Skip to main content
Analyse / 13.11.2024

„Ethnische Entpolarisierung“ als entscheidender Faktor für Trumps Wahlsieg?

Latinos für Trump, Foto: Voice of America, via Wikimedia Commons

Trotz seiner migrationsfeindlichen Rhetorik hat Donald Trump überraschend große Teile der Latinos für sich gewonnen. Philipp Adorf, Experte für Wahlstrategien der Republikanischen Partei und den demographischen Wandel in den USA, sieht darin den vorläufigen Höhepunkt einer Angleichung des Wahlverhaltens von ethnischen Gruppen und erklärt, wie es historisch dazu kam. Dazu nimmt er die parteipolitischen Konsequenzen der massiven demographischen Verschiebungen der letzten Jahrzehnte in den USA in den Blick und diskutiert ihre Auswirkungen.

Eine Analyse von Philipp Adorf

„Demographics is destiny“ – die demographischen Entwicklungen und die veränderte Zusammensetzung der US-Wählerschaft werden Amerikas politische Mehrheiten und die Zukunft des Landes nachhaltig prägen, wenn nicht gar bestimmen, und den Demokraten zu sicheren Wahlsiegen verhelfen. Diese Auffassung fand vor allem in der Obama-Ära breite Resonanz. Trotz deutlicher Rückstände von 12 und 20 Prozentpunkten unter weißen Wähler*innen in den Jahren 2008 und 2012 gelang es Barack Obama, die Präsidentschaftswahlen relativ komfortabel zu gewinnen – ein Erfolg, der maßgeblich auf dem wachsenden Anteil nicht-weißer Wähler*innen, insbesondere von Latinos, beruhte.

Spätestens seit Trumps Wiederwahl wirkt die These von sicheren demokratischen Mehrheiten durch den demographischen Wandel zunehmend überholt. Latinos, einst als feste Säule dieser prognostizierten Dominanz betrachtet, leisteten einen entscheidenden Beitrag zu seinem Wahlsieg 2024, nachdem er bereits vier Jahre zuvor in dieser Wählergruppe Zugewinne verzeichnet hatte. Bedeutet dies das Ende einer vermeintlichen Ära demokratischer Vorherrschaft, getragen von einer „Regenbogen-Koalition“ aus jungen Menschen, ethnischen Minderheiten und Frauen? Oder handelt es sich lediglich um eine vorübergehende Pause der für die Demokraten eigentlich vorteilhaften langfristigen Verschiebung der politischen Machtverhältnisse? Um diese Fragen zu beantworten, sollen zunächst die massiven demographischen Verschiebungen und ihr Einfluss auf die politischen Mehrheitsverhältnisse der letzten Jahrzehnte in den USA in den Blick genommen werden. Anschließend wird die Neuartigkeit der Wiederwahl Trumps 2024 als bisheriger Höhepunkt einer „ethnischen Entpolarisierung“ analysiert und mögliche Gründe dafür erörtert.

Vergangene Wahlen: Demokratische Schwarze und Latinos, republikanische Weiße

Die ethnische Zugehörigkeit ist eine der zentralen Trennlinien der amerikanischen Politik (Hajnal/Abrajano 2016: 301). Dabei lautete die konventionelle Annahme, dass die demographischen Veränderungen und der Rückgang des Anteils der weißen Bevölkerungsmehrheit Perspektiven auf zukünftige elektorale Mehrheiten für die Demokraten eröffnen würden. Bereits 2002 argumentierte das journalistische Autorenduo Judis und Teixeira, dass diese Entwicklungen das Potenzial besäßen, eine jahrzehntelange Ära der demokratischen Kontrolle des Washingtoner Regierungsapparats einzuläuten (Judis/Teixeira 2002). Republikanische Wähler*innen blicken hingegen zumeist besorgt in eine Zukunft, in der sie, aus ihrer Perspektive, unweigerlich zur Minderheit und damit verbunden zur Zielscheibe von Diskriminierung würden (Feagan 2023, Gest 2016).

Um diese Prognose nachzuvollziehen, ist ein Blick auf die demographischen Veränderungen der Vereinigten Staaten nötig. Diese haben sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt und, wie folgend aufgezeigt wird, auch die Wahlergebnisse nachhaltig beeinflusst. Zwischen den Volkszählungen von 2000 und 2010 waren nicht-weiße ethnische Minderheiten für fast 92 Prozent des Bevölkerungswachstums verantwortlich (Humes/Jones/Ramirez 2011). Allein Hispanics stellten mit 15,2 Millionen Menschen 56 Prozent des gesamten Bevölkerungszuwachses in diesem Zeitraum, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung im Jahr 2000 nur 12,5 Prozent betrug (Ennis/Ríos-Vargas/Albert 2011). Auch wenn sich das Wachstum dieser Gruppe im folgenden Jahrzehnt leicht verlangsamte, stieg die Zahl der Hispanics zwischen 2010 und 2020 um weitere 11,6 Millionen – was immer noch 51 Prozent des gesamten Bevölkerungszuwachses ausmachte (Frey 2021).

Noch deutlicher wird diese Entwicklung mit Blick auf die Zusammensetzung der amerikanischen Gesamtbevölkerung. Nach Daten des amerikanischen Zensusbehörde stellten Weiße im Jahr 2022 weniger als 59 Prozent der Bevölkerung des Landes. Dieser Anteil wird entsprechend den Vorhersagen kontinuierlich auf weniger als 50 Prozent im Jahr 2060 fallen. Gleichzeitig werden insbesondere Latinos in zukünftigen Jahrzehnten das Zünglein an der elektoralen Waage sein: Ihr Anteil an der Bevölkerung wird entsprechend der Vorhersagen von 19 Prozent im Jahr 2022 auf ungefähr 27 Prozent im Jahr 2060 ansteigen (siehe Abbildung 1). Diese Zunahme und die bisherigen parteipolitischen Präferenzen der Latinos haben die Republikaner in den letzten zwei Jahrzehnten bis zur Wahl 2024 vor erhebliche Herausforderungen bei der Suche nach elektoralen Mehrheiten gestellt.

Die Ergebnisse von fünf ausgewählten Präsidentschaftswahlen, die weniger als vier Jahrzehnte auseinander liegen, belegen den enormen Einfluss der demographischen Transformation auf die Mehrheitsverhält­nisse des Landes (Tabelle 1). Bemerkenswert ist das Ausmaß der Stabilität der elektoralen Präferenzen der drei wichtigsten Ethnien des Landes, die sich erst mit der Wahl 2024 deutlich verschoben: 1988 sowie zwischen 2012 und 2020 stimmten ungefähr 60 Prozent aller weißen, 10 Prozent aller schwarzen sowie 30 Prozent aller Latino-Wähler*innen für einen republikanischen Kandidaten (siehe Tabelle). Doch warum reichten diese Werte in den späten 1980er Jahren für einen komfortablen republikanischen Sieg von acht Prozentpunkten aus, während sie in den jüngsten Präsidentschaftswahlen nach reinen Stimmenanteilen zu demokratischen Vorsprüngen von teilweise über vier Prozentpunkten führten? Die Antwort lässt sich in der Zusammensetzung der Wählerschaft finden. Stellten beim Wahlsieg George H.W. Bushs im Jahr 1988 weiße Wähler*innen noch 85 Prozent der gesamten Wählerschaft, so war dieser Wert bereits 2012 auf 72 Prozent und acht Jahre darauf auf 67 Prozent gesunken. 2024 lag besagter Anteil wieder bei 71 Prozent, womöglich eine Folge des Mobilisierungspotenzials Donald Trumps innerhalb der weißen Wählerschaft.[1]

 

Bis zur Wahl 2024 konnte man die Schlussfolgerung treffen, dass sich das ethnische Kräfteverhältnis in Richtung Demokraten bewegt hatte, wie auch Abbildung 2 der parteipolitischen Präferenzen der heute wichtigsten Wählerblöcke des Landes zeigt. Sie veranschaulicht die „Parteineigung“ der Latino- und weißen Wählerschaft im Vergleich zur Gesamtwählerschaft. Vereinfacht gesagt wird gezeigt, wie viel demokratischer oder republikanischer Latinos und Weiße im Vergleich zur allgemeinen Wählerschaft im letzten halben Jahrhundert abgestimmt haben. Dabei wird ersichtlich, dass in den letzten fünf Jahrzehnten einerseits Latinos durchweg „demokratischer“ als die allgemeine Wählerschaft votierten, während weiße Wähler*innen sich immer konservativer als das Gesamtelektorat positionierten. Doch lässt sich in den jüngsten Wahlen auch eine gewisse Entkoppelung zwischen Demokraten und Latinos erkennen.

 

Obamas 44-Punkte-Vorsprung unter Latino-Wähler*innen im Jahr 2012, kombiniert mit seinem nationalen Wahlsieg von vier Punkten, bedeutete, dass die Latino-Wählerschaft in diesem Jahr 40 Punkte stärker zugunsten der Demokraten tendierte als die Gesamtwählerschaft. Entsprechend der Exit Poll-Daten lag diese Neigung 2024 bei nur noch acht Punkten. Dieser monumentale Wandel lässt sich nicht zuletzt dadurch aufzeigen, dass besagte Neigung in den letzten vier Jahrzehnten zumeist einen Wert von über 25 Prozentpunkten besaß (mit einem deutlichen Ausreißer bei Bush 2004). Doch insbesondere die jüngsten Wahlergebnisse belegen einen fortwährenden Rückgang der demokratischen Präferenzen auf Seiten der Latinos: Hillary Clinton konnte Latino-Wähler*innen mit 38 Punkten Vorsprung gewinnen, während der demokratische Vorsprung vier Jahre später nur noch 33 Punkte betrug. 2024 schmolz dieser Wert dann auf nur noch sechs Punkte (CNN 2024).[2] Diese Entwicklung zeigt eine Angleichung des Wahlverhaltens von Latinos und weißen Wähler*innen, die sich als „ethnische Entpolarisierung“ beschreiben lässt. Die langfristige Stabilität der Neuausrichtung der Latino-Wählerschaft bleibt abzuwarten. Abbildung 2 verdeutlicht bemerkenswerte Schwankungen seit den späten 1990er Jahren. Sie belegen, dass beide Parteien durch programmatische Anpassungen oder ein für sie günstiges politisches Umfeld in der Lage sind, beachtliche Erfolge bei dieser Wählergruppe zu erzielen. Trotzdem verdeutlichen zahlreiche Daten über die jüngsten Wahlen hinaus eine wachsende Desillusionierung mit den Demokraten seitens der Latino-Wählerschaft.

Trumps Wiederwahl: „Entpolarisierung“ zwischen den wichtigen ethnischen Gruppen

Schien sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts die These einer „Democratic Emerging Majority“ (Judis/Teixeira 2002) noch bewahrheitet zu haben, so zeichnen die jüngsten Entwicklungen das Bild der beschriebenen Entpolarisierung zwischen den wichtigen ethnischen Gruppen, d.h. des Rückgangs der klaren parteipolitischen Präferenzen. Daten zur Parteizugehörigkeit der letzten Jahre illustrieren einen teils erheblichen Rückgang der Unterstützung für die Demokraten unter Minderheiten. Bei Obamas Wahlsieg 2008 genossen die Demokraten bei der Parteiidentifikation noch einen Vorsprung von 78 Prozentpunkten unter schwarzen Wähler*innen. Zwischen 2021 und 2023 sank dieser jedoch kontinuierlich von 62 auf 56 und schließlich auf 47 Punkte. Den größten Vorsprung unter Latinos erreichten die Demokraten 2016 mit 36 Punkten. Bis 2021 blieb dieser bei 31 Punkten, fiel jedoch in den folgenden Jahren zunächst auf 17 und schließlich auf nur noch 12 Punkte im Jahr 2023 (Jones/Saad 2024).

In diesem Jahr schien Joe Biden auch unter ethnischen Minderheiten einem desaströsen Ergebnis entgegenzusteuern. Im April 2024 bekundeten lediglich 77 Prozent der schwarzen Wähler*innen ihre Absicht, für Biden zu stimmen; bei den unter 50-jährigen Afroamerikaner*innen lag dieser Anteil sogar nur bei 68 Prozent (Cox 2024). Kamala Harris vermochte diese Entwicklung nur in den ersten Wochen ihrer Kampagne umzukehren (Cohn 2024a). Am Wahltag selbst konnte sie jedoch nur unter schwarzen Wähler*innen ein ähnlich gutes Ergebnis wie ihre demokratischen Vorgänger*innen erreichen.

Besonders bedeutsam und deutlich war dieser Wandel in den parteipolitischen Präferenzen von Minderheiten unter den Latinos. In diesem Teil der Wählerschaft feierte Trump 2024 seine höchsten Zugewinne, insbesondere bei den Untergruppen, die dem Profil seiner weißen Wählerschaft ähneln – also Personen ohne Hochschulabschluss, die zur sogenannten „Working Class“ in den USA zählen. Bei den Zwischenwahlen 2018 hatten die Demokraten unter Latinos ohne Hochschulabschluss noch einen Vorsprung von 44 Prozentpunkten; zwei Jahre später war dieser Vorsprung auf nur noch 14 Punkte geschrumpft (Igielnik/Keeter/Hartig 2021). Dies trug dazu bei, dass Trump schon in der Wahl 2020 in 78 der 100 Landkreise mit mehrheitlich latinoamerikanischer Bevölkerung seinen Rückstand auf den demokratischen Kandidaten verringern konnte (Caputo 2020). Vier Jahre später hatten sich diese Landkreise um weitere 13 Prozentpunkte in Richtung der Republikaner bewegt (Levitt et al. 2024). Insgesamt konnte Donald Trump 2024 seinen Rückstand unter Latinos auf nur sechs Prozentpunkte reduzieren; Latino-Männer konnte er gar mit einem Vorsprung von zwölf Prozentpunkten für sich entscheiden (CNN 2024).

Doch wie kommt es, dass ein wachsender Anteil der Latino-Wählerschaft ausgerechnet für einen Kandidaten gestimmt hat, der für seine migrationsfeindliche Rhetorik bekannt ist? Verschiedene Erklärungsansätze bieten Hinweise. Generell besteht ein nicht zu vernachlässigendes Maß an Unterstützung für die grundsätzliche politische Stoßrichtung Trumps, wie die Abschiebung irregulärer Migrant*innen sowie seinen ökonomischen Nationalismus (Cohn 2024b, Corral/Leal 2024). Der wachsende sozialpolitische Progressivismus innerhalb der Demokratischen Partei ist zwar enorm populär unter weißen Liberals, erfährt aber weniger Zustimmung unter Schwarzen und Latinos (Zhou 2024). Zudem fanden progressive Forderungen wie die Reduzierung von Polizeibudgets („Defund the Police“) im Vorfeld der Wahl 2020 unter Latinos eine ähnlich breite Ablehnung wie bei weißen Wähler*innen (Parker und Hurst 2021).

Wie beschrieben, spricht Donald Trump vorwiegend jene Segmente der Latino-Bevölkerung an, die seiner Kernwählerschaft ähneln – und dies nicht nur hinsichtlich des Bildungsniveaus. Ein ideologischer Rechtsruck unter ethnischen Minderheiten in den letzten Jahren lässt sich insbesondere unter den Personen vorfinden, die konservative Einstellungen zu „Rassenfragen“ vorweisen und unter anderem die Ansicht vertreten, man sei beim Versuch die Gleichheit zwischen Schwarzen und Weißen herzustellen, beispielsweise durch staatliche Hilfsprogramme in sozialstaatlichen und bildungspolitischen Bereichen, zu weit gegangen (Sides/Tesler 2024). Ein weiteres prägnantes Beispiel für gesellschaftspolitische Entwicklungen, die zwar unter höher gebildeten weißen Demokraten Anklang finden, jedoch auf breite Ablehnung bei Latinos stoßen, ist der Begriff „Latinx“. Diese genderneutrale Bezeichnung, häufig von demokratischen Politiker*innen verwendet, erfährt unter Latinos zunehmenden Widerstand: Der Anteil jener, die die Anwendung des Begriffs für ihre Gruppe ablehnen, stieg zwischen 2019 und 2023 von 65 auf 75 Prozent. Nur vier Prozent der Latinos würden sich selbst als Latinx bezeichnen (Noe-Bustamante/Martinez/Lopez 2024).

Interessanterweise zog die Republikanische Partei mit Blick auf die Eroberung von Latino-Wähler*innen vor wenigen Jahren noch Schlussfolgerungen, die im starken Kontrast zu den Positionen Donald Trumps stehen. Nach der Wahlniederlage Mitt Romneys veröffentlichte die Partei im Frühjahr 2013 einen Bericht, der die Defizite in der Wählergewinnung unter ethnischen Minderheiten schonungslos aufdeckte. Die Analyse ergab, dass viele Latinos angaben, die migrationspolitische Rhetorik der Republikaner zerstöre entscheidende Brücken zur eigenen Gemeinschaft. Insbesondere die Haltung der Partei zum Thema Migration galt als „Lackmustest“, der Latinos zeigte, in welchem Maße die Partei sie willkommen hieß (Republican Party 2013: 15). Nur drei Jahre nach Veröffentlichung dieses Berichts eroberte jedoch ein Kandidat die republikanische Präsidentschaftskandidatur, der Migrant*innen aus Lateinamerika als Gefahr und Speerspitze einer „Invasion“ darstellte, und in zwei Präsidentschaftswahlen bei eben dieser Gruppe aber sehr gut abschnitt. Dies verdeutlicht, dass konventionelle Annahmen über die Parteipräferenzen von Latinos und die Gründe dahinter nicht mehr zwangsläufig zutreffen müssen.

Dabei muss jedoch angemerkt werden, dass die Demokraten trotz alle, die Zusammensetzung des heutigen „bunten“ Amerikas deutlich besser widerspiegeln (Tabelle 2). Die Entwicklung der demographischen Zusammensetzung der beiden Parteien innerhalb von drei Jahrzehnten veranschaulicht die weiterhin vorhandene Kluft zwischen den Republikanern und der generellen Wählerschaft besonders prägnant.

 


Bildung als neue Hauptkonfliktlinie?

Um das Wahlergebnis 2024 zu verstehen, ist es notwendig sich einem anderen zentralen demographischen Faktor zuzuwenden, nämlich dem Bildungsgrad. So hat der persönliche Bildungsabschluss das Potenzial, die ethnische Zugehörigkeit als wichtigste Erklärung des Wahlverhaltens von Individuen zu verdrängen. Die Republikanische Partei ist heute die Partei der weißen Wähler*innen ohne Hochschulabschluss, Amerikaner*innen mit einem College-Abschluss bilden hingegen einen zentralen Pfeiler der Demokratischen Partei. Diese Entwicklung setzte jedoch erst in den letzten beiden Jahrzehnten ein: 1994 genoss die Republikanische Partei unter Amerikaner*innen mit einem Hochschulabschluss noch einen komfortablen Vorsprung von zehn Prozentpunkten. 2023 waren es jedoch die Demokraten, die hier einen Vorsprung von nunmehr 13 Prozentpunkten besaßen (Pew Research Center 2024). Besonders deutlich zeigt sich diese Bildungsschere und ihre Transformation unter weißen Wähler*innen (siehe Tabelle 3). Während die Republikaner 1994 in beiden Gruppen die populärere Partei waren, hat sich ihr Vorsprung unter weißen Wähler*innen ohne Hochschulabschluss seither nahezu verdreifacht, während die Demokraten heute die bevorzugte Wahl der hochgebildeten weißen Wähler*innen darstellen.

Trotz des konservativen Sieges auf fast allen elektoralen Ebenen im Jahr 2024 könnten die demographischen Entwicklungen die Republikanische Partei weiterhin dazu zwingen, sich neu auszurichten. Allein zwischen 2001 und 2021 wuchs der Anteil der über 24-Jährigen in den USA, die mindestens einen Bachelorabschluss vorweisen konnten, von 31,5 auf 52,8 Prozent. Der Anteil mit einem Master­abschluss oder einer Promotion stieg im selben Zeitraum von 11 auf 24,1 Prozent an (United States Census Bureau 2022). Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Wählerschaft. 43 Prozent aller Wähler*innen besaßen 2024 einen Hochschulabschluss, ein Anstieg von zwei Prozentpunkten gegenüber dem Wert vier Jahre zuvor (CNN 2020 & 2024). Diese Wähler*innen konnte Hillary Clinton mit einem Vorsprung von zehn Prozentpunkten für sich gewinnen (CNN 2016). Vier Jahre später gewann Joe Biden diese mit einem Vorsprung von 12 Punkten, während Trump die Wähler*innen ohne einen College-Abschluss mit zwei Punkten Vorsprung gewann (CNN 2020). 2024 lagen die jeweiligen Werte bei 13 und 14 Prozentpunkten, ein Indikator, dass der Bildungsgrad möglicherweise in Zukunft eine signifikantere Konfliktlinie als der ethnische Hintergrund darstellen könnte (CNN 2024). Obwohl Harris die Wahl verloren hat, lässt sich feststellen, dass der Bildungsstand der Bevölkerung mit jeder Wahl steigt. Dieser fortschreitende Wandel sollte langfristig eine vorteilhafte Ausgangslage für die Demokratische Partei schaffen – doch wie die jüngsten Wahlergebnisse eindrücklich verdeutlichen, sind selbst vermeintlich günstige demographische Trends keineswegs ein sicherer Garant für Wahlerfolge.

Fazit: Demographics is the destiny we make of it

Die politischen Mehrheiten in den USA wurden in den letzten zwei Jahrzehnten maßgeblich durch den demographischen Wandel geprägt. Weiße Wähler*innen, einst tonangebend, sahen ihre zahlenmäßige Dominanz schwinden, was in der republikanischen Basis erhebliche Statusängste auslöste. Mehr noch als ein Wachstum rassistischer Ressentiments erklären diese Ängste die Unterstützung eines Kandidaten, der wiederholt eine rassistisch konnotierte Rhetorik einsetzt (Hawley 2025: 146ff.). Zugleich nährte die wachsende Unterstützung von Latinos, Schwarzen und hochgebildeten Wählergruppen die Erwartung, dass demographische Trends den Demokraten zugutekommen würden.

Welche langfristigen Schlussfolgerungen lassen sich nunmehr aus dem Wahlergebnis 2024 ziehen, das manche dieser Annahmen widerlegt hat? Donald Trumps Zugewinne unter nicht-weißen Wähler*innen mit gleichzeitigen Verlusten beim besser gebildeten Elektorat deuten darauf hin, dass potenziell der Bildungsgrad die wichtigste Cleavage des Landes wird. Doch einzelne Wähler*innenwanderungen dürfen auch nicht überbewertet werden. Schon 2004 hofften die Republikaner nach Zugewinnen bei Latinos auf eine stabile Koalition aus, leicht mobilisierbaren, konservativen Christen und Latino-Wähler*innen, die statt einer „Emerging Democratic Majority“ zu einer „Permanent Republican Majority“ führen würde. Doch nur vier Jahre später triumphierte Barack Obama mit seiner ethnisch vielfältigen Koalition – nur um zwei Jahre darauf in den Midterms historische Verluste im Repräsentantenhaus zu erleiden.

Auch Donald Trumps Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2024 lässt sich vor allem durch ein für ihn äußerst günstiges politisches Umfeld erklären: die Biden-Harris-Regierung war unbeliebt, und der Zustand der Wirtschaft wurde als katastrophal wahrgenommen. Eine echte Neuausrichtung der Latino-Wählerschaft und eine ethnische Entpolarisierung ließen sich nur dann feststellen, wenn es den Republikanern gelingt, vergleichbare Wahlergebnisse auch unter weniger günstigen politischen Rahmenbedingungen in künftigen Wahlen zu erzielen.

Im Falle Trumps muss jedoch angemerkt werden, dass er bereits vier Jahre zuvor seine Unterstützung im Latino-Lager ausbauen konnte. Sollten wir uns inmitten eines Latino-„Realignments“ befinden, könnte man einerseits von einer potenziell dienlichen Entwicklung für die amerikanische Demokratie sprechen. Republikanische Sorgen hinsichtlich des Minderheitenstatus’ weißer Wähler*innen und den damit verbundenen Konsequenzen für republikanische Mehrheiten haben maßgeblich zu Trumps Erfolgen und der wachsenden Akzeptanz des Bruches demokratischer Normen im konservativen Lager beigetragen. Sollte sich der Trend zur „ethnischen Entpolarisierung“, der in den Wahlen von 2020 sichtbar wurde und 2024 noch deutlicher hervortrat, weiter fortsetzen, könnten die Republikaner zu der Erkenntnis gelangen, dass eine zunehmend ethnisch diverse Gesellschaft nicht zwangsläufig negative Folgen für die eigene politische Zukunft birgt. Dies könnte den Weg für eine gemäßigtere Ausrichtung der Partei ebnen. Andererseits ist auch eine pessimistischere Schlussfolgerung möglich, denn die radikalisierten Republikaner sind in der Lage, auch im ethnisch immer vielfältigeren Amerika komfortable Mehrheiten zu erhalten und alle Schalthebel der Macht zu kontrollieren. Der Erfolg Trumps mag somit ähnlich autokratie-affine Nachahmer*innen in seiner Partei bestärken.


 Anmerkungen

[1] Dies basiert auf den Daten der Exit Polls, also der Umfragen des Wahltags. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob spätere umfassendere Analysen und Studien ebenso diesen Anstieg belegen.
[2] Anzumerken ist dabei, dass beispielsweise eine weitere Umfrage der Associated Press den demokratischen Vorsprung unter Latinos auf 14 Punkte bezifferte (McGill/DeBarros/Ostroff 2024). Auch dies stellt jedoch einen markanten Rückgang im Vergleich zu vorherigen Wahlen dar.

Literatur



DOI: 10.36206/AN24.6
CC-BY-NC-SA
Neueste Beiträge aus
Repräsentation und Parlamentarismus