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Rezension / 15.08.2024

Ella Müller: Die amerikanische Rechte und der Umweltschutz. Geschichte einer Radikalisierung

Hamburg, Hamburger Edition 2023

Die Historikerin Ella Müller erzählt vorliegend davon, wie sich die amerikanische Umweltschutzbewegung im Laufe des 20. Jahrhunderts in den USA gesellschaftlich wie institutionell auf Landes- und Bundesebene etablieren konnte – und wie die politische Rechte den sich dagegen regenden Widerspruch in der Bevölkerung und Elemente des aufkommenden Anti-Environmentalism als Katalysator für Kulturkämpfe und gar zur Radikalisierung der Republikanischen Partei zu nutzen wusste. Für Rainer Lisowski ein „informatives und phasenweise spannend zu lesendes Buch“, wenn man einpreise, dass innerhalb der darin vorgelegten Befunde einige Bewertungen eher übereilt denn abgewogen wirkten.   

Eine Rezension von Rainer Lisowski 

Nicht erst seit der Umweltenzyklika „laudato si“ von Papst Franziskus wurde immer wieder festgestellt, dass die Bewahrung der Schöpfung eigentlich ein für christlich geprägte Konservative wichtiger politischer Gedanke ist[1]. Die USA sind ein deutlich stärker christlich geprägtes Land als die Bundesrepublik. Umso spannender ist die Frage, warum in der aktuellen politischen Diskussion der USA der Umweltschutz nicht nur keine große Bedeutung hat, sondern, im Gegenteil, von den US-Konservativen teilweise gar als Feindbild aufgebaut wird. Eine ähnliche Frage stellt sich Ella Müller in ihrem Buch „Die amerikanische Rechte und der Umweltschutz”.

Müller gliedert ihre Untersuchung chronologisch, was für eine Historikerin vermutlich den idealen Zugriff darstellt. Das Buch schildert im ersten Kapitel die zaghaften Ansätze im frühen 19. Jahrhundert zum Schutz der natürlichen Umwelt. Im Jahr 1872 wurde etwa der erste Nationalpark begründet: Yellowstone. Das zweite Kapitel betrachtet die anschließende Zeitspanne bis zur Verabschiedung des maßgeblichen „National Environmental Policy Act“ (NEPA) von 1969/1970. Im dritten Kapitel verhandelt die Autorin einen sehr spannend beschriebenen, aber etwas abseitigen Aspekt, nämlich den Kampf der engagierten Umweltschützerin und ehemaligen Gouverneurin Dixy Lee Ray (Demokraten) für die Kernenergie. Müller will den Umschwung und die Neusortierung politischer Interessenslagen in den 1970er-Jahren mittels einer personengebundenen Miniatur verdeutlichen. Dieser Umschwung ist auch Kerngegenstand des vierten Kapitels („Von Nixon zu Reagan: Umweltschutz in Zeiten der heraufziehenden Culture Wars“). Das im Gegensatz zu den übrigen Kapiteln etwas zu lang ausfallende fünfte Kapitel betrachtet einen exemplarischen Einzelfall, an dem sich grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklungen verdeutlichen lassen: der Kampf um den Schutz des Fleckenkauzes (Northern Spotted Owl). Die letzten beiden Kapitel sechs und sieben führen das Thema Umweltschutz dann sehr eng und fokussieren es nach und nach auf den Klimaschutz. Das siebte Kapitel versucht dabei im Detail die Radikalisierung der Republikanischen Partei seit der von Newt Gingrich angestoßenen Konservativen Revolution während der Clinton-Administration nachzuzeichnen.

Den nach Mustern suchenden Sozialwissenschaften bietet Ella Müller neben interessanten Details in einem lebendig geschriebenen Buch vor allem zwei Thesen an. These 1: Lange Zeit war das Umweltthema vor der heftigen politischen Polarisierung innerhalb der USA relativ immun. Umweltfragen erhielten von beiden Parteien Zuspruch und Unterstützung. Erst als die Umweltbewegung hegemonial zu werden drohte und Mitte der 1990er-Jahre im Rahmen der Konservativen Revolution von Newt Gingrich eine eigene Dynamik entstand, geriet auch die Umweltbewegung in den Strudel der Polarisierung (17). These 2: Die Auseinandersetzungen um die Bürgerrechte spielen stark in die Umweltdebatte hinein. Die Republikaner sahen eine Chance, segregationistische „Dixiecrats“ auf ihre Seite zu ziehen, indem sie für die Autonomie der Bundesstaaten kämpften, die wegen ihres Verhaltens im Fall der Rassentrennung unter Beschuss geraten waren. Zudem, so Müller, hätten Reagan und Co. das Thema genutzt, um ihre (plutokratische) Wirtschaftspolitik hinter derartigen Kulturkriegen zu verstecken. Kritisch sei schon hier angemerkt, dass diese Argumentation zunächst einmal plausibel klingt, damit ist aber noch nichts über ihre Kausalität ausgesagt.

Im ersten Kapitel zeichnet die Autorin zunächst die lange Entwicklung des Umweltschutzes in den USA bis in die 1960er-Jahre nach. Bereits 1892 wurde mit dem Sierra Club die erste Naturschutzorganisation der Vereinigten Staaten geschaffen. Als einen wesentlichen, embryonalen Kern arbeitet sie heraus, dass Umweltschutz in den USA zu Beginn vor allen Dingen ein Thema des Managements von Umwelt war und insbesondere die Frage adressiert wurde, wie Flächen vor Übernutzung geschützt werden können. Administrativ mündete dies in die Schaffung neuer Verwaltungsstrukturen, neuer Spezialadministrationen, was zeitlich zu der sich wandelnden gesellschaftlichen Sicht auf den Staat im Rahmen der progressive era passte (34 ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Staatsverwaltung der USA einem anderen Modell folgt als die Bundesrepublik Deutschland. Der hiesige Verwaltungsapparat orientiert sich am Gebietskörperschaftsmodell, wobei die ausführenden Behörden die Kommunalverwaltungen sind, die von Bund oder Ländern beauftragt werden, fast alle zu erledigenden Tätigkeiten für sie durchzuführen. Die USA verfolgen dagegen einen anderen Verwaltungsansatz, das sogenannte Aufgabenmodell, bei dem oftmals für neue Aufgaben neue Behörden geschaffen werden. Und wie so oft ist die Wirklichkeit noch etwas komplizierter, als die Modelle es nahelegen. Diese Schaffung neuer Administrationen im fernen Washington ist eine Entwicklung, der sich vor Ort nicht alle mit Begeisterung anschließen mochten: „Diese Episode zeigt bereits, dass die wichtigsten Institutionen des frühen Naturschutzes gegen den Widerstand des amerikanischen Westens durchgesetzt wurden und das dabei entstandene Misstrauen gegenüber der Bundesregierung in Washington [...] tief saß” (38). Im weiteren Zeitverlauf rückten immer neue Themen in den Fokus, die insbesondere mit der Verschmutzung natürlicher Ressourcen (Wasser, Luft) zu tun hatten.

Die Autorin vertritt die Auffassung, dass sich zu diesem relativ frühen Zeitpunkt die Umweltbewegung schon spaltete: in einen älteren Strang, der weiterhin Natur als Ressource betrachtete und diese einfach mit Rücksicht vernünftig managen wollte, und einen neueren Strang, der mit Stichworten wie silent spring und agent orange eine Vergiftung und Zerstörung des Lebens durch die Menschen grundsätzlich kritisch reflektierte. In den frühen 1970er-Jahren entstanden dann mit Gruppen wie Greenpeace auch Organisationen, die diesen „neuen“ Umweltschutz verkörperten.

Zugleich versucht Müller deutlich zu machen, wie sich in den 1960er-Jahren die politischen Lager in den USA jenseits des Umweltgedankens generell neu sortierten, was bekannterweise insbesondere mit dem Engagement um die Great Society (Lyndon B. Johnson) und dem Druck der Bürgerrechtsbewegung zu tun hatte. Hauptfolge für die Demokratische Partei war die Abspaltung der sogenannten Dixiecrats, also der konservativen, für die Rassentrennung plädierenden Demokraten des tiefen Südens. Diese orientierten sich langsam um, und mit konservativeren Kandidaten wie etwa Barry Goldwater versuchten die Republikaner den konservativen Demokraten entsprechende programmatische Angebote zu unterbreiten, um deren Wahlbasis zu spalten. Mit Erfolg, denn "[z]wischen Ende des 19 und dem letzten Drittel des 20 Jahrhunderts waren die USA de facto ein Dreiparteiensystem, in dem allerdings zwei Parteien unter dem Namen Demokraten gegen die Republikaner koalierten” (56). Damals, 1964, hatten sie aber noch keinen Erfolg damit. Gerade in dem Wahlkampf von Barry Goldwater erkennt Müller ein Schlüsselereignis[2], welches der neuen Rechten eine Sammlungsoption innerhalb der republikanischen Partei erstmals vor Augen führte (vgl. 60). Aber erst Reagan konnte dieses Potenzial fünfzehn Jahre später in große Wahlsiege umsetzen.

Interessanterweise sei der erzkonservative Kandidat Barry Goldwater persönlich von der Wichtigkeit des Naturschutzes überzeugt gewesen, sodass dieses Thema auch im hitzigen Wahlkampf 1964 noch nicht in den politischen Streit mit hineingezogen wurde und 1970 sogar unter dem republikanischen Präsidenten Richard Nixon der National Environmental Policy Act (NEPA) verabschiedet werden konnte (64 ff.). Wie war das möglich? Die weiße Wählerschicht als schweigende Mehrheit, so die Hypothese der Autorin, wollte einerseits einen schützenden Staat, der die Dynamik einer kapitalistischen Marktwirtschaft einhegt, genauso wie andererseits eine republikanische Partei, die nicht zu sehr in die Rassenfrage eingriff. Vor diesem Hintergrund habe sich Umweltschutz als „politischer Glücksfall“ (69) für Nixon erwiesen. Umweltschutz wurde als politisches Feld auserkoren, in dem die Republikaner populäre Staatsaktivität zeigen konnten, ohne dies an anderer Stelle (Rassenfrage) tun zu müssen. Die politischen Argumente der parlamentarischen Kritikerinnen und Kritiker untersucht Müller im nächsten Schritt en detail und arbeitet drei Bündel von Argumenten heraus, die damals gegen das Umweltschutzgesetz zu Felde geführt wurden: Zum einen das alte Naturverständnis von einer gefährlichen und wilden Natur, die kontrolliert werden müsse; zum zweiten die Einschätzung, dass es sich bei den neuen Ökologen nicht um den wissenschaftlichen Mainstream, sondern eine Nischenmeinung handle; zum dritten die Sorge, dass technologischer Fortschritt und damit Wohlstand zum Erliegen kommen könnten (81-86). Politisch ergab sich aus Müllers Sicht allerdings in den frühen 1970er-Jahren eine Situation, die noch nicht durch eine klare Frontstellung strukturiert war, sondern die durch uneindeutige Partikularinteressen einerseits und durch grundsätzliche Gesprächsbereitschaft über die politischen Gräben hinweg andererseits geprägt war (88).

Einen gewissen Einschub stellt nun das dritte Kapitel des Buches dar, in dem der Lebenslauf und das politische Wirken der konservativen Demokratin, Biologin und ehemaligen Gouverneurin Dr. Dixy Lee Ray in ihrem Kampf für die Kernkraft skizziert wird (96-137). Nach mehr als zwei Jahrzehnten in der Wissenschaft wechselte sie Anfang der 1960er-Jahre als Direktorin zum Pacific Science Center in Seattle, wo sie einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde. Nixon wurde auf sie aufmerksam und berief sie in die Atomic Energy Commission. Die aufkommende Anti-Atomkraftbewegung veränderte allerdings rasch die Weltsicht der Politikerin, da sie die Bewegung als irrationale Antagonistin auffasste. Und die zum Teil persönliche Kritik, die ihr aus den Reihen der Umweltbewegung entgegenschlug, haben Ray nach Einschätzung von Müller persönlich sehr zugesetzt und für dauerhafte Verletzungen und Entfremdung gesorgt (vgl. 110). Letztlich aus ihren politischen Ämtern gedrängt, publizierte Dixy Lee Ray und entwickelte in ihren Büchern eine wichtige - und bis heute bei Anti-Environmentalists auffindbare - gedankliche Figur. Die der zähen und eben nicht zerbrechlichen Natur. Die neue Ökologiebewegung war für Ray angetrieben durch „Antifortschrittlichkeit, Antitechnologie, Antiwachstum, Antiinstitutionen und vor allem Antikapitalismus“ (133).

Eine ähnliche Brennglasfunktion weist auch das sehr umfangreiche fünfte Kapitel (176-235) auf, in der es nicht um eine Person, sondern um eine Tierart geht, den Fleckenkauz (Northern Spotted Owl). Hier wird zum Teil recht kleinschrittig davon berichtet, wie Schutzgebiete in den nordwestlichen Bundesstaaten der USA eingerichtet wurden, welchen Widerständen sie begegneten und welche politischen Folgen diese Auseinandersetzungen weit über den Nordwesten hinaus hatten. Grob lässt sich die Situation folgendermaßen zusammenfassen: Letztlich ließen sich Schutzmaßnahmen durchsetzen; gesamtwirtschaftlich betrachtet kam es zu Arbeitsplatzverlusten, die an anderer Stelle lediglich teilkompensiert werden konnten.  Kurzum: „Der Ausbau des Umweltschutzes hatte einen Preis und die Durchsetzung von ökologischen Fortschritten führte nicht zwangsläufig zu einer Win-Win-Situation“ (235).

Leider erweckt das Buch den Eindruck, in zunehmendem Maße politisch voreingenommen zu sein, je näher man der Gegenwart kommt. Insbesondere Ronald Reagan wird scharf kritisiert, ohne dass die Probleme, vor denen Reagan stand, insbesondere die hartnäckige Stagflation, angemessen gewürdigt würden. Im siebten Kapitel (Radikalisierung der Republikaner) lautet eine Überschrift gar „Die Sabotage der Wissenschaft im Kongress“. Auch wenn einige Befunde sicher zutreffen (etwa die Einfalt der Republikaner, einen technisch-wissenschaftlichen Dienst des Kongresses abzuschaffen, der diesen mit wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen versorgte, 290), atmet das Kapitel insgesamt doch den aktuell oft zu findenden Geist einer Verwechslung von Wissenschaft und Politik. Alexander Bogner hat in seinem Essay „Die Epistemisierung des Politischen“ gerade eben erst hierauf verwiesen. Gerade in Deutschland und insbesondere seit der Covid-19-Pandemie wird zu schnell davon ausgegangen, dass es die eine richtige und korrekte „wissenschaftliche“ Sichtweise auf komplexe Phänomene gebe. Politischer Widerwille zu bestimmten Maßnahmen wird in einem solchen Kontext dann schnell als „Sabotage der Wissenschaft“ missinterpretiert. An anderer Stelle wird vom Klimawandel als der drohenden Apokalypse gesprochen (256). Ein recht alarmistischer Befund, dem beispielsweise kürzlich erst Markus Rex, einer der renommiertesten Klimaforscher Deutschlands und alles andere als ein Klimaleugner, entgegengetreten ist[3].

Vielleicht sind solche Diagnosen der besonderen Nähe der Autorin zu Bündnis 90 / Die Grünen geschuldet. Diese Nähe könnte auch an anderen Stellen ausschlaggebend sei, wenn etwa Verfahren wie die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid aus der Verstromung von Kohle als „Wundermittel“ herabgesetzt werden, die „von Lösungen ablenkten, die einfacher und schneller realisierbar waren“ (248). Derzeit erleben wir alle, dass leider auch die erneuerbaren Energien alles andere als einfache und schnell realisierbare Lösungen sind. An diesen und anderen Stellen muss man bei dem ansonsten gelungenen Buch einpreisen, dass es sich bei der Autorin nicht nur um eine Historikerin handelt, sondern auch um eine Person, die sich nicht nur politisch positioniert, sondern sich auch parteipolitisch engagiert hat. Kann man damit leben, handelt es sich um ein informatives und phasenweise spannend zu lesendes Buch.


Anmerkungen

[1] Eben diese Frage warf z. B. auch Roger Scruton auf, der mit einem Recht als einer der wichtigsten konservativen politischen Philosophen der vergangenen Jahre gezählt werden darf.
[2] In der deutschen Politikwissenschaft ist dieser Wahlkampf von 1964 vor allen Dingen für ein anderes Thema sehr bekannt, nämlich die Auseinandersetzung zwischen Johnson und Goldwater um den Einsatz von Nuklearwaffen. Denjenigen, die politische Kommunikation besonders aufmerksam verfolgen, wird der von der Johnson-Kampagne mit vernichtendem Erfolg genutzte, sogenannte „Daisy Ad“ wohlbekannt sein.
Vgl. hierzu https://en.wikipedia.org/wiki/Daisy_(advertisement). Goldwater gewann übrigens nur in sechs Bundesstaaten – allerdings allesamt Bundesstaaten des „Deep South“.


DOI: https://doi.org/10.36206/REZ24.17
CC-BY-NC-SA
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