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Rezension / 07.05.2025

Steffen Ganghof: Demokratische Regierungssysteme. Eine vergleichende Perspektive

Stuttgart, UTB 2025

Wie unterscheiden sich moderne Demokratien in ihrer Funktionsweise? Welche Rolle spielt das Regierungssystem für die Qualität demokratischer Politik? Und wo sind Demokratien besonders anfällig für autoritäre Tendenzen? Steffen Ganghof widmet sich diesen Fragen – und analysiert systematisch die institutionellen Unterschiede zwischen heutigen demokratischen Regierungssystemen. Unser Rezensent Michael Kolkmann hebt die innovative, klar strukturierte und zugleich zugängliche Darstellung hervor, die Ganghofs Buch deutlich von klassischen Einführungen abhebt.

Eine Rezension von Michael Kolkmann

Die Analyse unterschiedlicher Regierungssysteme sowie deren Typologisierung zählt seit langem zu einer der Hauptbeschäftigungen politikwissenschaftlicher Forschung und Lehre. Mittlerweile lässt sich eine nahezu unüberschaubare Fülle an Versuchen konstatieren, entlang spezifischer Kriterien autokratische von demokratischen Regimetypen zu unterscheiden und insbesondere unterschiedliche Spielarten der Demokratie zu untersuchen. Dem Potsdamer Politikwissenschaftler Steffen Ganghof kommt das Verdienst zu, sich in einer aktuellen Neuerscheinung in vergleichender Weise mit genau diesen demokratischen Regierungssystemen ausführlich, detailliert und problemorientiert befasst zu haben.

In insgesamt 15 Kapiteln, die jeweils mit einer spezifischen Frage überschrieben sind („Welche Rolle spielt das Regierungssystem für die Demokratie?“, „Woran erkennen wir Demokratien?“, „Wozu zweite Kammern?“, aber auch „Wie geht Demokratie in gespaltenen Gesellschaften?“ oder „Wie gefährlich ist der Präsidentialismus?“) präsentiert Ganghof eine wahre tour d’horizon durch so ziemlich alle Untersuchungsarenen, die unter dem Titel der demokratischen Regierungssysteme subsumiert werden können. Jedes Kapitel wird mit einem Satz von (weiteren) Fragen eröffnet, die auf den jeweils folgenden Seiten im Mittelpunkt des Interesses stehen. Nicht zuletzt diese Vorgehensweise macht das Buch sehr leserfreundlich.

Ganghof erläutert eingangs die spezifische Ausrichtung des Buches. Er versteht sein Werk als Lehrbuch, will sich aber mit Blick auf andere typische Einführungsbücher bewusst von diesen unterscheiden: „Viele Lehrbuchkapitel sind zu lang und überfrachtet mit Informationen, neuer Terminologie und wissenschaftsinternen Debatten. Kürzere und einfachere Texte sind dagegen oft weit von den relevanten Forschungsdebatten entfernt“ (11). Das vorliegende Buch versucht hingegen „Grundlagenwissen möglichst im Rahmen übergeordneter Fragestellungen zu vermitteln – im Idealfall sozusagen nebenbei“ (ebd.). Es geht Ganghof „gerade nicht darum, jedes Regierungssystem oder jedes Teilthema aus dem gleichen Blickwinkel zu betrachten. Vielmehr werden jeweils Fragestellungen ausgewählt, die sich angesichts bestimmter Forschungsdiskussionen oder Trends in der Welt anbieten“ (ebd.). Und gerade das Aufgreifen dieser aktuellen Anknüpfungspunkte trägt dazu bei, für die Leserinnen und Leser einen inhaltlichen Mehrwert zu schaffen, der anderen, genereller gehaltenen Überblicksdarstellungen allzu häufig fehlt.

Zentrale Fragestellungen des Buchs

Zu den zentralen im Buch berücksichtigten Fragestellungen zählen etwa diese: „Wie funktionieren verschiedene Regierungssysteme? Welche Auswirkungen haben sie? Welche Herausforderungen stellen sich? Welche Regeln bilden einen wünschenswerten Rahmen für eine demokratische Verfassung?“ (13). Bewusst vernachlässigt werden typologische Fragen wie „Ist diese oder jene Typologie besser? Ist dieses oder jenes Regierungssystem ein eigener Typ oder ein Subtyp?“ (12 f.). Denn: „Mit solchen Debatten könnte man lange Kapitel füllen, aber für die wirklichen Probleme des demokratischen Projekts sind sie belanglos“ (13).

Analytisch lohnenswert ist die doppelte Herangehensweise Ganghofs an den Begriff des Regierungssystems. In einem engeren Sinne versteht er darunter das verfassungsrechtliche Dreiecksverhältnis zwischen den Wählern, dem Parlament und der Regierung: „Wie kommt die Regierung ins Amt, und wie kann sie wieder aus dem Amt entfernt werden?“ (ebd.). In den systematischen Kapiteln des Buches fokussiert sich Ganghof auf jene fünf Typen, die in demokratischen Flächenländern am häufigsten anzutreffen sind: präsidentielle Systeme (zum Beispiel Brasilien, Südkorea und die USA), parlamentarische Systeme (zum Beispiel Deutschland, Nepal und Südafrika), semi-präsidentielle Systeme wie in Frankreich, in der Mongolei oder im Senegal, semi-parlamentarische Systeme wie Australien und Japan sowie das Direktorial- oder versammlungsunabhängige System der Schweiz. Ganghof betont, dass solche unterschiedlichen Regierungssysteme etwa den Charakter von Regierungen und politischen Parteien beeinflussen (vgl. 16). Auch bei der Zusammenstellung bzw. -setzung von Kabinetten mache es einen Unterschied, ob das Augenmerk auf einem Kanzler oder Premierminister in einem parlamentarischen oder auf dem Präsidenten eines präsidentiellen Systems liege.

In einem erweiterten Verständnis des Regierungssystems blickt der Verfasser zudem auch auf den gesellschaftlichen und institutionellen Kontext, etwa indem er die Gesellschaftsstruktur sowie das Wahl- und das Parteiensystem eines Landes berücksichtigt, schließlich sei Demokratie ein umfassender sowie „schillernder und umkämpfter Begriff“ (23). Für viele in der Politikwissenschaft ist Demokratie eine Entweder-oder-Frage, also eine dichotome Variable. Relativ früh im Buch konstatiert Ganghof: „Kein System ist auf den ersten Blick offensichtlich besser. Alle haben ihre Vor- und Nachteile“ (43). Im weiteren Verlauf der Argumentation greift Ganghof diese Vor- und Nachteile einzelner Typen wieder auf und illustriert sie exemplarisch anhand ihrer konkreten Ausformungen in der empirischen Realität.   

Aktuelle Trends und eine globale Perspektive

Durch die in sich abgeschlossenen Kapitel eignet sich das Buch zum Stöbern und Blättern, wozu der Verfasser eingangs explizit ermuntert (vgl. 12). Das Ziel besteht für Ganghof nicht nur darin, „einen vermeintlichen politikwissenschaftlichen Konsens oder eine ‚herrschende Meinung‘ darzustellen. Ersterer existiert nur selten und Letztere ist nicht immer ein guter Indikator für die Qualität der Argumentation“ (12). Als erfrischend erweist sich der gelegentlich kritische Blick Ganghofs auf althergebrachte Befunde der Politikwissenschaft. So greift er etwa das Beispiel der häufig als „Konsensdemokratie“ titulierten Schweiz auf und thematisiert dezidiert die mehrheitsdemokratischen Züge dieses politischen Systems (Kapitel 12). Die systematische Befassung dieses Themas ergänzt er zum Beispiel mit der Frage, warum die Schweiz mit Blick auf ihr politisches System keine Nachahmer findet. Ganghof bekennt sich darüber hinaus zum „Mut zur Lücke“ und vernachlässigt bewusst „Fachdebatten, die bestenfalls für Spezialisten von Bedeutung sind“ (12).

Immer wieder wird im öffentlichen wie fachwissenschaftlichen Diskurs die Politikwissenschaft als „reflexive“ Wissenschaft charakterisiert, die aktuelle Themen aufgreift, um sie wissenschaftlich zu bearbeiten. Politische Trends bilden sich somit stets in ihrer wissenschaftlichen Analyse ab. Mit dem aktuellen Trend zum Abbau demokratischer Errungenschaften oder mit Blick auf autokratische Tendenzen finden sich diese Entwicklungen auch in der Analyse wieder. Insofern ist hilfreich, dass auch Ganghof auf diese aktuellen politischen Entwicklungen eingeht, etwa wenn er fragt, an welchen Stellen des jeweiligen Systems die Anfälligkeit für autokratische Tendenzen besonders groß ist.

Schließlich ergänzt Ganghof die fachwissenschaftliche Debatte, die sich seiner Einschätzung nach zu oft auf ausgewählte Beispiele fokussiert (etwa die USA als präsidentielles oder Großbritannien als parlamentarisches System), in seinem Werk um eine globale Perspektive und bezieht insofern auch Fallbeispiele aus Ländern wie Indonesien, Mexiko, Tunesien und Australien mit ein. Ein umfangreiches Quellenverzeichnis lädt zum Weiterlesen und Vertiefen der in diesem Buch präsentierten Befunde ein. Im Text selbst werden zahlreiche einschlägige Autoren wie Przeworski, Dahl, Tsebelis und Lijphart (um nur einige zu nennen) in die Argumentation eingeführt. Quasi en passant werden auch andere Untersuchungsbereiche der politikwissenschaftlichen Forschung in den Blick genommen, etwa wenn Ganghof die Frage nach möglichen Veto-Spielern in der Demokratie aufwirft (und nach deren Vetospieler-Potenzial fragt). Oder wenn unterschiedliche Wahlsysteme auf ihre Konsequenzen für spezifische Regierungssysteme hin abgeklopft und mögliche Reformideen wie etwa das Konzept des Condorcet-Verlierers oder das Alternativstimmensystem diskutiert werden. Auch klassische Themen aus der Parlamentarismusforschung wie die Proportionalität von Parlamenten, die Frage der Parlamentsauflösung und die Rolle zweiter Kammern (und wann sind diese „starke“ zweite Kammern?) kommen auf die Agenda und werden im Kontext demokratischer Regierungssysteme näher erörtert. Leider nur sehr knapp werden einige aktuelle und spannende Fragen thematisiert, denen man im vorliegenden Buch mehr Raum gegönnt hätte, zum Beispiel die Rolle von parteilosen Experten in der Regierung (Stichwort Technokratie) oder die Frage, ob Militärs als Verteidigungsminister dienen können sollten.

Was das Buch schließlich auch von anderen Einführungswerken abhebt, ist die quasi durchgehende Berücksichtigung der Bedeutung eines Regierungssystems für die Qualität der Demokratie, sei es, dass Ganghof danach fragt, wie gut parlamentarische Systeme funktionieren, inwiefern sich der Präsidentialismus als „gefährlich“ herausstellen kann und welche Bedeutung Vetospielern in Demokratien zukommt. Gerade in Zeiten, in denen weltweit autoritäre Tendenzen zunehmen, unterstreicht der Verfasser mit seinem Buch die Rolle, die demokratische Regierungssysteme spielen können (und sollten).

Ein etwas anderes Lehrbuch mit vielen Stärken

Als ein finaler Vorteil des Buches erweist sich die Fähigkeit Ganghofs, zentrale Konzepte nicht als monolithische Blöcke zu verwenden, sondern diese aufzubrechen und mit verschiedenen Untertypen weiter zu differenzieren. Im Kapitel über die Konsensdemokratie zum Beispiel (vgl. 149 ff.) unterscheidet Ganghof zwischen der  pluralitären Demokratie, der echten Mehrheitsdemokratie sowie der eigentlichen Konsensdemokratie und führt einen Typus ein, bei dem er vor allem „lose Enden“ diagnostiziert: Es handelt sich hierbei um Länder, „die einerseits wenige Parteien in der ersten Kammer des Parlaments (und/oder einen direkt gewählten Präsidenten) und andererseits starke Vetopunkte haben“ (155). Solche Systeme sieht er beispielsweise in Australien, Argentinien oder Kanada.

Summa summarum präsentiert Ganghof eine erfrischend neue Perspektive auf die Typologisierung von Regierungssystemen. Er kann die bisherigen Einführungs- und Überblickswerke zum Thema vermutlich nicht komplett ablösen, aber wer dieses Buch in Ergänzung gängiger Werke zur Hand nimmt, wird mit einem spannenden und mitunter überraschenden Perspektivwechsel belohnt.



DOI: 10.36206/REZ25.22
CC-BY-NC-SA