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Rezension / 18.12.2024

Michael Braun: Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus

Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2024

Der langjährige Italien-Korrespondent Michael Braun analysiert den Aufstieg der italienischen Rechten von Berlusconi über Salvini bis zu Meloni. Dabei zeigt er, wie Korruption, Parteikrisen und gesellschaftliche Spaltungen den Aufstieg dieser Kräfte begünstigten. Besonders Melonis Doppelstrategie – moderates Auftreten nach außen und autoritäre Reformen im Inland – wird kritisch beleuchtet. Das Buch überzeugt durch eine klare Struktur, prägnante Argumentation und die Fähigkeit des Autors, komplexe politische Prozesse verständlich darzustellen, lobt unser Rezensent Nils Sartorius.

Eine Rezension von Nils Sartorius

Michael Braun liefert mit „Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus" eine tiefgehende und fundierte Analyse des Aufstiegs der italienischen Rechten, die von den 1990er-Jahren bis zur Gegenwart reicht. Der Autor, promovierter Politikwissenschaftler und ein ausgewiesener Kenner der italienischen Politik, beleuchtet die zentralen Figuren, Strategien und Mechanismen, die diese Entwicklung geprägt haben. Das Buch überzeugt durch eine klare Struktur, prägnante Argumentation und die Fähigkeit des Autors, komplexe politische Prozesse verständlich darzustellen. Gleichzeitig regt es zum Nachdenken über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Italien und deren Auswirkungen auf die Demokratie an.

Im ersten Teil seines Buches analysiert Michael Braun den Aufstieg Silvio Berlusconis in den 1990er-Jahren und dessen tiefgreifenden Einfluss auf die italienische Politik. Der Zusammenbruch der etablierten Parteien, geprägt von Korruption und Ineffizienz, habe das politische Vakuum geschaffen, das Berlusconi für seinen Aufstieg nutzte. Braun zeichnet eindrücklich nach, wie Berlusconi sein Medienimperium als Plattform für die Inszenierung seiner politischen Macht einsetzte und Forza Italia als Vehikel seiner persönlichen Agenda gründete.

Besonders prägnant ist Brauns Darstellung von Berlusconis populistischem Politikstil, seiner Personalisierung der Macht und der Nutzung der Medien zur gezielten Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Seine Kontrolle über die Berichterstattung und sein konfliktreiches Verhältnis zur Justiz, geprägt von Korruptionsvorwürfen und Gesetzen zu seinem Vorteil, werden von Braun als zentrale Elemente für die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit beschrieben.

Der erste Teil endet mit einer Analyse von Berlusconis Niedergang, ausgelöst durch wirtschaftliche Probleme, die Eurokrise und persönliche Skandale wie die „Bunga-Bunga“-Affären, die 2011 zu seinem Rücktritt führten. Braun zeigt, wie dieser Rücktritt das Ende einer Ära markierte und den Weg für neue politische Kräfte bereitete. Mit dieser Einführung legt Braun den Grundstein für eine prägnante Analyse der italienischen Rechten und ihrer langfristigen Auswirkungen.

Der Zusammenbruch des alten Parteiensystems

Im zweiten Teil analysiert Michael Braun die italienische Politik nach dem Umbruch von 2013 und beleuchtet die Dynamiken, die den Aufstieg populistischer Bewegungen wie der Fünf-Sterne-Bewegung und den Weg für Giorgia Melonis Erfolg bereiteten.

Braun beschreibt, wie der Zusammenbruch des bipolaren Systems aus Berlusconis Rechtsblock und dem Mitte-Links-Lager den Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung ermöglichte. Unter Beppe Grillo habe sich diese als „Anti-Partei“ mit Forderungen nach Korruptionsbekämpfung, Grundsicherung und direkter Demokratie positioniert und so die traditionellen Rechts-Links-Gegensätze aufgebrochen. Auch die Linke habe auf die Krise reagiert, doch Matteo Renzis Reformkurs habe den sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) nachhaltig geschwächt, besonders nach dem Scheitern seines Verfassungsreferendums 2016.

Die italienische Rechte erlebte eine Neuausrichtung: Während Berlusconis Einfluss durch Skandale schwand, transformierte Matteo Salvini die Lega Nord zu einer nationalistischen Partei, die Migration und Sicherheit ins Zentrum stellte. Giorgia Meloni etablierte ihre Fratelli d’Italia als scheinbar konservative Alternative und profitierte von Salvinis Regierungsbeteiligung, indem sie sich als kompromisslose Oppositionsführerin positionierte.

Die Parlamentswahlen 2018 markierten laut Braun den Beginn einer neuen Ära, geprägt von Fragmentierung und Populismus. Die Wahlsiege der Fünf Sterne und der Lega hätten den Bedeutungsverlust traditioneller Parteien unterstrichen und radikale Kräfte gestärkt. Braun schließt den zweiten Teil mit einer prägnanten Analyse dieses Wendepunkts ab, der den Grundstein für Melonis späteren Aufstieg legte.

Triumph der neuen populistischen Bewegungen

Im dritten Teil analysiert Braun die politischen Entwicklungen in Italien nach 2018, die den Weg für Melonis Wahlsieg bereiteten. Er zeigt, wie die populistische Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega unter Salvini die politische Landschaft polarisiert und nationalistische Rhetorik gestärkt hat. Salvinis aggressive Migrationspolitik und seine Inszenierung als Verteidiger der nationalen Souveränität hätten maßgeblich zur Verschiebung nach rechts beigetragen, während Meloni ihre Oppositionsrolle genutzt habe, um die Fratelli d’Italia als radikale Alternative zu positionieren.

Besonders während der Corona-Pandemie habe sich Meloni durch ihre Kritik an der Regierung profiliert und gezielt Wählerinnen und Wähler angesprochen, die sich von der politischen Elite entfremdet fühlten. Braun zeigt, wie ihre Mischung aus Nationalismus, Anti-Establishment-Positionen und der Betonung traditioneller Werte die Grundlage für ihren Erfolg legte. Der Wahlsieg 2022 sei auf eine zersplitterte Opposition, wirtschaftliche Unsicherheit und Ängsten vor Migration zurückzuführen gewesen, die Meloni strategisch für sich genutzt habe.

Braun beleuchtet Melonis Doppelstrategie, mit der sie sich international als gemäßigte Politikerin präsentierte, während sie im Inland eine autoritäre Agenda vorantrieb. Er beschreibt eindringlich, wie Meloni die Schwäche ihrer Gegner und die gesellschaftlichen Spaltungen zu ihrem Vorteil einsetzte und welche Gefahren diese Dynamiken für die Zukunft der italienischen Demokratie bergen.

Meloni kommt an die Macht

Im vierten Teil des Buchs analysiert Michael Braun die Politik Melonis nach ihrem Amtsantritt als Ministerpräsidentin im Oktober 2022. Er zeichnet ein umfassendes Bild ihrer politischen Agenda und zeigt, wie sie den italienischen Staat in eine autoritäre Richtung umbaute.

Braun beschreibt, wie Meloni in der Außenpolitik von ihrer früheren EU-kritischen Rhetorik abgerückt sei und einen pragmatischen Kurs einschlagen habe, gleichzeitig aber in der Migrationspolitik eine harte Linie verfolge. Maßnahmen wie die Erschwerung der Arbeit von Seenotrettungs-NGOs und Kooperationen mit autoritären Regimen zeigten die Diskrepanz zwischen Melonis Zielen und den moralischen Implikationen ihrer Politik.

Innenpolitisch analysiert Braun die tiefgreifenden Veränderungen unter Meloni, darunter die Streichung der Grundsicherung und ihre wirtschaftsliberale Politik, die bestimmte Berufsgruppen bevorzugt. Er beleuchtet den autoritären Charakter von Melonis Regierungsstil, insbesondere ihre Stärkung der Exekutive und die geplante Direktwahl des Ministerpräsidenten, die die Machtverhältnisse weiter zu ihren Gunsten verschieben würde. Auch ihre Kontrolle über die Medien und die Einschränkung der Meinungsfreiheit werden kritisch betrachtet.

Braun thematisiert zudem Melonis ambivalentes Verhältnis zum historischen Faschismus. Trotz offizieller Distanzierung bleibe die Verbindung ihrer Partei zur Tradition des Movimento Sociale Italiano - eine neofaschistische Bewegung, die von ehemaligen Mitgliedern des Mussolini-Regimes gegründet wurde - deutlich und symbolische Embleme wie die Flamme der Fratelli d’Italia würden weiter genutzt. Führende Parteimitglieder würden sich offen zu ihrer neofaschistischen Vergangenheit bekennen, ohne dass Meloni dies überzeugend infrage stelle.

Eine differenzierte Analyse des Aufstiegs der modernen Rechten

Zum Abschluss zieht Braun ein kritisches Fazit über die Auswirkungen von Melonis Politik auf die italienische Demokratie. Er warnt vor den Gefahren ihrer autoritären Tendenzen, der Aushöhlung demokratischer Institutionen und der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft. Gleichzeitig würdigt er den Widerstand der Oppositionsparteien, auch wenn dieser bisher begrenzt ausgefallen sei. Braun liefert damit eine differenzierte Analyse der politischen Situation in Italien und formuliert einen eindringlichen Appell zur Verteidigung demokratischer Werte.

Insgesamt gelingt ihm eine beeindruckend differenzierte Analyse des Aufstiegs der modernen italienischen Rechten und der politischen Dynamiken, die diesen ermöglicht haben. Das Buch bietet eine präzise historische Einordnung, eine scharfsinnige Untersuchung zentraler Figuren wie Berlusconi, Salvini und Meloni sowie eine kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen italienischen Politik. Braun zeichnet dabei nicht nur die Mechanismen populistischer Politik nach, sondern beleuchtet auch die tiefgreifenden gesellschaftlichen und institutionellen Veränderungen, die diese Entwicklungen begünstigt haben.

Besonders hervorzuheben ist Brauns Fähigkeit, komplexe politische und historische Zusammenhänge klar und zugänglich darzustellen, ohne dabei an analytischer Tiefe zu verlieren. Seine kritische Betrachtung von Melonis Doppelstrategie – einerseits die Wahrung eines gemäßigten, europäisch orientierten Images und andererseits der autoritäre Umbau des Staates – zeigt eindrücklich die Risiken, die mit dieser politischen Entwicklung einhergehen. Ebenso wirft das Buch ein Schlaglicht auf die Verbindung der italienischen Rechten zum historischen Faschismus und die Art und Weise, wie diese Tradition für die politische Mobilisierung genutzt wird.

Brauns Werk ist weit mehr als eine reine Darstellung der politischen Entwicklungen in Italien, sondern bietet eine tiefgehende Reflexion über die Gefahren populistischer und autoritärer Tendenzen für die Demokratie. Indem er die strukturellen Schwächen der italienischen Politik und Gesellschaft analysiert, macht Braun deutlich, wie anfällig demokratische Systeme für die Strategien moderner rechter Bewegungen sein können. Seine Analysen sind dabei nicht nur auf Italien beschränkt, sondern bieten auch wichtige Lektionen für die internationale Beobachtung vergleichbarer Entwicklungen.

Das Buch ist sowohl für Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler als auch für ein breiteres Publikum eine empfehlenswerte Lektüre. Es leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der italienischen Politik, sondern regt auch zur kritischen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen an, vor denen liberale Demokratien überall auf der Welt stehen. Braun gelingt es, den Leser*innen mit einer Mischung aus analytischer Präzision und erzählerischer Klarheit in die politischen Prozesse einzuführen und zugleich zum Nachdenken über die Zukunft der Demokratie anzuregen. „Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus“ ist ein eindringlicher Appell, die Gefahren autoritärer Politik ernst zu nehmen und den Schutz demokratischer Institutionen aktiv zu verteidigen.



DOI: 10.36206/REZ24.45
CC-BY-NC-SA
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