheidungen verfügen. Um es zusammenzufassen: Wahlorganisation zählt!

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Tagungsberichts hieß es zur Arbeit des Büros der Bundeswahlleiterin, dass es dort im Zuge der Bundestagswahl 2025 für den Social Media-Bereich eine personelle Aufstockung auf 30 Personen gegeben habe. Richtig ist, dass die Aufstockung nicht allein für diesen Bereich und nur temporär erfolgte.


Anmerkungen 

[1] Mozaffar, Shaheen / Schedler, Andreas (2002): The Comparative Study of Electoral Governance—Introduction, in: International Political Science Review, 23. Jg., H. 1, S. 5 – 27, S. 9.

[2] Der Begriff „Debunking“ beschreibt das Vorgehen, eine bereits verbreitete Falschinformation nachträglich richtigzustellen, während „Prebunking“ darauf zielt, Menschen vorab auf mögliche Falschinformationen vorzubereiten, damit sie diese später besser erkennen und einordnen können.


 Literaturverzeichnis

  • Mozaffar, Shaheen / Schedler, Andreas (2002): The Comparative Study of Electoral Governance—Introduction, in: International Political Science Review, 23. Jg., H. 1, S. 5 – 27.
  • Bätge, Frank (2021): Kommunale Aufgaben bei der Organisation der Bundestagswahl 2021, in: Kommunalpraxis Wahlen, H. 1, S. 11 – 23.
  • Bröchler, Stephan (2023): Die Reform der Wahlorganisation Berlins: Ein Zwischenbericht, in: Die Verwaltung, 56. Jg., H. 3, S. 339 – 367.
  • Hellmann, Daniel (2020): Wann ist eine Partei eine Partei? Untersuchungen der Entscheidungspraxis des Bundeswahlausschusses, in: Recht und Politik, 56. Jg., H. 2, S. 175 – 184.
  • Ham, Carolien van / Garnett, Holly Ann (2019): Building impartial electoral management? Institutional design, independence and electoral integrity, in: International Political Science Review, 38. Jg., H. 2.
  • Pilniok, Arne (2017): Das Personal der Wahlen und die Vertrauensfrage. Bausteine einer Geschichte der Verwaltung der Demokratie, in: Hedwig Richter / Hubertus Buchstein (Hrsg.), Kultur und Praxis der Wahlen. Eine Geschichte der modernen Demokratie, Wiesbaden, S. 265 – 291.


DOI: https://doi.org/10.36206/TB25.3
CC-BY-NC-SA