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Rezension / 19.08.2024

Adam J. Berinsky: Political Rumors: Why We Accept Misinformation and How to Fight It

Princeton, Princeton University Press 2023

Adam J. Berinsky beleuchtet Geschichte und Ursachen für den Glauben an politische Gerüchte, wie sie in der Regierungszeit Trumps beobachtbar waren. Wo es dann in der Folge um Strategien zu deren Richtigstellung geht, versteife sich der Autor analytisch zu sehr auf die Rolle politischer Eliten, was Stefan Matern unter Verweis auf den dabei zu kurz kommenden Aspekt der Medienkompetenz der Bürger*innen bedauert. Das Buch biete gleichwohl eine gehaltvolle Lektüre und zeige, wie die Politikwissenschaft von der Zusammenarbeit mit der (Sozial-)Psychologie profitieren könne.

Eine Rezension von Stefan Matern

Zwei Drittel der Republikanischen Wähler*innen in den Vereinigten Staaten von Amerika glauben nach wie vor (Stand Januar 2024), die US-Präsidentschaftswahl 2020 sei Donald Trump gestohlen worden (Weiner et al. 2024). Adam J. Berinsky, Mitsui-Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Political Experiments Research Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT), befasst sich in seinem lesenswerten Buch Political Rumors: Why We Accept Misinformation and How to Fight It mit der Beständigkeit solcher Fehlinformationen. Warum halten sich Falschinformationen hartnäckig, auch wenn sie von Medien und Politikern widerlegt wurden?

Auf 167 Textseiten versucht sich der MIT-Professor einer Antwort anzunähern. Einer Begriffsklärung und einem historischen Abriss über die Geschichte politischer Falschinformation (Kapitel 2) und politischer Gerüchte (political rumors) folgt die Frage nach den Ursachen für den Glauben an diese (Kapitel 3). Nach der Abhandlung möglicher Korrekturen der Falschinformation (Kapitel 4) widmet sich Berinsky den spezifischen Falschinformationen in der Trump-Zeit (Kapitel 5) und fragt abschließend nach der Bedeutung politischer Eliten (Kapitel 6), denen er eine gewichtige Rolle zuschreibt. Dem Autor gelingt auf der Basis vielfältiger Experimente, langjähriger Forschung und zahlreicher Umfragen in Kombination mit einer gewissenhaften Aufarbeitung des Forschungsstandes ein instruktiver Blick auf politische Falschinformation. Seine Einsichten lassen Leser*innen – angesichts des skizzierten Lösungsansatzes und der Bedeutung politischer Eliten – besorgt, aber nicht hoffnungslos zurück.

Die Problematik der „weaponized mistruths“ (4), wie Berinsky politische Gerüchte nennt, bestehe in ihrer Persistenz und der Schwierigkeit, ihnen beizukommen. Sie zirkulierten als falsche Narrative durch das Informationssystem und entfalteten ihre Wirksamkeit durch soziale Übertragung und Wiederholung, die sie vom Punkt ihrer Urheberschaft bis hinein in den Mainstream tragen könnten (28). Mit einer Metapher illustriert Berinsky die unterschiedlich starke Wirkung von politischen Gerüchten: „after creators plant the first seeds of a rumor – in essence, dropping the pebble into the pond – its effects emanate outward into the mass public, with the strength of individuals‘ belief in the rumor diminshing as it moves from a core circle of believers to more uncertain individuals to active disbelievers“ (16).

Während die Grenze zwischen einer kritischen Sichtweise auf Politik und damit einer aktiven Bürgerschaft und dem Umkippen von Kritik in den Glauben an Verschwörungen und politische Falschinformation fließend sei, brauche eine funktionierende Demokratie eine Bürgerschaft, die trotz gesunder Autoritätsskepsis jene Grenze nicht überschreite (9). Für eine solche Bürgerschaft sei das Verständnis für die Ursachen des Glaubens an Falschinformationen entscheidend und Berinsky macht zwei konstituierende Faktoren aus: die Tendenz zu konspirativem Denken und parteipolitische Bindungen (9). Gesetzt, eine Person ist anfällig für konspiratives Denken, dann werde sie als Republikaner eher einem Gerücht Glauben schenken, das sich gegen die Demokraten richtet und umgekehrt. Doch wer glaubt überhaupt an politische Gerüchte? Ausgehend von einer eigenen Studie aus dem Jahr 2010 konstatiert er: „it is not just that some people believe a lot of fanciful things. Rather, a lot of people believe some fanciful things“ (7). Im Gegensatz zur Mainstream-Literatur im Bereich Fake News und Desinformation richtet Berinsky seinen Blick daher vor allem auch auf jene, die in Bezug auf den jeweiligen Glauben noch unsicher seien (15 ff.). Während sogenannte hardcore-believer kaum zu erreichen seien, weil sie die Fehlinformationen tatsächlich glaubten, bestehe bei unsicheren Bürger*innen die Hoffnung, Fehlinformationen korrigieren zu können. Es sind jene Bürger*innen, die zwischen den hardcore-believern und den Ungläubigen - im Sinne der Teich-Metapher, also diejenigen, die zwischen dem die Welle auslösendem Epizentrum und ihren äußersten Ausläufern - stehen.

Auch bei den Unsicheren gilt der Blick, wie der Fokus des gesamten Buches, den parteipolitischen Bindungen als dem zentralen Faktor für den Glauben an politische Gerüchte. In seinem Beobachtungszeitraum macht Berinsky dabei auf eine Asymmetrie zwischen der Menge an Gerüchten innerhalb liberaler und konservativer Kreise in den USA aufmerksam. Letztere schienen eher bereit, Gerüchte über Demokraten zu akzeptieren, als umgekehrt (128). Doch daraus folge nicht, dass Konservative generell anfälliger für politische Gerüchte seien (117 ff.); Berninsky macht im Gegenteil die politischen Eliten für diese Ungleichverteilung verantwortlich: „Republican leaders generally seem to spread rumors at a higher rate than Democratic leaders, and when they speak out against rumors, they tend to issue softer corrections that fall short of rejecting the rumors outright“ (129).

Aufgrund dieser Feststellung richtet er den Fokus seiner Gegenstrategie auf den Messenger des jeweiligen politischen Gerüchts. Auf der Basis langjähriger Forschung kommt er zum Schluss, dass die Quelle, aus der die jeweilige Richtigstellung kommt, für die Wirksamkeit der Korrektur zentral sei. Eine reine Faktenkorrektur durch eine neutrale Quelle habe dabei kaum Wirkung.[1] So habe beispielsweise die Obama-Administration nur wenig Erfolg mit der neutralen Faktenkorrektur des Gerüchts gehabt, Obama sei in Kenia und nicht Hawaii geboren. Gleichermaßen habe sich das Gerücht hartnäckig gehalten, im Zuge der Gesundheitsreform Obamas würden sogenannte „death panels“ eingeführt, die auf der Basis der Produktivität von Individuen und ihrem Beitrag zur Gesellschaft darüber entscheiden würden, ob diese Gesundheitsversorgung erhalten sollten (18). Wie Berinsky zeigt, kann eine „überraschende“ Quelle zur Richtigstellung beitragen (78). Bei einem Gerücht über die Demokraten, das in republikanischen Kreisen zirkuliert, sei demnach die Faktenkorrektur durch einen Republikaner besonders wirksam – und umgekehrt.

Während die Macht und Langlebigkeit von politischen Gerüchten von parteiischen Interessen abhängig sei (Kapitel 4 & 109 ff.), liegt in dieser Feststellung also auch Berinskys Lösungsansatz begraben. Politische Eliten und einflussreiche Politiker spielten eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung, aber auch Bekämpfung politischer Gerüchte. Anstatt also auf die Korrektur von Falschinformation zu setzen oder zu versuchen, die Menschen immun gegen politische Gerüchte zu machen, fokussiert Berinsky auf die Verantwortlichkeit von Politikern (159), wobei er einschränkend klarstellt: „But if elites are part of the problem, then we cannot necessarily rely on such corrections to emerge organically […]“ (130).

Aufgrund des starken Fokus auf Eliten kommt die Auseinandersetzung mit den Empfänger*innen der Nachricht etwas zu kurz. Eine mögliche Erklärung für Berinskys Nicht-Beschäftigung mit dem Ansatz individueller Medienkompetenz, ist die oben skizzierte dünne Linie zwischen kritischer Hinterfragung und dem Abrutschen in ein verschwörungsideologisches Denken, das zwar alles kritisch hinterfragt, dabei aber die notwendige Kompetenz der Selbstreflektion vermissen lässt. Wenn er schreibt: „it is not just that some people believe a lot of fanciful things. Rather, a lot of people believe some fanciful things“ (7), wirft die Diagnose, dass die Tendenz zum verschwörungsideologischen Denken den Glauben an „fanciful things“ wahrscheinlicher macht, hier die grundlegende Frage auf, inwiefern alle Menschen prädisponiert sind, politische Gerüchte zu glauben und was das wiederum über die grundlegende Wirksamkeit und Bedeutung von Medienkompetenz aussagt. Eine tiefergehende Auseinandersetzung wäre hier wünschenswert gewesen.

Nichtsdestotrotz bietet Berinskys Buch eine erkenntnisreiche Leseerfahrung, die wieder einmal zeigt, warum die Politikwissenschaft auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der (Sozial-)Psychologie nicht verzichten sollte. Das wusste schon Edward L. Bernays, der doppelte Neffe Sigmund Freuds (seine Mutter war Freuds Schwester Anna, sein Vater war der Bruder von Freuds Ehefrau Marta): „When you deal with politics, you impinge on social psychology and individual psychology“ (Bernays 1955: 11). Allen Forschenden und Interessierten im Bereich Desinformation und Informationsverarbeitung sei die Lektüre der Erkenntnisse Berinskys daher wärmstens empfohlen.


Anmerkungen

[1] Das zeigt eine berühmte Studie aus dem Jahr 2010 von Brendan Nyhan und Jason Reifler, die die Falschannahme, der Irak habe Massenvernichtungswaffen vor der US-Invasion besessen, in einem Experiment zu korrigieren versuchen (vgl. Nyhan & Reifler 2010). Berinsky repliziert diese Studie, nutzt aber keine neutrale, sondern eine parteipolitisch eingefärbte Quelle, aus der die Faktenkorrektur kommt.

 

Literatur

  • Bernays, Edward L. (1955): What do the social sciences have to offer public relations? An interview with Edward L. Bernays, in: Quarterly Review of Public Relations, Januar 1965, S. 10-11 & 23-25.
  • Nyhan, Brendan & Jason Reifler (2010): When Corrections Fail: The Persistence of Political Misperceptions, in: Political Behavior, Vol. 32, S. 303-330.
  • Weiner, Rachel, Clement, Scott & Emily Guskin (2024): Republican loyalty to Trump, rioters climbs in 3 years after Jan. 6 attack, in: washingtonpost.com, [online], https://www.washingtonpost.com/dc-md-va/2024/01/02/jan-6-poll-post-trump/.


DOI: https://doi.org/10.36206/REZ24.19
CC-BY-NC-SA
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Externe Veröffentlichungen

Lukas Bernhard, Leonie Schulz, Cathleen Berger, Kai Unzicker

Bertelsmann-Stiftung