Attraktivität als Vorteil? Wie die „äußeren“ Werte die Kandidatenauswahl in den Parteien beeinflussen
Aus der Forschung ist bekannt, dass die wahrgenommene Attraktivität von Kandidatinnen und Kandidaten deren Wahlchancen bei Landtags-, Bundestags- und Europaparlamentswahlen (geringfügig) verbessert. Doch welchen Stellenwert hat das persönliche Erscheinungsbild im innerparteilichen Prozess der Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl? Anhand von Daten aus der Befragung von Parteimitgliedern zeigen Calixte Bloquet und Danny Schindler vom Institut für Parlamentarismusforschung, dass die äußeren Merkmale von Kandidatinnen und Kandidaten auch parteiintern zum Tragen kommen.
Eine Analyse von Calixte Bloquet und Danny Schindler
Nach dem Zerbrechen der Ampelkoalition und der Auflösung des Bundestags stehen am 23. Februar 2025 Neuwahlen an. Wie bei jedem Urnengang ist auch diesmal der Ausgang weitgehend ungewiss, denn Wahlentscheidungen sind komplexe Vorgänge, was sich auch am großen Anteil unentschlossener Wählerinnen und Wähler kurz vor der Wahl zeigt.[1] Als gesicherte Annahme politikwissenschaftlicher Forschung kann aber gelten, dass emotionale Bindungen an eine Partei (Parteiidentifikation), Einstellungen zu politischen Sachfragen (Issue-Orientierung) und die Bewertung des politischen Personals (Kandidatenorientierung) zusammenwirken. Der letztgenannte Einflussfaktor, die Kandidatenorientierung, hängt vorrangig von „politiknahen“ Eigenschaften wie der zugeschriebenen Themen- und Führungskompetenz der sich zur Wahl stellenden Personen ab.[2] Ein nachgelagerter bzw. vermittelnder Aspekt kann aber ebenfalls das äußere Erscheinungsbild sein.
Gelegentlich spielt das Thema auch im aktuellen Wahlkampf eine Rolle, etwa wenn Robert Habeck in der Medienberichterstattung als der „wohl attraktivste Kanzlerkandidat“ bezeichnet wird.[3] Relevanz gewinnen äußere Faktoren aber vor allem bei wenig bekannten Personen, die man beispielsweise zum ersten Mal auf Wahlplakaten sieht. Dass Attraktivität die Wahlchancen (geringfügig) verbessert, wurde in Deutschland für Bundestags-, Landtags- und Europaparlamentswahlen[4] nachgewiesen. Dies gilt sowohl für die im Wahlkreis antretenden Personen als auch für jene, die die Spitzenkandidatur ihrer Partei innehaben.[5]
Völlig unerforscht ist allerdings, welchen Stellenwert das persönliche Erscheinungsbild innerhalb der Parteien selbst besitzt, also wenn es um die Auswahl des Personaltableaus vor und für Parlamentswahlen geht. Die Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten muss als Schlüsselmoment parlamentarisch-demokratischer Repräsentation angesehen werden, stellt man in Rechnung, dass funktionierende Parlamente auf fähige Parlamentarierinnen und Parlamentarier angewiesen sind.[6] Sind die „äußeren“ Werte also auch bei der innerparteilichen Nominierung der Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahlkreise und Landeslisten von Belang? Einerseits könnte man vermuten, dass dem Aussehen hier weniger Bedeutung zukommt, denn den auswählenden Parteimitgliedern dürften genug anderweitige (und wichtigere) Informationen zu ihren kandidierenden Parteikolleginnen und -kollegen vorliegen. Kurz gesagt: Die Optik ist als Heuristik (Denkabkürzung) irrelevant, weil man die Personen gut kennt oder nach anderen Maßstäben, etwa ihren inhaltlichen Positionen, bewertet. Andererseits könnten optische Fragen gerade deswegen eine Rolle spielen, weil inhaltliche Unterschiede parteiintern – zwischen der Parteibasis und den Bewerberinnen und Bewerbern sowie auch zwischen gegeneinander antretenden Personen – weniger zum Tragen kommen. Also: Die Optik zählt, gerade weil sich die Personen inhaltlich ähneln.
Wie kann man den Stellenwert „äußerer Werte“ messen?
Der Frage, ob die „äußeren Werte“ auch innerparteilich relevant sind, gehen wir mit Hilfe einer Parteimitgliederbefragung nach, die im Rahmen einer groß angelegten Studie zur Kandidatenaufstellung für den 19. Deutschen Bundestag durchgeführt wurde.[7] Dabei wurden mehr als 9.000 Parteimitglieder von AfD, CDU/CSU, FDP, Grünen, Linkspartei und SPD auf zufällig ausgewählten Aufstellungsversammlungen unter anderem nach verschiedenen Einflussfaktoren für ihre Nominierungsentscheidung gefragt.[8] Der vorgelegte Kriterienkatalog enthielt zwei Aspekte, die eindeutig dem äußeren Erscheinungsbild zugeordnet werden können: Einzuschätzen war neben der „Attraktivität“ als Auswahlkriterium auch die Relevanz eines „gepflegte[n] Erscheinungsbilds“, das stärker selbst beeinflusst werden kann und deswegen als eigenständige Facette aufzufassen ist. Mit dieser Herangehensweise bleibt auch offen, ob Attraktivität tatsächlich ein eindeutig bestimmbares Merkmal ist (in der Forschung als Attraktivitätskonsens bezeichnet[9]) oder nicht doch auch sozial konstruiert wird und „im Auge des Betrachters“ liegt, sodass unterschiedliche Personengruppen zu abweichenden Attraktivitätsurteilen kommen. Im Gegensatz zu Studien, die Portraitfotos von Politikerinnen und Politikern durch eine Probandengruppe (Testpersonen) bewerten lassen[10], steht hier also die subjektiv wahrgenommene Attraktivität durch die Parteimitglieder selbst im Blickpunkt.
Gemessen wird durch die Befragung letztlich auch nicht der tatsächliche Einfluss äußerer Faktoren, sondern eine Selbsteinschätzung, wie wichtig diese Merkmale für das eigene Abstimmungsverhalten sind. Aus zwei Gründen lässt sich allerdings vermuten, dass die Bedeutung des Kriteriums Attraktivität größer sein könnte als angegeben: Erstens können die Befragten dazu tendieren, sozial erwünschte Antworten zu geben. Glaubt man, dass das Äußere in den Augen anderer Parteimitglieder keine Rolle spielen sollte, wird man das Antwortverhalten gegebenenfalls anpassen und die Relevanz der Attraktivität als zu niedrig ausweisen. Zweitens hat man es – wie in anderen Lebensbereichen auch – meist mit einer unbewusst wirksamen Heuristik zu tun. Der Faktor Attraktivität kann also bei der Auswahlentscheidung eine Rolle spielen, auch wenn er nicht Teil einer bewussten Abwägung ist.
Welche Rolle spielt das Erscheinungsbild im Nominierungsprozess?
Kommt es also bei der innerparteilichen Auswahl auch auf das Aussehen an? Ausweislich unserer Daten sind beide genannten Kriterien für die Nominierung der Bundestagskandidatinnen und -kandidaten bedeutsam, allerdings in unterschiedlichem Maße. Vier Fünftel der befragten Parteimitglieder (79,8 Prozent) fanden ein gepflegtes Erscheinungsbild wichtig oder sehr wichtig. Beim Merkmal Attraktivität traf dies immerhin auf ein Drittel (32,6 Prozent) zu. Äußere Faktoren sind demnach auch innerhalb der Parteien von Belang – vermutlich gerade deswegen, weil sich die inhaltlich-ideologischen Positionen der beteiligten Personen ähneln.
Interessanterweise zeigt sich für beide Merkmale in Abhängigkeit verschiedener Einflussfaktoren ein ähnliches Muster. Nicht relevant ist dabei zunächst einmal die politische Erfahrung, d.h. wie lange jemand Parteimitglied ist, wie viel Zeit man regelmäßig für die Parteiarbeit aufwendet und ob man Führungsämter oder sonstige herausgehobene Positionen in der Partei innehat oder nicht. Engagierte und verdiente Parteimitglieder bewerteten Attraktivität und Erscheinungsbild als ebenso wichtig oder unwichtig wie weniger aktive oder relativ neue Mitglieder.
Eine Rolle spielen hingegen sozialstrukturelle Faktoren (siehe die Abbildungen 1 und 2). So geht ein geringerer formaler Bildungsabschluss mit einer größeren Relevanzzuschreibung an beide Auswahlmerkmale einher. Zudem sind jene, die Attraktivität und Gepflegtheit als wichtig einstuften, im Durchschnitt fast fünf Jahre älter (wichtig: 54 bzw. 51,6 Jahre, wenig/unwichtig: 49,3 bzw. 47,7 Jahre). Schaut man auf das Geschlecht der Parteimitglieder, so fällt das Ergebnis zweigeteilt aus: Während ein gepflegtes Erscheinungsbild als ähnlich wichtig eingestuft wird, schreiben Männer dem Merkmal Attraktivität eine etwas größere Bedeutung zu als Frauen.
Neben den sozialen wirken zudem politische Faktoren, denn noch deutlichere Unterschiede zeigen sich im Vergleich der Parteien. Merklich niedrigere Zustimmungswerte finden sich bei den Mitgliedern von Grünen, Linken und der SPD. Zumindest in der hier abgefragten Selbsteinschätzung fällt ein attraktives und gepflegtes Äußeres bei ideologisch links zu verortenden Parteien also weniger ins Gewicht, wenn es um die Auswahl von Parlamentskandidatinnen und -kandidaten geht.
Schließlich treten leichte Unterschiede auf, wenn man Listen- und Wahlkreisnominierungen gegenüberstellt (siehe Abbildungen 1 und 2). Die geringfügig höhere Bedeutung des äußeren Erscheinungsbilds auf der lokalen Ebene lässt sich womöglich mit der „übersichtlicheren“ Entscheidungssituation erklären. Im Wahlkreis ist nur eine Person als Wahlkreiskandidat oder Wahlkreiskandidatin der Partei zu nominieren. Listenaufstellungen auf Landesebene fallen wesentlich komplexer aus. Hier geht es um ein breites Tableau an Personen[11], für deren Auswahl die genannten Merkmale gegebenenfalls in unterschiedlichem Ausmaß relevant sind. Vor allem existieren auch etliche (hintere) Listenplätze, die erwartbar nicht zum Einzug in den Bundestag führen. Bei den Nominierungsentscheidungen für solche „aussichtslosen“ Plätze dürfte generell weniger Wert auf die sonst üblichen Auswahlkriterien gelegt werden.
Insgesamt sollte die Bedeutung äußerer Faktoren in der Politik gewiss nicht überbewertet werden. Bei Parlamentswahlen geht es den Parteien wesentlich um das Vorlegen konkurrierender Gemeinwohlentwürfe und bei der Kandidatenaufstellung im Kern um die Auswahl von Personen, denen man die anspruchsvolle Tätigkeit demokratisch-parlamentarischer Repräsentation zutraut. Außer Frage steht also, dass andere Auswahlkriterien größeres Gewicht haben. In unserer Parteimitgliederumfrage erachteten es beispielsweise mehr als 94 Prozent der Befragten als wichtig oder sehr wichtig, dass die Nominierten Sachverstand in bestimmten Politikbereichen und Bürgernähe aufweisen. Festhalten lässt sich aber, dass äußere Merkmale nicht nur im Wettbewerb zwischen den Parteien, sondern auch bei innerparteilichen Auswahlverfahren zum Tragen kommen können. Das gilt insbesondere für ein gepflegtes Erscheinungsbild, auf das die meisten Parteimitglieder großen Wert legen. Im deutlich geringeren, aber nicht zu vernachlässigenden Ausmaß trifft das aber auch auf die subjektiv wahrgenommene Attraktivität zu. Als unbewusst wirksame Heuristik kann sie ein Wettbewerbsvorteil sein – vor allem, wenn vergleichsweise wenig über eine Person bekannt ist oder Personen sich in ihren sonstigen Eigenschaften ähneln.
Anmerkungen:
[1] Wahlkreisprognose I 3. JANUAR 2025, in: Wahlkreisprognose online unter: https://www.wahlkreisprognose.de/2025/01/03/bundestrend-viele-waehler-noch-unentschlossen-cdu-csu-bei-festentschlossenen-vorne/
[2] Vgl. etwa Schoen, Harald / Weins, Cornelia (2014): Der sozialpsychologische Ansatz zur Erklärung von Wahlverhalten, in Falter, Jürgen W. / Schoen, Harald (Hrsg.), Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden: Springer, S. 241–329; Korte, Karl-Rudolf (2024): Wählermärkte. Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik, Frankfurt: Campus Verlag.
[3] Forster, Jonas (2024): „Wir reden uns ein, rational zu entscheiden“ – so wichtig ist uns das Aussehen der Politiker, in: Der Westen, online unter: https://www.derwesten.de/politik/robert-habeck-olaf-scholz-friedrich-merz-gruene-spd-cdu-jaeckle-id301282503.html (letzter Zugriff: 22.01.2025).
[4] Jäckle, Sebastian / Metz, Thomas (2019): „Schönheit ist überall ein gar willkommener Gast“ – Zum Einfluss des Aussehens auf die Wahlchancen von Direktkandidaten bei der Bundestagswahl 2017, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 50. Jg., H. 3, S. 523–544; Ulrich Rosar / Markus Klein / Tilo Beckers (2008): The frog pond beauty contest: Physical attractiveness and electoral success of the constituency candidates at the North Rhine‐Westphalia state election of 2005, in: European Journal of Political Research, 47. Jg., H. 1, S. 64–79; Rosar, Ulrich / Klein, Markus (2014): The physical attractiveness of front-runners and electoral success, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, 8. Jg., S2, S. 197–209.
[5] Rosar, Ulrich (2009): Fabulous Front-Runners. Eine empirische Untersuchung zur Bedeutung der physischen Attraktivität von Spitzenkandidaten für den Wahlerfolg ihrer Parteien, in: Politische Vierteljahresschrift, 50. Jg., H. 4, S. 754–773.
[6] Schüttemeyer, Suzanne S. et al. (2024): Die Aufstellung der Kandidaten für den Deutschen Bundestag. Empirische Befunde zur personellen Qualität der parlamentarischen Demokratie, Baden-Baden: Nomos.
[7] Schüttemeyer, Suzanne S. et al. (2024): (Fn. 4).
[8] Die Studie umfasst 48 Listenaufstellungsversammlungen und 89 Wahlkreisnominierungen. 9.302 Parteimitglieder beantworteten die einschlägige Frage: „Wie wichtig sind Ihnen folgende Kandidatenmerkmale für die heutige Wahlkreisnominierung / für die Nominierung auf einen aussichtsreichen Listenplatz? Sind sie sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig oder gar nicht wichtig?“
[9] Rosar Ulrich (2009): a. a. O., (Fn. 3), S. 756.
[10] Ebd.
[11] Die Liste der baden-württembergischen FDP umfasste für die Bundestagswahl 2017 zum Beispiel 36 und die der niedersächsischen SPD 65 Personen. Im Fragebogen wurde nur ein Urteil für Listenaufstellung in Gänze abgefragt.
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