Der lange Weg bis auf den Stimmzettel
Wenn am 23. Februar die Wähler*innen bundesweit ihre Stimmen abgeben, tun sie dies auf Stimmzetteln, auf denen sie aufgefordert sind, Kandidatinnen und Kandidaten sowie Parteilisten ihrer Wahl anzukreuzen. Es mag trivial erscheinen zu fragen, wie man eigentlich auf den Stimmzettel kommt. Die simple Antwort: Man kandidiert. Aber wie geht das eigentlich und wer bestimmt, wer antreten darf und wer nicht? Diese Fragen beantwortet Daniel Hellmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Parlamentarismusforschung (IParl).
Eine Analyse von Daniel Hellmann
Zunächst einmal müssen Kandidat*innen aufgestellt werden.[1] Das Bundestagswahlsystem sieht dafür zwei Formen vor: Wahlkreiskandidat*innen, die um die Mehrheit der Erststimmen und den direkten Einzug in den Bundestag konkurrieren und Listenkandidat*innen, die für eine Partei in einem Bundesland nach Listenplatzierung gewählt werden. Nur Parteien können Listen aufstellen.[2] Wahlkreiskandidat*innen können auch Einzelbewerber sein, wobei die große Mehrheit der Wahlkreisbewerber auch von Parteien nominiert werden. Parteien müssen bei der Aufstellung von Kandidat*innen die Grundsätze der innerparteilichen Demokratie berücksichtigen und die Bewerber*innen auf Mitglieder- oder Delegiertenversammlungen nominieren. Bei den Mitgliederversammlungen dürfen alle wahlberechtigten Parteimitglieder eines Wahlkreises oder Bundeslandes über die Kandidatennominierung mitentscheiden, bei den Delegiertenversammlungen ist dies lediglich den vorher von den Parteimitgliedern gewählten Delegierten vorbehalten.
Die Nominierung geschieht frühestens ab dem 32. Monat nach der letzten Bundestagswahl. Für die Bundestagswahl 2025 war dies der 27. Juni 2024. Üblicherweise haben die Parteien dafür ein knappes Jahr bis zum 69. Tag vor der nächsten Wahl Zeit. Durch die vorgezogene Neuwahl und die damit verbundene Verkürzung um knapp ein halbes Jahr dürften die Parteien hier in Zeitnot geraten sein die Nominierungsparteitage rechtzeitig abhalten zu können.[3]
Hürden auf dem Weg zum Stimmzettel
Nur, weil Wahlkreiskandidat*innen nominiert sind oder eine Liste aufgestellt wurde, heißt das noch nicht, dass diese auch auf dem Stimmzettel erscheinen. Zunächst müssen einige Hürden gemeistert werden. Besondere Hürden stellt das Bundeswahlgesetz kleinen Parteien – laut BWahlG definiert als Parteien, die seit der letzten Wahl nicht mit mindestens fünf Mandaten dauerhaft im Bundestag oder einem Landesparlament vertreten sind. Diese müssen für jede Wahlkreiskandidatur mindestens 200 Unterstützungsunterschriften sammeln. Für Landeslisten sind es Unterschriften von einem Tausendstel der wahlberechtigten Bevölkerung (in Bremen beispielsweise ca. 460) oder maximal 2.000. Diese Unterstützungsunterschriften sowie die Dokumente über die Kandidatenaufstellung müssen beim Wahlleiter auf Wahlkreis- oder Landesebene eingereicht werden. Dieser prüft zunächst, ob die Unterlagen Mängel aufweisen (beispielsweise zu wenige gültige Unterschriften) und informiert die Parteien gegebenenfalls über diese Fehler, damit sie noch rechtzeitig behoben werden können.
Die letzte Entscheidung darüber, ob ein Wahlvorschlag zugelassen wird, treffen aber nicht die Wahlleiter allein, sondern die Wahlausschüsse auf Wahlkreis und Landesebene. Auf Kreisebene sind der Kreiswahlleiter und sechs von den Parteien nach dem Stärkeverhältnis der letzten Wahl vorgeschlagene Beisitzer Mitglieder dieses Wahlorgans. Auf der Landesebene kommen zu dem Landeswahlleiter und den sechs Beisitzer*innen noch zwei Richter*innen der Oberverwaltungsgerichte. Doch bevor die Kreis- (KWA) und Landeswahlausschüsse (LWA) zusammentreten, muss der Bundeswahlausschuss (BWA) eine gewichtige Entscheidung treffen: Wer darf überhaupt als Partei an der Bundestagswahl teilnehmen? Denn, wie eingangs erwähnt, dürfen nur Parteien Listen aufstellen.
Wann ist eine Partei eine Partei?
Der BWA setzt sich ähnlich zusammen wie die Kreis- und Landeswahlausschüsse: Bundeswahlleiter*in, zwei Richter*innen des Bundesverwaltungsgerichts und acht von den Parteien benannte Beisitzer*innen (aktuell: zwei SPD-, zwei CDU- und je eine*n CSU-, Grüne-, FDP- und AfD-Beisitzer*innen). Zunächst stellt der Ausschuss fest, welche Parteien seit der letzten Wahl ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten in einem Landesparlament oder dem Bundestag vertreten sind und damit automatisch zugelassen und auch keine Unterstützungsunterschriften für ihre Wahlvorschläge beibringen müssen. Für alle anderen Vereinigungen, die an der Wahl teilnehmen wollen, prüft der BWA die Beteiligungsanzeige. Dabei scheitert etwa ein Viertel der Vereinigungen bereits an formellen Anforderungen: Es liegt keine Satzung vor, es fehlen Unterschriften oder Protokolle oder die Anzeige wurde zu spät gestellt.
Von denen, deren Beteiligungsanzeige formell zulässig ist, scheitert üblicherweise ein weiteres Viertel an der Feststellung der Parteieigenschaften, die das Parteiengesetz vorgibt: Teilnahme an Wahlen (sofern bei dem Alter der Partei möglich), hinreichende organisatorische Festigkeit (meist festgestellt über Mitgliederzahlen und Landesverbände) und Hervortreten in der Öffentlichkeit (meist durch Werbung und Kampagnen belegt). Klare, aus dem Gesetz ableitbare Vorgaben gibt es nicht. Die Entscheidungspraxis des BWA ist durch Einzelfallentscheidungen geprägt. Lediglich hinsichtlich der Parteimitgliederzahl lässt sich feststellen, dass die kleinste anerkannte Partei „Die Urbane“ zur Bundestagswahl 2017 über lediglich 40 Mitglieder verfügte.[4]
Im BWA werden Parteivertreter*innen, sofern anwesend, gehört und gegebenenfalls befragt. Die Entscheidung für die Nicht-Anerkennung der Parteieigenschaft benötigt eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Dieses Mehrheitserfordernis stellt in aller Regel kein Problem dar, da die meisten Abstimmungen einstimmig ausgehen. Gegenstimmen gab es lediglich in 17 von 269 Entscheidungen (6,3 Prozent) seit 2013. Wirklich knapp waren nur wenige Entscheidungen (2013: 7-3-1 für Nichtanerkennung der Deutschen Nationalversammlung, 7-3-1 für die Nichtanerkennung der „Die Gerade“-Partei, 5-6-0 für die Nichtanerkennung der „Nein-Idee", 6-0-0[5] für die Anerkennung des Bundes für Gesamtdeutschland, 2017: 3-5-2 für die Nichtanerkennung der „Die Gerade“-Partei).[6] Gegen die Entscheidung des BWA können die Vereinigungen Nichtanerkennungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einreichen. Etwa 40 Prozent der Vereinigungen, die abgelehnt wurden, machen von diesem Recht Gebrauch. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht allerdings nur in drei Fällen (2013: Deutsche Nationalversammlung[7], 2021: Deutsche Kommunistische Partei[8] und Zentrumspartei[9]) die Entscheidung des BWA revidiert.
Einspruch und Prüfung
Die Landeslisten und Kreiswahlvorschläge der Parteien, die als solche anerkannt werden, werden sodann durch die jeweiligen Ausschüsse geprüft. Anders als bei der Einschätzung der Parteieigenschaft werden hier hauptsächlich Formalia eruiert. So wird neben den Unterstützungsunterschriften auch auf die Einhaltung der Maßstäbe für innerparteiliche Demokratie bei der Kandidatenaufstellung geachtet. Beispielsweise prüften in diesem Jahr 14 Landeswahlausschüsse den Vorwurf, die FDP habe durch handschriftliche Stimmzettel gegen das Wahlgeheimnis verstoßen.[10] 2021 konnten die Grünen im Saarland nicht an der Wahl teilnehmen, weil gegen Einladungsfristen verstoßen worden war. Gegen Entscheidungen der KWA kann beim LWA und gegen dessen Entscheidungen zu den Landeslisten beim BWA Einspruch eingelegt werden. Entweder durch nicht eingereichte oder dann abgelehnte Wahlvorschläge kann es vorkommen, dass Parteien, die an der Bundestagswahl teilnehmen dürften, nicht an ihr teilnehmen. So standen immerhin 13,6 Prozent der zugelassenen Parteien zwischen 2013 und 2021 weder mit Listen noch mit Wahlkreiskandidaten auf den Stimmzetteln.
Die Bundestagswahl 2025
Die Bundestagswahl 2025 weicht nur leicht von den Mustern der letzten Jahre ab. Die Vermutung liegt nahe, dass die Abweichung mit der vorgezogenen Wahl zusammenhängt. So wurden mit 55 weniger Beteiligungsanzeigen als bei den letzten Wahlen eingereicht. Auffällig ist auch, dass nur eine einzige Partei gegen die Entscheidung des BWA Einspruch beim BVerfG einlegte, was im Gegensatz zu den zwölf, sieben und zwanzig Einsprüchen bei den Wahlen 2013, 2017 und 2021 vergleichsweise wenig ist. Ob dies an der Fristverkürzung liegt oder ob tatsächlich wenig Einspruchsbedarf bestand, lässt sich nicht abschließend klären.
Von den anerkannten 41 Parteien reichten acht keine Landeslisten ein.[11] Insgesamt lagen den LWA 226 Listen zur Prüfung vor. Davon wurden 61 zurückgewiesen, weil formale Fehler vorlagen. Bei vier Parteien, die jeweils nur mit einer Liste antraten, bedeutete die Zurückweisung, dass sie gar nicht mit einer Landesliste an der Wahl teilnehmen können – und sie so nicht vom größten Vorzug der Wahlteilnahme als Partei profitieren. Zwei dieser Parteien (DAVA[12] und Volksabstimmung) legten beim BWA Beschwerde ein, denen, wie den meisten Beschwerden, nicht stattgegeben wurde. Entsprechend nehmen an der Bundestagswahl 2025 von den 65 Parteien, die ihre Beteiligung angezeigt haben, mit 29 etwas weniger als die Hälfte mit Landeslisten teil.
Kritik am Verfahren
Das Verfahren steht auch in der Kritik. Ein Aspekt ist die Ungleichbehandlung der Parteien.[13] Während die kleinen Parteien zusätzliche Hürden meistern müssen (Unterstützungsunterschriften, Parteianerkennung), müssen größere Parteien dies nicht leisten. Allerdings wäre es bei den größeren Parteien nur eine Formsache, den Parteiencharakter festzustellen. Das Sammeln von Unterstützungsunterschriften als Ausweis der Ernsthaftigkeit und des Rückhalts in der Bevölkerung könnte indes aufwändiger werden, dürfte aber ebenso überflüssig sein wie die Parteianerkennung, da der Rückhalt sich schon aus der Größe der Partei und den zurückliegenden Wahlerfolgen ergibt. Hier gilt es also eine Abwägung zwischen der Feststellung von Offensichtlichem mit dem Wunsch nach Gleichbehandlung zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Ungleichbehandlung in zurückliegenden Entscheidungen stets als zulässig eingestuft.[14]
Ein anderer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass in den Wahlausschüssen mehrheitlich Parteivertreter*innen über ihre Mitbewerber entscheiden.[15] Die Kritik lautet, dass so die Gefahr bestehe, dass unliebsame Parteien von der Macht ferngehalten würden. Die Tatsache, dass die Entscheidungen in der weit überwiegenden Zahl der Fälle einstimmig erfolgen, ist jedoch ein Indikator dafür, dass kein einseitiges parteitaktisches Verhalten vorliegt. Denn wenn es den großen Parteien darum ginge, einstimmig ihre Konkurrenz fernzuhalten, wäre mindestens von den richterlichen Mitgliedern ein abweichendes Stimmverhalten zu erwarten. So mag es durchaus ein ‚Geschmäckle‘ haben, dass Parteivertreter*innen über ihre Konkurrenten abstimmen, ein Machtmissbrauch lässt sich jedoch nicht feststellen.
Insgesamt bedeutet das Verfahren für Parteien einen erheblichen Aufwand, um auf den Stimmzettel zu kommen. Von der Kandidatenaufstellung über die Anerkennung als Partei bis hin zur Zulassung der Wahlvorschläge – ein Weg den nur knapp die Hälfte der Vereinigungen schaffen. Unabhängig davon, wie man zu den oben genannten Kritikpunkten steht, muss man anerkennen, dass der Stimmzettel und wer darauf steht, nicht ohne weiteres zustande kommt, sondern sowohl die Parteien als auch die Wahlausschüsse viel Arbeit in die Erstellung und Prüfung der Wahlvorschläge stecken. Sie tun dies zu einem erheblichen Teil, um den Wähler*innen die Wahl zwischen mehreren Optionen zu ermöglichen. Die Wahlausschüsse und Kandidat*innen sind dabei ehrenamtlich tätig – ein Grund mehr den Stimmzettel am Wahltag ein klein wenig mehr wertzuschätzen.
Anmerkungen:
[1] Dank gilt insbesondere Sebastian Unsicker, der die Daten zu den für die Bundestagswahl 2025 eingereichten Listen recherchiert hat.
[2] Bei anderen Wahlen können auch Vereinigungen, die keine Parteien sind, teilnehmen. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament beispielsweise wird die Parteieigenschaft nicht geprüft. Stattdessen können dort auch sonstige politische Vereinigungen mit Listen antreten.
[3] Siehe dazu das Aufbauprojekt „Die Kandidatenaufstellung und ihre Zeit“ (https://www.iparl.de/de/forschung/projekt-kandidatenaufstellung/kandidatenaufstellung-2025.html).
[4] Siehe dazu auch Hellmann, Daniel (2020): Wann ist eine Partei eine Partei? Untersuchungen der Entscheidungspraxis des Bundeswahlausschusses, in: Recht und Politik (RuP), 56. Jg., H. 2, S. 175-184.
[5] Nein-Stimmen und Enthaltungen wurden ausweislich des Protokolls nicht festgestellt.
[6] Siehe zu den Entscheidungen Risse, Johannes (2015): Die Entscheidungen des Bundeswahlausschusses zur Bundestagswahl 2013 und zur Europawahl 2014, in: MIP, 21. Jg, S. 25 – 30.
[7] 2 BvC 3/13.
[8] 2 BvC 8/21.
[9] 2 BvC 10/21.
[10] Tagesschau.de (2025): Landeswahlleiter prüfen FDP-Listen zur Bundestagswahl, tagesschau.de vom https://www.tagesschau.de/inland/bundestagswahl/fdp-landeslisten-pruefung-100.html (Abruf am 27.1.2025).
[11] Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden hier nur die Landeslisten erfasst.
[12] Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch.
[13] Siehe dazu beispielsweise Meinel, Florian (2012): Chancengleichheit oder Kooptation? Der Zugang kleiner Parteien zur Bundestagswahl, in: ZParl, 41. Jg., H.1, S. 67-76.
[14] Siehe erst kürzlich der Beschluss im Organklageverfahren 2 BvE 15/23.
[15] Siehe dazu beispielsweise Pilniok, Arne (2016): Die Rolle der Parteien bei der staatlichen Organisation der Wahlen. Entscheider in eigener Sache oder unabhängige Wettbewerbshüter?, in: Bukow, Sebastian; Jun, Uwe; Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Parteien in Staat und Gesellschaft, Wiesbaden: Springer, S. 87-110.
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