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Rezension / 01.10.2025

Mirjam Kid: Christlicher Nationalismus und die Trump-Bewegung. Über historische Narrative und moderne Propagandamethoden

Bielefeld, transcript 2025

Mirjam Kid zeigt die politische Funktion von Religion und religiösen Diskursen in den USA mit Fokus auf dem White Christian Nationalism. Unsere Rezensentin lobt die Lektüre als unverzichtbar für das Verständnis, wie Religion als „kultureller Code“ tief in die US-Gesellschaft hineinwirke. Die MAGA-Bewegung bediene sich in ihrer politischen Kommunikation religiöser Kontinuitäten in den USA, um Bürger*innen gegen liberale Werte einzunehmen. Dahinterstehende diskursive Strategien würden zudem gezielt an Akteure in anderen westlichen Demokratien weitergegeben.

Eine Rezension von Cynthia Freund-Möller

Aus europäischer Perspektive war stets bekannt, dass die Vereinigten Staaten eine eigene Auffassung von der Trennung von Staat und Kirche pflegen. Das Motto „In God we trust“[1], das nicht nur auf Dollarscheinen prangt, sondern seit 1956 sogar gesetzlich verankert ist, wurde lange Zeit als kulturelle Kuriosität wahrgenommen – ein Detail der amerikanischen Eigenart, das für die internationale Politik kaum Bedeutung zu haben schien.

Diese scheinbar harmlose Besonderheit rückte jedoch mit voller Wucht ins Zentrum der Aufmerksamkeit, als am 6. Januar 2021 der Sturm auf das Kapitol stattfand. Die Angreifenden versammelten sich zunächst im gemeinschaftlichen Gebet, bevor sie Politiker*innen bedrohten und Gewalt ausübten. Dieser öffentlich zelebrierte Rückgriff auf religiöse Rituale wirkte auf viele Beobachtende wie ein Blick in die Zeit der Kreuzzüge. Annika Brockschmidt[2] und Michael Wolff[3] haben diese Ereignisse in vielbeachteten Büchern analysiert. Ihre Werke trugen dazu bei, die weltweite Irritation über den Zustand der US-amerikanischen Demokratie in Worte zu fassen und den Schock über die offensichtliche Verletzlichkeit einer vermeintlich gefestigten Institution zu verarbeiten.

Jüngst lenkte zudem das Attentat auf Charlie Kirk am 10. September 2025[4] den Blick erneut auf religiös aufgeladene Diskurse. Mit dem Mord an Kirk verlor die MAGA-Bewegung nicht nur einen ihrer Vordenker, sondern gewann zugleich einen Märtyrer – ein Umstand, der in Europa vermutlich weniger Beachtung findet als die Tat selbst, aber innerhalb der Bewegung enorme symbolische Sprengkraft entfaltet.

Religion und Demokratie im Spannungsverhältnis

Die Vereinigten Staaten präsentieren sich gern als Wiege der modernen Demokratie. Doch wie lassen sich demokratische Prinzipien mit nicht-säkularisierten Gründungsmythen vereinbaren? Wie kann eine Gemeinschaft, die sich auf den christlichen Wertekanon beruft, Gewalt nicht nur tolerieren, sondern immer wieder hervorbringen und rechtfertigen? Diesen Fragen widmet sich Mirjam Kid in ihrem Buch „Christlicher Nationalismus und die Trump-Bewegung“. Sie zeigt überzeugend, dass die christlich-weiße Identität nicht nur ein Baustein der US-amerikanischen Politik ist, sondern deren tragendes Fundament bildet. Mehr noch: Kid fragt nicht, ob Religion und religiöse Diskurse Politik prägen, sondern welche Funktion sie innerhalb des politischen Systems übernehmen (18). Diese Umkehr der Perspektive macht deutlich, wie tief religiöse Argumentationsmuster in Entscheidungsprozesse eingewoben sind und wie selbstverständlich sie in der politischen Kommunikation mitschwingen.

Historische Wurzeln und ideologische Kontinuitäten

Die Autorin verknüpft zwei methodische Zugänge. Zum einen diskutiert sie die Forschungsdebatten um „Deep Story“ (34) und „White Christian Nationalism“ (35), zum anderen unterzieht sie historische Quellen einer sorgfältigen Analyse, um die Ursprünge der heutigen US-Identität freizulegen. Dabei zeichnet Kid nach, wie Narrative vom „auserwählten Volk“ (46 ff.), die Vorstellung einer „gottgewollten“ Sklaverei (53 ff.) und libertäre Ideale (62 ff.) über Generationen hinweg für eine weiße, privilegierte Bevölkerung anschlussfähig wurden. Sie zeigt, dass diese Ideen nicht als Relikte der Vergangenheit betrachtet werden können, sondern bis in die Gegenwart fortwirken. So erklärt Kid schlüssig, weshalb Gewalt statt Nächstenliebe sowie gesellschaftliche Hierarchien nach Klasse, Herkunft und „race“ fortbestehen – und warum diese Strukturen in den USA, anders als aus europäischer Perspektive erwartet, nur selten demokratisch hinterfragt werden. Ihre Argumentation macht deutlich, dass sich hier ein tiefer kultureller Code manifestiert, der politischen Wandel erheblich erschwert.

Analyse von Bannons „War Room“

Besonders eindrucksvoll ist die qualitative Inhaltsanalyse von Steve Bannons Sendung „War Room“ (75 ff.). Kid arbeitet detailliert heraus, wie die ineinandergreifenden Themen durch gezielte Unschärfen Grenzen verwischen – und wie sie diese analytisch wieder trennt. Sie zeigt, wie enorm der mediale Output dieser Sendung ist (81) und wie es ihr dennoch gelingt, ein schlüssiges Sample zu wichtigen Stichtagen zu erheben (41). Unter dem Brennglas zeigt sie, wie scheinbar gegenläufige Narrative nebeneinander bestehen können – etwa antisemitische Verschwörungserzählungen (89) neben der Solidarisierung mit Israel (99) – und wie zugleich klassischer Populismus („wir“ gegen „die“, 106) mit der Diffamierung innerparteilicher Gegner*innen als „RINOs“ („Republicans in name only“, 108) verknüpft wird. Kid fasst diese Beobachtungen zu einer Strömung zusammen, die eine „Kultur der Mitleidlosigkeit“ (109) hervorbringt und sich durch massiven medialen Input weiter verfestigt. Dadurch entsteht ein digitales Vorfeld der MAGA-Bewegung, das zugleich kapitalistische Mechanismen nutzt und Produkte mit religiös-politischer Bedeutung auflädt (vgl. 113), wodurch sich politische Radikalisierung und wirtschaftliche Interessen eng miteinander verschränken. Gewalt erscheint darin durchgehend als unvermeidliches Mittel, um den vermeintlichen Verfall der westlichen Welt abzuwehren. Besonders bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang, dass ein Ableger von „War Room“ auch in Deutschland gemeinsam mit der AfD entstehen soll (149).

Ein Aspekt, den die Autorin nur am Rande streift, ist das persönliche Verhältnis zwischen Steve Bannon und Donald Trump. Ein eigenes Kapitel hierzu wäre zweifellos interessant gewesen, hätte aber wohl den Rahmen gesprengt und den Fokus – die Charakterisierung des White Christian Nationalism – verwässert. Gleichwohl deutet Kid an, dass die Wechselbeziehung zwischen beiden Persönlichkeiten das strategische Vorgehen der Bewegung erheblich beeinflusst.

Europäische Anschlussfähigkeit

Kid weist zu Recht darauf hin, dass religiöse Diskurse in Europa weniger tief verankert sind als in den USA – zugleich aber durchaus anschlussfähig bleiben. Gerade in Zeiten wachsender Unsicherheit können sie als identitätsstiftendes Narrativ dienen und politische Bewegungen befeuern, die sich als Verteidiger eines „christlichen Abendlands“ gegen den Islam und gegen liberale Werte inszenieren. Als internationales Netzwerk, das auf ein westlich-christliches Selbstbild rekurriert und seine Strategien gezielt weitergibt, birgt dieser Diskurs erhebliche Gefahren für demokratische Gesellschaften, wie auch der Auftritt von Liz Truss (139 ff.) bei „War Room“ zeige. Kid macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem White Christian Nationalism weit über die Grenzen der USA hinausreicht und auch für Europa von zentraler Bedeutung ist, vor allem in der Auseinandersetzung mit konservativen und libertären Strömungen. Wer verstehen möchte, wie diese religiösen Diskurse entstanden sind und warum sie in der US-Politik bis heute als nahezu unverrückbare Größe gelten, findet in diesem Buch eine unverzichtbare Lektüre.


Anmerkungen:

[1] Heinisch, Carsten (2024): 30.7.1956. Die USA führen das Motto „In God we trust“ ein, online unter https://www.swr.de/swrkultur/leben-und-gesellschaft/3071956-die-usa-fuehren-das-motto-in-god-we-trust-ein-100.html [letzter Zugriff 14.09.2025].

[2] Brockschmidt, Annika (2021): Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

[3] Wolff, Michael (2021): 77 Tage. Amerika am Abgrund: Das Ende von Trumps Amtszeit, Hamburg: Rowohlt Verlag.

[4] DIE ZEIT, dpa, Reuters (2025): Tatverdächtiger im Mordfall Charlie Kirk verweigert Aussage, online unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-09/tatverdaechtiger-mordfall-charlie-kirk-verweigert-aussage [letzter Zugriff 15.09.2025].



DOI: 10.36206/REZ25.44
CC-BY-NC-SA