Fedor Ruhose: Rechtspopulismus in der Opposition. Die AfD-Fraktion im Bundestag (2017-2021)
Fedor Ruhose analysiert in seiner Dissertation das parlamentarische Verhalten der rechtspopulistischen AfD im Bundestag in der Wahlperiode von 2017 bis 2021. Sie fokussiere sich auf ihre Kernthemen und nutze Provokationen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Trotz zunehmender Versuche, inhaltliche Alternativen im Stile einer klassischen Oppositionspartei zu formulieren, sei die AfD im Untersuchungszeitraum daher als „destruktive Opposition“ zu klassifizieren. Abschließend diskutiert Ruhose die Reaktionen der anderen Fraktionen auf die AfD und die Zukunftsperspektiven der Partei.
Wie verhält sich eine rechtspopulistische Oppositionspartei in einem Parlament? Schon seit dem ersten Einzug rechtspopulistischer Parteien (RP) in Volksvertretungen in Europa zu Beginn der 1980er-Jahre haben sich Forscher*innen mit dieser Frage beschäftigt. Sie lag insofern nahe, als zu vermuten war, dass Parteien dieser politischen Ausrichtung nicht nur, aber auch aufgrund ihrer Ideologie möglicherweise anders als ihre Konkurrenten auftreten würden. Für Deutschland war diese Frage bis 2017 allenfalls mit Blick auf die gelegentlich in den Landesparlamenten auftretenden und dann auch zumeist wieder nach ein oder zwei Legislaturperioden ausscheidenden rechtspopulistischen Parteien interessant, nicht jedoch im Hinblick auf die Bundesebene. Dies hat sich 2017 mit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag geändert – ein guter Grund für den „parlamentarischen Praktiker“ Fedor Ruhose, sich mit dem parlamentarischen Verhalten der AfD-Fraktion ausführlich zu beschäftigen.
Der Autor konzentriert sich dabei auf die bereits abgeschlossene 19. Wahlperiode (2017-2021) und beginnt zunächst mit einem „Problemaufriss“. Ziel seiner Untersuchung ist es, „auf der Basis einer ‚dichten Beschreibung‘ […] theoretische Ableitungen für eine rechtspopulistische (und systemkritische) Opposition vornehmen zu können“ (15). Damit macht Ruhose deutlich, dass seine Forschungsergebnisse eben nicht nur hinsichtlich der deutschen AfD einen Erkenntnisgewinn mit sich bringen, sondern für Analysen hinsichtlich des generellen Verhaltens von RP in Parlamenten nutzbar sein sollen. Basis seiner Untersuchung ist eine Auswertung der Arbeitsweise und der parlamentarischen Initiativen der AfD. Hinzu kommen leitfadengestützte Interviews, vornehmlich mit Parlamentarier*innen aber auch mit Wissenschaftler*innen.
Das zweite Kapitel des Werkes enthält den klassischen Bericht zum Forschungsstand. Auf 30 Seiten umreißt der Autor sowohl (sehr knapp) den Begriff des Rechtspopulismus als auch (ausführlicher) die Rolle der Opposition innerhalb der parlamentarischen Demokratie. Er macht deutlich, dass es ein typisches Charakteristikum rechtspopulistischer Parteien darstellt, sich (negative) Emotionen bei ihren Wähler*innen zunutze zu machen und diese auch gezielt zu erzeugen. Er geht davon aus, dass dieses Agieren auch für die AfD im Bundestag zu erwarten sein wird (60 ff.).
An diesen Überblick schließt sich zunächst eine deskriptive Darstellung des Verhaltens der AfD im Bundestag an (Kapitel 3). Wie von Ruhose erwartet, lag der Fokus der Arbeit der Fraktion auf den Parlamentsdebatten und folgte dort „bestimmten Provokationsmustern“ (98). Trotz eines hohen Grades an Zersplitterung unter den Einzelpersonen sei es der Fraktionsführung um Alexander Gauland gelungen, ein zumindest prekäres strategisches Zentrum aufzubauen.
Im folgenden Kapitel analysiert Ruhose die Arbeit der AfD in quantitativer und qualitativer Hinsicht sehr detailliert. Wenig überraschend gelingt es der AfD durch Fokussierung auf ihre „Kernthemen“ Migration und Kritik an der Europapolitik der Bundesregierung (wie auch der anderen Parteien) nicht nur ihre politischen Konkurrenten zu zum Teil heftigen Reaktionen zu provozieren, sondern auch – und in dessen Folge – mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Zugleich zeige sich aber, dass die AfD keineswegs ausschließlich auf „Krawall“ setze, sondern durch eine zunehmende Professionalisierung darum bemüht sei, im Sinne einer klassischen Opposition inhaltliche Alternativen zur Regierung und den politischen Mitkonkurrenten zu formulieren (168 ff.).
Einem der zentralen politischen Themen der 19. Wahlperiode, der Covid-19-Krise, widmet Ruhose ein eigenes Unterkapitel, da gerade diese für die AfD von besonderer Relevanz war. Hier kann er zeigen, wie sich die AfD im Laufe der Pandemie von einer von der Regierung zunächst sogar ein entschiedeneres Vorgehen zum Schutz der Bevölkerung einfordernden Fraktion dahingehend wandelte, dass sie später ganz dezidiert die Gefährlichkeit von Covid-19 in Frage stellte. Mehr noch, sie verband ihre grundsätzliche Kritik an der Regierung und den anderen Parteien mit dem Corona-Thema, um vor einer „Diktatur“ zu warnen (216 ff.).
In einem zweiten, knappen Unterkapitel geht es um die Einstufung der AfD als „rechtsextremistischer Prüffall“ beziehungsweise als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz. Hier identifiziert der Autor bei der AfD die Strategie, diese Überprüfung zum einen als Versuch des „Establishments“ zu disqualifizieren, sich eines politischen Gegners zu entledigen. Zugleich versuche sich die AfD-Fraktion im Gegenteil sogar als „wahre Verteidigerin des Grundgesetzes zu positionieren“ (228).
Leider fällt das Kapitel 6, in dem man aufgrund der allgemein gehaltenen Überschrift die vom Autor gezogenen Charakteristika für das Verhalten rechtspopulistischer Oppositionsfraktionen im Allgemeinen erwarten würde, etwas enttäuschend aus. Im Grunde werden nur wenige Bezüge zum in Kapitel 3 referierten Forschungsstand hergestellt und stattdessen die bereits in den anderen Abschnitten ausgeführten Erkenntnisse zum Verhalten der AfD noch einmal dargestellt. Die AfD wird dem Typus der „destruktiven Opposition“ zugerechnet, die sich vor allem durch Emotionalisierung auszeichne (287).
Die Monografie schließt mit zwei Kapiteln, die sich zum einen mit dem Umgang der anderen Fraktionen mit der AfD und zum anderen in knapper Form mit der Frage der Zukunft der Partei befassen (Kapitel 7 und 8). In Kapitel 7 werden die verschiedenen Strategien der anderen Fraktionen beschrieben, die von Ignorieren über Ausgrenzen bis zu juristischen Auseinandersetzungen reichen. Hinsichtlich der Frage des Umgangs mit einer möglichen AfD-Bundestags-Vizepräsidentschaft schlägt Ruhose beispielsweise vor, die Zahl der möglichen Wahlgänge zu beschränken, um der Fraktion nicht immer wieder aufs Neue die Möglichkeit zu geben, sich in ihrer „Opferrolle“ medial zu präsentieren (327). In seinem Fazit kommt Ruhose zu dem Schluss, dass es nur einen Weg gebe, der AfD langfristig erfolgreich entgegenzutreten – wenn die anderen Parteien die Sorgen der Menschen inhaltlich aufgreifen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Repräsentation und Parlamentarismus
Externe Veröffentlichungen
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Zeitschrift für Politikwissenschaft
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