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Tagungsbericht / 17.04.2025

"Transparenz – multidisziplinäre Perspektiven auf einen schillernden Begriff" (27.-28.03.2025)

Transparenz soll etwa in der Politik zur Korruptionsbekämpfung beitragen und das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen stärken. Mit ihrer zunehmenden Umsetzung mehren sich jedoch auch Befürchtungen hinsichtlich Überwachung und Instrumentalisierung. Am 27. und 28. März 2025 luden der Arbeitskreis Korruptionsforschung von Transparency Deutschland und der Arbeitskreis Politik und Recht der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) zu einer hybriden Tagung an der Universität Kiel ein, um Chancen und Risiken von Transparenz interdisziplinär zu diskutieren.

Ein Tagungsbericht von Tanja Thomsen

Transparenz spielt als Begriff in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine zentrale Rolle. Die allgemeine Erwartung lautet, dass Transparenz elementar für das Vertrauen in ein Gemeinwesen ist, sodass beispielsweise die politischen Debatten des Deutschen Bundestags medial übertragen, aufgezeichnet und akribisch protokolliert wird. Auch Einkünfte aus Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten werden mittlerweile ab einer gewissen Höhe veröffentlicht. Aber auch in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen, wie der Verwaltung oder der Wirtschaft wird Transparenz diskutiert, eingefordert und umgesetzt. Mit all dem sind positive Erwartungen für Kampf gegen Korruption, undurchsichtige Machtstrukturen und Informationsasymmetrien verknüpft. Gleichzeitig werden aber auch Befürchtungen vor zunehmender Überwachung artikuliert, die wiederrum negative Effekte auf das Vertrauen zeitigen könnten: „Was die Folgen von tiefgreifender Transparenz sind, wird für viele Menschen immer undurchsichtiger. Die einen halten sie für alternativlos im Kampf gegen Korruption, unredliche Produktionsbedingungen und Geheimniskrämerei. Die anderen […] sehen da eine gnadenlose Kontrollgesellschaft aufziehen, die das Vertrauen verlernt“.[1]

Begriff und Konzeptbestimmung

Der Arbeitskreis Korruptionsforschung von Transparency Deutschland und der Arbeitskreis Politik und Recht der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft haben daher an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Vertreter*innen aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und praktischen Anwendungsfeldern zu einer multidisziplinären[2] Tagung geladen, um über Begriffe und Konzepte sowie über Chancen und Risiken von Transparenz zu diskutieren. Dabei wurde bereits im einleitenden Grußwort von Sebastian Wolf (Transparency Deutschland) ein kurzer Exkurs in gesicherte Erkenntnisse aus der bisherigen Transparenzforschung gegeben: Transparenz, vom Lateinischen trans für „darüber, hinüber, jenseits, durch“ und parere für „scheinen“[3] ist als Konzept und Begriff vieldeutig, kontextabhängig, voraussetzungsvoll, normativ aufgeladen, somit nicht leicht zu operationalisieren und kann zu uneindeutigen Ergebnissen führen. Sie unterscheide sich in ihrer Bedeutung und Verwendung je nach Gesellschaftsbereich (Politik, Kultur, Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft etc.) und könne als instrumenteller Wert oder absoluter/normativer Wert verstanden werden[4]. Es gelte zudem zwischen Struktur-, Prozess- und Inhaltstransparenz zu differenzieren[5].

Unstrittig innerhalb der Transparenzforschung sei hingegen, dass ein Maximum an Transparenz nicht das Optimum darstellt, es müsse eine richtige Balance zwischen Offenheit und Vertraulichkeit, Kosten und Nutzen, Aufwand und Ertrag gefunden werden[6]. Die Grenzen darüber, was transparent gemacht werden soll, seien zudem ein Produkt sozialer Aushandlungsprozesse[7]. Empirische Studien zeigten, dass Transparenz nicht die ihr zugeschriebenen Effekte auf Rechenschaftspflichten, Vertrauen, Partizipation und Effizienz herbeiführe und daher nicht als Allheilmittel dienen könne; in einigen Fällen habe sie sogar zu keinen oder sogar negativen Effekten geführt[8].

Hinzu kämen Abweichungen zwischen Wissenschaft und Praxis, wie zwei Beispiele veranschaulichen: So sei es eine gängige Annahme, dass Transparenz Vertrauen schaffe, siehe den Leitslogan „Weil Transparenz Vertrauen schafft“ der Internetplattform abgeordnetenwatch.de. Die Forschung geht hingegen weder von einer notwendigen noch hinreichenden Bedeutung von Transparenz als Voraussetzung für Vertrauen aus: So gebe es im Alltag nachweislich Vertrauen ohne jegliche Transparenz; letztere baue nicht zwangsläufig Vertrauen auf und letztendlich verringere steigende Transparenz das benötigte Vertrauen[9]. Abseits dieser Gedankenspiele zeigten Umfragedaten, dass „man das Vertrauen, das Regierungen genießen, nicht mit Transparenz erklären“ könne[10]. Zudem erodiere das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierungen derzeit gerade in vielen Demokratien, in denen staatliches Handeln im Gegensatz zu Autokratien transparenter ist oder der Grad an Transparenz sogar noch weiter steigt[11].

Ein anderes Beispiel stellen Annahmen über Transparenz und Korruption dar, siehe etwa die Forderung „Transparenz statt Korruption“ (Piratenpartei): Dabei ziele Transparenz aber nicht auf schwarze, sondern auf „graue“ Korruption, also auf illegitimes, aber nicht verbotenes Handeln[12] (darunter fallen häufig Interessenskonflikte). Jene Handlungen sollen durch in der Masse transparent gemachte Daten (1) entdeckt, (2) entsprechend interpretiert, (3) gesellschaftlich sanktioniert und dadurch (4) unterbunden werden, sodass es sich bei der Transparenz um ein voraussetzungsvolles Regulierungsinstrument handele[13]. Illegale korruptive Handlungen würden laut Wolf durch Transparenzvorgaben in die Nichtdokumentation verdrängt und der eindeutige Nachweis, wonach mehr Transparenz wahrgenommene oder tatsächliche Korruption reduziert, stehe weiterhin aus. Die Einsicht in die begrenzte Wirksamkeit von Transparenz wird auch daran deutlich, dass sich selbst „Transparency International Deutschland“ beim Thema Parteispenden nicht auf die Transparenz allein verlassen will, sondern auch die Einführung einer Obergrenze – und somit ein anderes Regulierungsinstrument – fordert. Resümierend startete die Tagung daher mit der Erkenntnis, dass Transparenz an sich weder per se vorteilhaft noch mit Nachteilen verbunden sei, sondern es stets Arbeitsauftrag bleibe, die Ergebnisse von Transparenz durchsichtig[14] zu machen.

Theorie und Empirie

Die Impulsvorträge des ersten Tages widmen sich zunächst der Theorie und Empirie von Transparenz. Marlon Barbehön (Universität Heidelberg) gibt in „Transparente Personen: Zur Paradoxie eines modernen politischen Topos“ zunächst einen Einblick in die Unwägbarkeiten, denen sich Politiker*innen ausgesetzt sehen, die in Zeiten wachsender Demokratieverachtung das Wagnis eingehen, eine die eigene Menschlichkeit sichtbarmachende Darstellung in Reportagen zu wählen und dabei erfuhren, dass sich die wahrgenommene Authentizität nicht in Verbindung mit jeder Art von „Fehler“ positiv für sie auswirke[15]. Illustrierbar sei dies an der Berichterstattung über den Wahlkämpfer Martin Schulz 2017[16]. Authentizität könne trotz der teils trendigen, teils gewachsenen Verknüpfung von Transparenz mit Demokratie, beispielsweise bei Jeremy Bentham („transparente Demokratie[17]“ im Utilitarismus), Jean-Jacques Rousseau („Transparenz des Herzens“[18] im Republikanismus) oder im Entwurf einer „demokratischen Theorie von Regierung“ bei Pierre Rosanvallon[19], performative Eigendynamiken entwickeln und so letztendlich als neue Misstrauensquelle dienen.

Andreas Polk (Hochschule für Wirtschaft und Recht) widmete sich dem Themenkomplex von „Transparenz, Lobbying und strategische[r] Korruption“. Letztere, wie sie zum Beispiel in der Aserbaidschanaffäre, der Klimastiftung MV oder über Einfluss auf Abgeordnete einzelner Parteien zutage getreten sei, werde als illegale Einflussnahme autokratischer Akteure in demokratischen, offenen und liberalen Ländern verstanden – mit dem Ziel, dortige Institutionen zu unterwandern und die demokratische Ordnung zu destabilisieren, sodass der Fokus hier auf der Lobbyismuskontrolle liege. Als ausgewählte Aspekte wurden hierzu Fragestellungen zu Parteispenden (insbesondere vorgelagerte Vereine), zu Spenden an MdBs, zu Nebentätigkeiten und Anzeigepflichten und zum Verbot entgeltlicher Lobbytätigkeit vorgestellt. Polk wies darauf hin, dass es zwischen bewusster und schleichender Korruption zu unterscheiden gelte, bevor er mit Lösungsvorschlägen abschloss: Schließung von Lücken in der Parteifinanzierung (Spendendeckelung), Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen, die Stärkung von Compliance-System, Ombudsperson in Parlamenten für MdBs und Mitarbeitende oder der Sicherstellung der Unabhängigkeit der Entscheidungsinstanzen.

Andrea Claudia Hoffmann (Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg) gab mit „Das Hamburger Transparenz-Portal als journalistisches Tool“ einen Einblick in die praktische Erfahrungen ihrer Studierenden in der Recherchearbeit mit den von den Verwaltungsbehörden der Hansestadt öffentlich zur Verfügung gestellten Daten (etwa zur Frage der Umweltbelastung unterschiedlicher Stadtteile oder zur tatsächlichen erfolgten Ausschüttung von städtischen Ausgleichszahlung an von Bauarbeiten betroffenen Anwohner*innen) und macht dabei die gesteigerten Anforderungen an die Nutzer*innen, die sich im Umgang mit so großen Datenmengen herauskristallisieren, deutlich: Zeit; Vorkenntnisse zur effektiven Anwendung der Suchkriterien und zur Einordnung der Funde sowie der Umgang mit im Zuge der Aufbereitung geschwärzten Informationen. Transparenz erweist sich in diesem Fallbeispiel in der konkreten Handhabung als sehr voraussetzungsreich.

Dass Transparenz somit nicht zwangsläufig zu Erkenntnis führt, nicht „als Auflösung des Problems“ fungieren kann, ist eine Beobachtung, die auch der Impulsvortrag „Transparenz und Opazität materieller Gehäuse“ von Fabian Beer (Universität Bielefeld) veranschaulicht. Der Wille zum Wissen des Inhalts reiche allein noch nicht aus, selbst, wenn das Gehäuse durchschaubar gemacht werde, um das darunter Freigelegte zu verstehen.

Werner Pitsch stellte unter dem Titel „Die Gratwanderung zwischen Lobbyismus und Korruption“ die Ergebnisse der von ihm und Georg Wenzelburger (beide Universität des Saarlandes) durchgeführten Einladung zur RRT[20]-Befragung unter aktiven und ehemaligen Parlamentarier*innen in Deutschland vor: Ziel war es mit mit indirekten Befragungsmethoden verlässliche(re) Schätzer zur Häufigkeit korrupten Verhaltens zu erhalten Die Fragen: „Haben Sie in der letzten Legislaturperiode Ihr Abstimmungsverhalten an die Ziele von Interessensgruppen angepasst, 1) damit Ihrer Partei daraus ein Vorteil erwächst; 2) damit Ihnen persönlich daraus ein immaterieller Nutzen erwächst oder 3) damit Ihnen persönlich daraus ein direkter oder indirekter materieller Nutzen erwächst: Die Ergebnisse für „ehrlich ‚ja‘“ waren Prävalenzen entsprechend der genannten Fragen mit 1) 18,5 Prozent, 2) 5,7 Prozent und 3) 10,5 Prozent. Die Befragung wurde mit einem kleinen Rücklauf von 10,3 Prozent und dem Learning abgeschlossen, dass der Zugang zu Parlamentarier*innen schwierig, aber nicht unmöglich sei und die Situation der anderer ähnlich gelagerter Forschungsbereiche zu abweichendem Verhalten ähnele.

In weiteren Vorträgen kamen noch weitere Ansätze, Erfahrungen und Thesen aus Forschung und Praxis zum Tragen: Roberto Cruz Romero (Universität Leipzig) stellte in „Disziplinäre Metaphern: Dimensionen und Anwendungen der Transparenz“ seine datengestützte Arbeit vor, die sich in einem gemischten Ansatz – bibliografische Analyse, Literatur, Inhaltsanalyse – mit dem Transparenz-Begriff auf Basis verschiedener Datenbanken wie Google Ngram oder OpenAlex* befasst. Carsten Stark (Hochschule Hof) referierte in „Transparenz von Verwaltungshandeln zwischen Verwaltungskomplexität und Digitalisierung“ über die verschiedenen Dimensionen des Begriffs: Was? Durch wen? Für wen? Wie? – und stellte dabei unter anderem die These vor, dass die Verwaltungskomplexität und insbesondere rechtliche Vorgaben für Transparenz eher hinderlich seien.

Sönke Hese und Peter Graeff (beide Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) diskutierten in „Ist Transparenz durch Open Government Data wirklich vertrauensfördernd?“ neben der Frage, ob transparente Institutionen als vertrauenswürdiger wahrgenommen werden, auch, inwiefern Plattformen wie GovData, openNRW oder eurostat den freien Zugang zu Verwaltungsdaten ermöglichen – und damit Transparenz und politische Teilhabe förderten. Konkrete Hoffnungen, die in diesem Zusammenhang genannt wurden, waren etwa die höhere Entdeckungswahrscheinlichkeit von Korruption, eine stärkere Rechenschaftspflicht, die Reduzierung von Informationsasymmetrien sowie die Verbesserung der Effizienz und Fairness in der Öffentlichen Beschaffung. Und darüber auch Hoffnungen auf eine verbesserte Legitimation politischer Entscheidungen und positive Wahrnehmung von staatlicher Integrität, sodass demokratische Institutionen im Optimalfall langfristig stabil bleiben. Ein Augenmerk liegt dabei aber zunächst auf den Voraussetzungen (Maschinenlesbarkeit, Anonymisierung, Lizenzen, Metadaten) und Grenzen der Umsetzung, wie etwa den Befürchtungen seitens von Behörden vor Missbrauch der Daten, Arbeitsaufwand, rechtlichen Einschränkungen oder letztlich der unterschiedlichen Datenqualität – auch im EU-Vergleich. Illustriert wurde dies durch Angaben zu Korruptionsfällen im Jahr 2022 pro 100.000 Einwohner*innen in drei EU-Staaten: 2,94 Fälle für Spanien, 43,21 Fälle für Belgien und 186,47 Fälle für Schweden, wobei dies vor allem dadurch erklärlich ist, dass unterschiedliche Staaten unterschiedliche Verfahrensstände (etwa Korruptionsverdachtsfall oder mit Verurteilung abgeschlossener Fall) angeben. Daraus ergeben sich Herausforderungen, die den erhofften Verbesserungen[21] zunächst einmal vorgelagert sind. Die Referenten kamen zu dem Schluss, dass Datenportale gegenwärtig einen breiten Zugang zu (wichtigen) Informationen ermöglichen, auch wenn nach wie vor fraglich bleibe, ob Open Government Data wirklich Transparenz, Vertrauen und Partizipation erhöhte. Die Nutzung könne auf jeden Fall durch mehr Standardisierung und bessere Datenqualität optimiert werden.

Spezifische Anwendungsfelder

Am zweiten Tag widmeten sich die Vortragenden den spezifischen Anwendungsfeldern von Transparenz. In „The more the better? Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz“ stellte Niels Angermüller den gemeinsam mit Ingo Sorgatz erarbeiteten Beitrag über die Bekämpfung von gemessener und gefühlter Korruption in Deutschland vor. Um Integrität und Rechenschaftspflicht von Politik und öffentlichen Institutionen zu erhöhen, kämen zum Beispiel das Lobbyregister, das Hinweisgeberschutzgesetz oder die Ausweitung von Informationsfreiheitsgesetzen zur Anwendung. Dabei spiele auch die Geeignetheit eines Mittels eine Rolle, sie genüge allein indes nicht, denn bei jeder neuen Maßnahme müsse auch der teils enorme Erfüllungsaufwand gerechtfertigt sein – und dies geschehe eher am Rande, so eine These. Dabei taugten weder Statistik noch Erhebungen für sich genommen zur belastbaren Einschätzung der Wirksamkeit der erfolgten Präventionsmaßnahmen: In Deutschland habe es 2022 einen Korruptionsverdachtsfall pro ca. 2.900 Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegeben. Während die Korruptionswahrnehmung permanent wachse, so eine These, stünde dem eigentlich eine gute Fallentwicklung im Hellfeld gegenüber. Es gelte also zu überlegen, ob man die „gefühlte Korruption“ mit permanent steigenden regulativen Maßnahmen überhaupt beeinflussen könne – oder Präventionsressourcen nicht mitunter auch an der falschen Stelle eingesetzt würden.     

Jonas Grutzpalk (Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen) referierte über unterschiedliche Perspektiven auf „Transparenz im Polizeiwesen“. So sei die Polizei als „autopoietisches System“ (Luhmann) intransparent für die Welt und die Welt intransparent für die Polizei („Wir sind die meiste Zeit im Blindflug“), die innerhalb der Einsatzarbeit zunächst nur über die Kommunikation zur Leitstelle mit ihrer Umwelt in Kontakt trete. Transparenzherstellung im Arbeitsalltag erfolge zudem über Kategorienbildung und Anwendungswissen (ready to go-Wissen). Das dabei entstehende selektive Verhältnis zur Umwelt unterstreiche die Bedeutung von soziologischer Bildung in der Polizei und werfe zugleich Fragen darüber auf, inwieweit Opazität hier auch systemerhaltend wirke.

In weiteren Vorträgen beleuchtete Linda Dürkop-Henseling (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) Funktionalität und Voraussetzungen von Opazität in „Der intransparente Kunstmarkt – Ein Vorbild wider Willen?“, während Hannah Kuhn über die Bedeutung von Interessenskonflikten bei der medizinischen Urteilsbildung und entsprechende Gegenmaßnahmen in „Interessenkonflikte in Klinik und Forschung: durch Transparenz Vertrauen schaffen“ darlegte. Abschließend stellte Julia Auf dem Brinke „Das Lobbyregister in der Praxis: Datenquellen und Analysemöglichkeiten“ vor und unterstrich ebenfalls, dass die fortbestehende Problematik der Abwesenheit von Wissen („Informationen sind nicht selbsterklärend“) bei gleichzeitiger Transparenz. Letztere bedeute nicht unbedingt, dass Prozesse offengelegt wären.

Die Entzauberung der Welt oder: Keine Transparenz ist auch keine Lösung

Transparenz, so machten die Beiträge und Diskussionen deutlich, funktioniert zunächst einmal als Metapher und als Vorstellung darüber, dass etwas sichtbar gemacht wird, was zuvor verborgen war. Gerade mit dieser Vorstellung werden zugleich Hoffnungen und das Ziel verknüpft, künftiges Verhalten zu steuern. In der Praxis – umgesetzt als Kontrollmaßnahme - kann diese Erwartung indes ad absurdum geführt werden, etwa wenn eine veränderte Aktenführung aufgrund antizipierter Rechtfertigungsgründe in der Verwaltung stattfinde, um sich möglichst nicht angreifbar zu machen. Dann verändere Transparenz als Regulativ das Offengelegte, sodass man nicht mehr das sieht, was man sichtbar machen wollte.

Angesichts sehr gemischter Einschätzungen über die gewünschten Resultate von bereits umgesetzten Transparenzmaßnahmen zeigte sich eine gewisse Desillusionierung von in der Öffentlichkeit vorherrschenden Hoffnung auf „mehr Transparenz“: „flooding the field“ als Verfahren und Transparenz – Daten – als sprichwörtlicher Möhre vor Augen. Ähnliches wurde für die angenommene Verbindung von Vertrauen und Transparenz zum Ausdruck gebracht, so etwa bei der Frage, welche Rolle Vertrauen in unserer Gesellschaft überhaupt noch spielt, wenn wir voneinander stets Transparenz erwarten. Und in der Empirie im Gegensatz dazu etwa Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht trotz richterlichen Arkanums - und somit im Widerspruch zu all dem Vorgenannten – gerade besonders viel Vertrauen entgegengebracht wird, sodass von hier sogar systemrelevanter Intransparenz gesprochen werden könne.

Hinsichtlich des multidisziplinären Elements der Tagung blieb zudem festzuhalten, dass es den Teilnehmer*innen trotz vieler unterschiedlicher Perspektiven auf das Thema gelang, beim kritischen Blick auf Transparenz eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. 


Anmerkungen:

[1] Silke Wichert, SZ Magazin 24.2.2023, S. 22, zitiert nach Arbeitskreis Korruptionsforschung von Transparency International Deutschland und Arbeitskreis Politik und Recht der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (2024): Call for Papers für „Transparenz – multidisziplinäre Perspektiven auf einen schillernden Begriff“ - Tagung am 27./28.3.2025 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, online unter: https://www.dvpw.de/fileadmin/docs/Termine/2024-10-14_cfp_Transparenz-Tagung.pdf [zuletzt abgerufen am 08.04.2025]

[2] Jansen, Stephen A. et al. (2010): Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.

[3] Schmidt, Andreas (2010): Transparenz zur Korruptionsbekämpfung durch E-Government. In: Jansen, Stephan A. et al.  (Hrsg.): a. a. O., S. 373–395, hier S. 375.

[4] Villeneuve, Jean-Patrick / Heide, Marlen (2021): Transparency. In: Harris, Phil / Bitonti, Alberto / Fleisher, Craig S. / Skorkjær Binderkrantz, Anne (Hrsg.): The Palgrave Encyclopedia of Interest Groups, Lobbying and Public Affairs. Cham: Palgrave Macmillan, S. 2.

[5] Schmedes, Jörg / Kretschmer, Hans-Jörg (2014): Interessen, Transparenz, Vertrauen – und die Legitimität von Politik, in: Winter, Thomas / Blumenthal, Julia (Hrsg.): Interessengruppen und Parlamente.  Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften, S. 311-333, S. 322.

[6] Wewer, Göttrik (2017): Transparenz als Grundlage für Vertrauen? Die Sichtweise der Regierungslehre. Kiel: Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, S. 2.

[7] Stehr, Nico / Wallner, Cornelia (2010): Transparenz: Einleitung. In: Jansen, Stephan A. et al. (Hrsg.): a. a. O., S. 9–19, hier S. 11.

[8] Villeneuve, Jean-Patrick / Heide, Marlen (2021): a. a. O., S. 6.

[9] Wewer, Göttrik (2017): a. a. O., S. 5.

[10] Wewer, Göttrik (2017): a. a. O., S. 32.

[11] Wewer, Göttrik (2017): a. a. O., S. 33.

[12] Vgl. Alemann, Ulrich v. / Eckert, Florian (2006): Lobbyismus als Schattenpolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 56 (15–16) S. 3–10, hier S. 7; online unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29795/lobbyismus-als-schattenpolitik/ [zuletzt abgerufen: 08.04.2025]

[13] Vgl. Stehr, Nico / Wallner, Cornelia (2010): Transparenz: Einleitung. In: Jansen, Stephan A. et al. (Hrsg.): a. a. O., S. 9–19, hier S. 15; Wewer, Göttrik (2017): a. a. O., S. 6.

[14] Stehr, Nico / Wallner, Cornelia (2010): Transparenz: Einleitung. In: Jansen, Stephan A. et al. (Hrsg.): a. a. O., S. 9–19, hier S. 17.

[15] Séville, Astrid / Müller, Julian: Politische Redeweisen. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 71.

[16] Ebd.

[17] August, Vincent / Osrecki, Fran (2019): Der Transparenz-Imperativ: Normen – Praktiken – Strukturen. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.

[18] Herb, Karlfriedrich et al. (2011): Im Schatten der Öffentlichkeit: Privatheit und Intimität bei Jean-Jacques Rousseau und Hannah Arendt, In: Themenschwerpunkt: Politische Ethik, S. 275-298.

[19] Rosanvallon, Pierre (2018): Die gute Regierung. Berlin: Suhrkamp, S. 10.

[20] Randomized-Response-Technik (deutsch randomisierte Antwort-Technik).

[21] Hoffnungen, die in diesem Zusammenhang genannt wurden: eine höhere Entdeckungswahrscheinlichkeit von Korruption, eine stärkere Rechenschaftspflicht, die Reduzierung von Informationsasymmetrien sowie auf die Verbesserung der Effizienz und Fairness in der Öffentlichen Beschaffung. Und darüber auch eine verbesserte Legitimation politischer Entscheidungen, eine verbesserte öffentliche Kontrolle und positive Wahrnehmung von staatlicher Integrität, sodass demokratischen Institutionen langfristig stabil bleiben.



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