Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet
Annika Brockschmidt porträtiert die Religiöse Rechte in den USA – ein Sammelbecken, das extreme politische Rechte, christliche Evangelikale und wirtschaftsliberale Kräfte umfasse, so Rezensent Volker Stümke. Sie verbinde die Überzeugung von der „White Supremacy“. Deren Protagonist*innen, Organisationen (vom Ku-Klux-Klan bis zur Tea-Party-Bewegung) und Argumente werden vorgestellt. Es handele sich um eine politische, keine rein religiöse Bewegung, die einen christlichen Nationalismus vertrete. Für die Autorin sei der Sturm auf das Kapitol als Reaktion auf die Wahlniederlage Donald Trumps keine Überraschung gewesen.
Die Buchinformation trifft zu: Bei diesem wichtigen Buch handelt es sich um ein „aufrüttelndes Porträt der Religiösen Rechten in den USA“. Die Journalistin Annika Brockschmidt, die sich selbst klar liberal positioniert, vertritt näherhin zwei zentrale Thesen, die den roten Faden durch die vielen recherchierten Fakten und politischen wie religiösen Analysen markieren. Erstens betont sie, dass diese rechten Kräfte ein Zusammenschluss von der extremen politischen Rechten, christlichen Evangelikalen und wirtschaftsliberalen Kräften seien. Zweitens zeigt sie immer wieder auf, dass die rassistische Überzeugung von der „White Supremacy“ die verbindende Grundeinstellung dieser politisch wirksamen Kräfte darstelle. Trumps (und bereits Reagans) Forderung „Make America Great again“ impliziere auch „Make America Christian again” und habe als Subtext “Make It White Again Too” (323).
Bereits einleitend hält sie fest, dass der von ihr als Oberbegriff verwendete „Christliche Nationalismus […] als kulturelles Phänomen verstanden werden [müsse], das zwar stellenweise seine Legitimation aus der Bibel ableitet, aber das in erster Linie eine politische, keine rein religiöse Bewegung ist“ (15 f.). Dementsprechend gebe es auch eine Fülle von Themen und Grundpositionen wie den Einsatz für Privatschulen, das Plädoyer für einen ungebremsten Kapitalismus, die Ablehnung von Homosexualität sowie von LGBTQIA*-Rechten, das Werben für eine bürgerliche Ehe mit männlicher Vorherrschaft samt einer konservativen Sexualmoral (Purity-Culture), das Verbot von Abtreibung sowie teilweise antisemitische und islamfeindliche Äußerungen. Die Basis dieser Themen sei eine rassistische Grundüberzeugung von der Vorherrschaft weißer Männer.
Das Engagement für Privatschulen sei eine Reaktion auf das Verbot der Segregation (61), die rigide Sexualmoral solle die traditionelle Geschlechterhierarchie und damit die männliche Dominanz aufrechterhalten (216) und bei der Jungfräulichkeit seien vor allem weiße Frauen und eine Ehe zwischen Weißen als „natürliche Familie“ im Blick (226), während man People of Color als sexuell unbeherrscht ansehe (238).
Diese konservativen Christen hätten sich Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Gesellschaft zurückgezogen, nachdem der „Affenprozess“ (Scopes-Monkey-Trial) mit einem Pyrrhussieg und der Bloßstellung fundamentalistischer Christen beendet wurde. Deren Reaktion habe nun darin bestanden, Parallelstrukturen zu entwickeln (52), ein eigenes, gut vernetztes Imperium aufzubauen und immer neue Nadelstiche gegen die etablierte „Küstenelite“ zu setzen. Näherhin wollte man in sieben Lebensbereichen dominieren: „Familie, Religion, Bildung, Medien, entertainment, Business und Regierung“ (130). Dieser Prozess wird von Brockschmidt ausführlich analysiert, indem wichtige Protagonist*innen (wie William F. Buckley, Paul Weyrich, Phyllis Schlafly), Organisationen (vom Ku-Klux-Klan bis zur Tea-Party-Bewegung) und vor allem auch deren zentrale Argumente dargelegt und politisch wie theologisch gewürdigt werden. Die politischen Aktivitäten bestünden anfangs vornehmlich darin, im ländlichen Raum Einfluss zu gewinnen, weil „dünn besiedelte Landstriche überproportional“ in den politischen Gremien vertreten seien (138). Immer stärker sei aber auch die republikanische Partei unter diesen Einfluss geraten, sodass inzwischen niemand mehr in ihr gegen den christlichen Nationalismus Karriere machen könne.
Aber wie passt die Unterstützung von Ronald Reagan und Donald Trump, die beide nicht als fromme Christen gelten und die jeweils gegen bekennende Christen (J. Carter, H. Clinton) antraten, in dieses Bild? Hier werde deutlich, dass die christlichen Nationalisten die politische Ideologie stärker gewichteten als die christliche Identität (77). Entscheidend sei, dass die politischen Ziele durchgesetzt werden: eine Re-Christianisierung der Gesellschaft, die durch linke und liberale Ansichten verderbt sei (259). Mit Blick auf Trump wurde dazu das „König-David-Argument“ (92) vorgetragen: Trump sei wie David eben ein Werkzeug Gottes, das nicht fromm sein müsse, sondern erfolgreich – auch hier habe sich also die Vorherrschaft des weißen Mannes gegenüber der Frömmigkeit durchgesetzt. Männer seien eben Krieger – und das gelte sogar für Jesus, der „heute nicht mehr Brot an die Armen verteilen, sondern mit einer AK-47 durch die Welt ziehen“ würde (196). Solche drastischen Zitate, von denen Brockschmidt etliche anführt, ohne dabei alarmistisch zu argumentieren, belegen ihre These von der Vereinigung rechter Gesinnung, christlicher Symbole und kapitalistischer Einstellungen.
Für die Autorin ist der Sturm auf das Kapitol als Reaktion auf die Wahlniederlage Trumps angesichts solch martialischer Ansichten keine Überraschung, sondern das (Zwischen-) Ergebnis dieser Strategie (330 f.). In den USA herrsche derzeit ein kalter Bürgerkrieg (342), in dem die christlich-nationalistischen Republikaner mit verschiedenen Maßnahmen versuchten, die Macht wieder zu erlangen, namentlich durch Veränderungen des Wahlrechts, durch mediale Panikmache vor Einwanderern aus Mexiko, durch Geschichtsklitterung und durch die Vernebelung von Großspenden. Dementsprechend endet ihre weiterführende Analyse mit der eindringlichen Warnung, diese Kräfte nicht zu unterschätzen, die nicht auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet sind, sondern „auf dem Weg zu einem christlich-nationalistischen Amerika“ (351).
Außen- und Sicherheitspolitik
Philip Gorski: Am Scheideweg. Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Trump
Rund 80 Prozent der evangelikalen Christen haben bei den Präsidentschaftswahlen für Donald Trump gestimmt. Philip Gorski fragt nach den Gründen und versucht zugleich das Verhältnis von Demokratie und (christlicher) Religion zu vermessen. Der Autor sieht eine enge Verbindung zwischen evangelikalem Protestantismus und dem sozialpsychologischen Konstrukt „WCN“ (White Christian Nationalism).