Die Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017. Ein Blick in die Forschungspraxis des Projekts #BuKa2017
Im Vorwege der Bundestagswahl 2017 hat das Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) die Kandidatenaufstellung zum Deutschen Bundestag systematisch untersucht. Ein Jahr lang wurde vor und hinter die Kulissen zahlreicher Nominierungsveranstaltungen aller aktuell im Bundestag vertretenen Parteien geblickt. Wie dieses hinsichtlich seines Umfangs beispiellose Forschungsprojekt #BuKa2017 ablief (von der Wahl der Untersuchungsgegenstände bis zur Frage, wie mit den Daten umzugehen ist), zeigt der hier gewährte Einblick in die Forschungspraxis.
Überfällige Forschung zu einer Grundfrage repräsentativer Demokratie
Zur Bundestagswahl am 24. September 2017 haben mehr als drei von vier wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern ihre Stimme abgegeben (76,2 Prozent). Beim Anblick des Wahlzettels dürfte jedoch nur den Wenigsten bewusst sein, wie das personelle Angebot zustande kommt. Der Grund hierfür ist vor allem in der Komplexität und unzureichenden Erforschung der Auswahlverfahren zu suchen. Die Kandidatenaufstellung galt lange Zeit als Stiefkind der deutschen Politikwissenschaft. Dies ist insofern beunruhigend, als die innerparteiliche Personalrekrutierung ein Kernstück unserer parlamentarischen Parteiendemokratie darstellt. Die Nominierung der Bundestagskandidaten und -kandidatinnen stellt die Grundlage für die demokratische Repräsentation der Bevölkerung dar. Sie zu verstehen ist deswegen auch ein Schlüssel für die Bewertung der Repräsentationsleistung sowohl der Parteien als auch des Parlaments.
Entscheidend ist vor diesem Hintergrund, wie die innerparteilichen Auswahlverfahren gestaltet sind, wer sich für eine Kandidatur zur Verfügung stellt und wer über diese befindet. Handelt es sich beispielsweise um ein partizipationsfreundliches Verfahren, an dem sich tatsächlich auch viele Parteimitglieder aktiv beteiligen? Welche innerparteiliche Repräsentationsleitung wird erbracht, wenn Führungsgremien Auswahlentscheidungen vorbereiten und Parteitagsdelegierte sie formal treffen? Wie viele Interessenten für eine Kandidatur gibt es überhaupt, und wie viele davon werfen aus welchen Gründen ihren Hut tatsächlich in den Ring? Diese Fragen sind wenig erschlossen. Auch weil umfassende Forschungsarbeiten weitgehend fehlen, bestimmen immer noch Vorurteile die Debatte, wonach einige wenige Parteigranden ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten eigenmächtig und ohne Rückkopplung im verrauchten Hinterzimmer auskungeln.
Insofern war es ein überfälliges Forschungsvorhaben, die Kandidatenaufstellung zum Deutschen Bundestag systematisch zu beleuchten. Ein Jahr lang schaute das Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) vor und hinter die Kulissen zahlreicher Nominierungsveranstaltungen aller aktuell im Bundestag vertretenen Parteien. Wie dieses hinsichtlich seines Umfangs beispiellose Forschungsprojekt #BuKa2017 ablief (von der Wahl der Untersuchungsgegenstände bis zur Frage, wie mit den Daten umzugehen ist), zeigt der hier gewährte Einblick in die Forschungspraxis.
Entscheidende Weichenstellungen: die Wahl der Erhebungsmethoden und Untersuchungsobjekte
Das IParl-Forschungsprojekt zielt darauf ab, den Prozess der Nominierung von Direkt- und Listenkandidatinnen und -kandidaten für die Bundestagswahl 2017 umfassend und detailliert zu untersuchen. Dafür wurde zunächst der Forschungsstand aufgearbeitet. Theoretische und konzeptionelle Grundlagen waren eine Pilotstudie von Suzanne S. Schüttemeyer und Roland Sturm vor der Bundestagswahl 2002 sowie die 2013 erschienene Dissertation von Benjamin Höhne zur Personalrekrutierung der deutschen Parteien für das Europäische Parlament.
Angesichts des Anspruchs, die Kandidatenaufstellung in ihren vielen Facetten und aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, entschied sich das zunächst aus sechs Personen bestehende Forschungsteam für den Einsatz unterschiedlicher Methoden bei der Datenerhebung (sogenannter mixed-methods-Ansatz). Zur Anwendung kommen sollten fünf als „Module“ bezeichnete Herangehensweisen, die unterschiedliche Erkenntnisziele verfolgten. Sie werden im Folgenden näher beschrieben. Mit der Wahl der Erhebungsmethode war überdies zu entscheiden, welche Untersuchungsobjekte jeweils ausgewählt werden sollen (Sample). Diese Einzelentscheidungen wurden nicht voneinander losgelöst, sondern in der Gesamtschau getroffen. Somit kam es also auch zu modulübergreifenden Abwägungen gemäß dem Motto: „Was wollen wir noch untersuchen und wie passt das zu den bisher angedachten Herangehensweisen?“
Eine zentrale Auswahlentscheidung wurde vorab getroffen: Untersucht werden sollten alle Parteien, die im 18. Deutschen Bundestag vertreten waren (CDU, CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE) oder realistische Chancen hatten, bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Dies traf gemäß den zurate gezogenen Umfragedaten von infratest dimap (April 2016) auf die FDP und die AfD zu. Die genannten sieben Parteien stellen damit die Grundgesamtheit unserer Studie dar.
(1) standardisierte Befragung der Veranstaltungsteilnehmer
Ein zentraler Untersuchungsgegenstand sollten die Sichtweisen der auswählenden Parteimitglieder beziehungsweise Delegierten (die wir beide als Elektoren bezeichnet haben) sowie der Kandidaturinteressierten (Aspiranten genannt) sein. In Betracht kam dafür eine standardisierte Befragung, mit der sich Daten gewinnen lassen, die eindeutig vergleichbar und statistisch auswertbar sind. Im Forschungsteam herrschte schnell Einigkeit, dass die Fragebögen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst schriftlich beantwortet werden und die Befragung vor Ort, also während der Aufstellungsversammlungen, durchgeführt werden soll. Dieses Verfahren, bei dem die Fragebögen am Veranstaltungsende wieder eingesammelt werden, versprach insbesondere eine bessere Rücklaufquote als das alternativ mögliche Zurücksenden der zuhause ausgefüllten Fragenbögen. Die letztgenannte Möglichkeit wurde Befragten mit „wenig Zeit“ aber als Alternativoption angeboten. Trotz der jeweils unbekannten Teilnehmerzahlen war auf den Veranstaltungen eine Vollerhebung vorgesehen. Es sollten dort also alle Abstimmungsberechtigten und alle Aspiranten befragt werden.
Neben dieser methodisch und forschungspraktisch relevanten Frage war zudem zu klären, auf welchem Wege und wie viele Wahlkreise und Landesverbände (Parteilisten) wir für die Erhebung auswählen wollen. Intensiv diskutiert wurde zunächst, ob eine bewusste oder zufallsbasierte Auswahl zur Anwendung kommen soll. Für beide Varianten sprechen gute Argumente. Da die Forschungsbefunde statistisch repräsentativ sein sollten, optierte das Team letztlich für eine Zufallsauswahl, die in enger Abstimmung mit dem Meinungsforschungsinstitut policy matters erfolgte. Dies galt ebenso für die Frage der Stichprobengröße, bei deren Beantwortung aber auch praktische Erwägungen (wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir auf den teilweise mehrtägigen Veranstaltungen in ganz Deutschland einsetzen?) eine Rolle spielten.
In 299 Wahlkreisen wählen die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Erststimme einen Wahlkreiskandidaten. Bei sechs Parteien (CDU und CSU werden hier zusammengezählt, da sie in keinem Bundesland gegeneinander antreten) ergab sich daraus eine Auswahlgesamtheit von 1.794 Wahlkreisversammlungen. Aus diesen wurden 90 Wahlkreise mittels einer Zufallsstichprobe ausgewählt.
Zu diesem ersten Zufallssample auf Wahlkreisebene kam ein zweites für „vakante“ Wahlkreise hinzu. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass der oder die dort zur Bundestagswahl 2013 angetretene Abgeordnete zum Erhebungszeitpunkt, also zur Bundestagswahl 2017, nicht erneut kandidiert. Da zu vermuten stand, dass sich die Aufstellungsmechanismen in dieser Situation von nicht-vakanten Wahlkreisen unterscheiden, wurde solchen Wahlkreisen im Rahmen einer separaten Erhebung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Gemäß unseren Recherchen galten bei der Bundestagswahl 2017 126 Wahlkreise als vakant. Per Zufallsauswahl wurden aus dieser Grundgesamtheit 15 vakante Wahlkreise gezogen, und zwar je drei für CDU, CSU, SPD, Grüne und DIE LINKE (AfD und FDP konnten keine vakanten Wahlkreise aufweisen, da beide Parteien zum Erhebungszeitpunkt nicht im Bundestag vertreten waren).
Mit unserer Zweitstimme wählen wir die Landesliste einer Partei. Auf Landesebene gehörten bei sechs Parteien (CDU und CSU werden erneut zusammengezählt, da sie in keinem Bundesland gegeneinander antreten) und 16 Bundesländern 96 Veranstaltungen zur Auswahlgesamtheit. Hierbei wurden 48 Fälle per Zufallsauswahl ausgewählt, wobei die Landesdelegiertenkonferenz der CSU in Bayern (als einzige einschlägige Parteiveranstaltung) sowie die frühzeitig erfolgte Listenaufstellung der Linkspartei in Rheinland-Pfalz gesetzt waren.
Zusätzlich zur geschilderten Zufallsauswahl auf Wahlkreis- und Landesebene wurden weitere Fälle im Fortgang der Erhebung ad hoc bewusst ausgewählt, weil sie sich entweder ganz offensichtlich von den üblichen Auswahlverfahren unterschieden oder aus sonstigen Gründen ein besonderes Forschungsinteresse begründeten. So wurde die Nominierungsveranstaltung der SPD im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf berücksichtigt, da dort im Vorfeld der Delegiertenversammlung eine konsultative Mitgliederbefragung zur Kandidatenauswahl erfolgte. Zu den ergänzend erforschten Veranstaltungen auf Landesebene gehörten zum Beispiel eine Listenaufstellung der Piratenpartei (die aufgrund der Vorreiterrolle dieser Partei im Bereich E-Democracy ausgewählt wurde) sowie jene von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Hessen, wo eine Mitgliederversammlung anstelle der sonst in Flächenländern bevorzugten Delegiertenversammlung stattfand.
Die meisten ausgewählten Befragungen konnten tatsächlich durchgeführt werden. Dies kann nicht vorausgesetzt werden, da für die Anwesenheit des Forschungsteams vor Ort die Zustimmung der jeweiligen Parteigliederungen nötig war. In den wenigen Fällen, wo die Landes- oder Kreisparteiorganisationen eine Teilnahme an unserem Forschungsprojekt nicht wünschten (siehe unten zur Ansprache der Parteien), wurden Ersatzveranstaltungen ausgewählt.
Parallel zu den genannten Auswahlentscheidungen erarbeitete das Team das eigentliche Erhebungsinstrument, den standardisierten Fragebogen. Hier fand viel Denkarbeit auf der Basis von Forschungsprojekten von Suzanne S. Schüttemeyer und Roland Sturm sowie von Benjamin Höhne statt. Aufgrund der jeweiligen Besonderheiten bei den Befragten sowie der Aufstellungsebene musste der Fragebogen in insgesamt vier Varianten erstellt werden: für Aspiranten und Elektoren jeweils sowohl auf Wahlkreis- als auch auf Landesebene. Die Finalisierung des Erhebungsinstruments erfolgte erst nach zahlreichen Diskussionsrunden. Insgesamt umfassen die Bögen bis zu 26 Fragen in verschiedenen Blöcken. Dazu gehörten beispielsweise die folgenden Fragen:
- Wie wichtig sind Ihnen folgende Kandidatenmerkmale für die Nominierung im Wahlkreis? (sehr wichtig, …, gar nicht wichtig)
o Erfahrungen in der Kommunalpolitik
o persönliche Ausstrahlung
o Sachverstand in bestimmten Politikbereichen
- Wie zufrieden sind Sie mit dem Angebot an Beteiligungsmöglichkeiten bei der Kandidatenaufstellung in Ihrer Partei? (sehr zufrieden, …, gar nicht zufrieden)
- Wie stark haben Sie sich persönlich im Vorfeld der heutigen Kandidatenaufstellung engagiert (sehr stark engagiert, …, gar nicht engagiert)
Für eine bessere Auswertbarkeit – und auch angesichts der zusätzlich geplanten qualitativen Interviews (siehe unten) – wurde lediglich eine offene Frage gestellt (und zwar zur genauen Berufsbezeichnung). Um das Erhebungsinstrument empirisch zu prüfen, fand auf zwei Wahlkreisveranstaltungen und einer Landesdelegiertenversammlung ein sogenannter Pretest statt, der nur kleinere Korrekturen am Fragebogen nach sich zog.
(2) wissenschaftliche Beobachtungen auf den Nominierungsveranstaltungen
Wissenschaftliche Beobachtungen versprechen zusätzlichen Aufschluss über die Kandidatenaufstellung, da sie das Verhalten der Beteiligten vor Ort beleuchten. Das ist allein deswegen wichtig, weil somit Praktiken und Handeln unabhängig von den erfragten Wahrnehmungen, Einstellungen und Bewertungen der Parteimitglieder erhoben werden können. Sie ermöglichen eine umfassende Dokumentation und – im Zusammenspiel mit den Leitfadeninterviews (siehe unten) – dichte Beschreibung des Nominierungsgeschehens. Dies betrifft auch die Vorstellungsreden der Kandidierenden auf der Versammlung sowie die dazugehörigen Fragerunden und Aussprachen der Parteimitglieder. Hinzu kommt: Die Erhebungsmethode der Beobachtung macht eine explorative, also eher offene Erforschung der Aufstellungsverfahren möglich. Nicht immer existieren zu allen Aspekten Vorannahmen und nicht immer wissen Forschende vorher, was sich vor Ort als interessant herausstellen kann. Durch die eigene Anwesenheit auf den Versammlungen konnten jedenfalls Informationen gewonnen werden, deren empirische und analytische Relevanz für das Forschungsprojekt vorab nicht bekannt war. Eine Selbstverständlichkeit war es, dass sich das IParl-Team in keiner Weise am Aufstellungsverfahren selbst beteiligt und lediglich als Beobachter im Hintergrund agiert hat.
Die Auswahl der Untersuchungseinheiten (Veranstaltungen) für dieses zweite Erhebungsmodul folgte weitgehend der oben beschriebenen Stichprobenziehung für die standardisierte Befragung.
Um die jeweils besonderen Situationen bei der Kandidatennominierung gezielt untersuchen zu können, kamen einige zusätzliche Beobachtungen bewusst ausgewählter Veranstaltungen zustande. Dazu gehörte beispielsweise die SPD in Bitburg-Prüm, die ihren Wahlkreiskandidaten zunächst mittels einer medial vielbeachteten Stellenanzeige suchte, oder die CDU im Wahlkreis Leipzig I, wo sich im Vorfeld anbahnte, dass die bisherige Abgeordnete antreten, aber nicht erneut nominiert werden würde.
Auf Landesebene wurden alle Veranstaltungen, auf denen eine standardisierte Befragung erfolgte, beobachtet. Hinzu kommen hier zwei weitere beobachtete Listenaufstellungen der AfD, für die die Landesparteien keine standardisierte Befragung genehmigt hatten, aber mit der Anwesenheit unseres Forschungsteams zum Zwecke der Beobachtung einverstanden waren.
Aufbauend auf den bisherigen Forschungserkenntnissen kam methodisch ein strukturiertes Beobachtungsverfahren zum Einsatz, das den Blick auf vorgegebene Themen und Fragestellungen lenkte. Die Beobachtungsbögen enthielten insofern standardisierte Fragen mit konkreten Antwortkategorien. Beispielsweise:
- Wie viel Zeit ist für die Vorstellung jedes Aspiranten vorgesehen?
- Existiert ein Wahlvorschlag der Parteiführung?
- Werden Fragen an die Aspiranten gestellt?
Darüber hinaus gab es aber auch offene qualitative Fragen und Freifelder, die von den Beobachtenden mit ausformulierten Sätzen oder Stichpunkten beantwortet beziehungsweise ausgefüllt werden sollten – etwa:
- Gab es besondere Vorkommnisse beim Ablauf der Aufstellungsversammlung?
- Welche Politikbereiche hat der Aspirant in seiner Vorstellungsrede thematisiert?
Insgesamt wurden drei Beobachtungsinstrumente verwendet: Erstens wurde jede begleitete Veranstaltung auf einem einheitlichen Beobachtungsbogen dokumentiert. Als zweites Instrument diente eine Anlage zur Erfassung der Vorstellungsreden der Aspiranten. Drittens wurde die Fragerunde nach den Vorstellungsreden der Bewerberinnen und Bewerber in einer weiteren Anlage dokumentiert.
(3) Leitfadeninterviews mit ausgewählten Beteiligten
Als zweite wertvolle Ergänzung zur standardisierten Befragung wurden auf den Aufstellungsversammlungen Leitfadeninterviews mit den beteiligten Akteuren und Akteurinnen geführt. Diese Interviewvariante gibt den Befragten keine Antwortmöglichkeiten vor; zugleich werden aufgrund des vorhandenen Leitfadens ab- und ausschweifende Erzählungen verhindert beziehungsweise erschwert. Zur Anwendung kam diese dritte Form der Datenerhebung vor allem deswegen, weil mit dem Forschungsprojekt nicht nur das Nominierungsgeschehen auf den Aufstellungsveranstaltungen untersucht werden sollte, sondern auch die so wichtigen vorgelagerten Prozesse. Die Interviews dienten also vor allem der Rekonstruktion der Ereignisse und Entscheidungen vor der Nominierungsversammlung.
Das Stichprobenverfahren entspricht jenem der Beobachtungen: Überall dort, wo wir als wissenschaftliche Beobachter und Beobachterinnen anwesend waren, wurden auch Leitfadeninterviews durchgeführt (siehe oben). Das betriff neben den zufällig ausgewählten Wahlkreis- und Listennominierungen auch alle bewusst ausgewählten Versammlungen. So wurden etwa bei der SPD im Wahlkreis Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf, bei der CDU im Wahlkreis Leipzig I oder bei der Piratenpartei in Schleswig-Holstein Interviews geführt. Erneut diente das gemeinsame Stichprobenverfahren primär dazu, identische Untersuchungseinheiten durch einen Methodenmix erforschen zu können.
Offen bleibt insofern aber, wer auf den Veranstaltungen interviewt werden soll. Zu berücksichtigen war dabei einerseits, dass Leitfadeninterviews bei der Anbahnung und Durchführung Zeit in Anspruch nehmen und gegebenenfalls auch in ruhiger Atmosphäre außerhalb des Veranstaltungssaals (in Nebenräumen etc.) stattfinden müssen. Dies begrenzt die Interviewzahl ebenso wie die Tatsache, dass Veranstaltungen gerade im Wahlkreis kurz ausfallen können. Zudem sollten auch hier verschiedene Perspektiven einbezogen werden. Aus diesen Gründen entschied sich das Forschungsteam, dass jeweils mindestens drei Parteimitglieder mit unterschiedlichen Funktionen – Elektoren, Aspiranten und Selektoren – interviewt werden sollten. Unter den letztgenannten Selektoren sind Parteimitglieder zu verstehen, die aufgrund ihrer Stellung und Erfahrung (als Mitglied der Parteiführung, graue Eminenz etc.) einen mutmaßlich großen Einfluss auf die Kandidatenaufstellung haben und gegebenenfalls als „Strippenzieher“ fungieren, weil sie bereits im Vorfeld Entscheidungen treffen. Auf wen dies zutraf, musste in einigen Fällen wiederum im Rahmen informeller Befragungen herausgefunden werden.
Der Interviewleitfaden wurde in zahlreichen Diskussionsrunden ausgearbeitet und verändert. In den Wahlkreisen, für die mit einer kürzeren Aufstellungsdauer zu rechnen war, setzte er sich aus drei Fragekomplexen zusammen: Prozesse im Vorfeld der Veranstaltungen, Vorstellungsrunden, vorab abgesprungene Kandidatinnen und Kandidaten. Für die Listenaufstellungen sah er sieben Fragenkomplexe vor, unter anderem zur Motivation der Bewerbung (Aspiranten), zum innerparteilichen Wettbewerb und zu den einflussreichen Akteuren im Vorfeld der Nominierungsveranstaltung. Begonnen wurde das Interview jeweils mit folgender Erzählaufforderung:
- Vor den Aufstellungsversammlungen werden in der Regel bereits Entscheidungen getroffen. Erzählen Sie mal, wie lief das Auswahlverfahren vor der heutigen Nominierungsveranstaltung ab?
Auch in den vakanten Wahlkreisen wurde diese längere Befragungsvariante verwendet.
Vorzugsweise wurden die Interviews mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet. Falls dies nicht möglich beziehungsweise vom Interviewpartner nicht gewünscht war, wurde eine Mitschrift (Gedächtnisprotokoll) angefertigt.
(4) Medienanalyse
Auch Medienberichte ermöglichen einen Einblick in innerparteiliche Verfahren und Entscheidungen. Außerdem dokumentieren sie die Außenwahrnehmung des parteilichen Innenlebens durch die Medien, die diese Informationen wiederum an die Bürger und Bürgerinnen weitertragen. Da die mediale Berichterstattung eine zusätzliche Informationsquelle und zugleich einen wichtigen Untersuchungsgegenstand für die Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl bietet, wurde als viertes Modul eine Medienanalyse durchgeführt.
Ausgangspunkt war die Annahme, dass ein Großteil der Berichterstattung über die dezentralen Nominierungsprozesse in den Print- und Onlinemedien stattfindet. Für die Untersuchung wurden wegen der längerfristigen Verfügbarkeit allerdings nur die Printmedien (Tages- und Wochenzeitungen) ausgewählt. Gleichzeitig wurde der Fokus auf die kleinen und großen Regionalzeitungen gelegt. Überregionalen Tageszeitungen fehlt in der Regel das Interesse, über lokale Prozesse zu berichten (und wohl auch das dafür notwendige Wissen zu den Akteuren und Prozessen vor Ort). Als Datenbasis diente die Online-Datenbank LexisNexis, in der auf immerhin 78 regionale und lokale Zeitungen zurückgegriffen werden konnte, die mehr als ein Drittel aller Wahlkreise (110 von 299) abdecken.
(5) Satzungsanalyse
Formale Regeln zur Kandidatenaufstellung finden sich in unterschiedlichem Umfang in den Parteisatzungen, die deswegen Gegenstand eines weiteren Erhebungsmoduls waren. Satzungsrechtliche Regeln sind an sich bedeutsam, da sie die Rahmenbedingungen für die Nominierungsprozesse schaffen, die vergleichend untersucht werden können: Welche Regelungen gibt es, wo existieren Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Parteien? Die Erhebung und Auswertung dieser Datengrundlage begann bereits bei der Vorbereitung der Feldforschung, damit die entsprechenden Informationen für diese genutzt werden können. Von wissenschaftlichem Interesse sind die Parteistatuten aber auch hinsichtlich der Frage, in welchem Maße sie die Organisationswirklichkeit beschreiben: Gibt es beispielsweise informelle Normen, die die formalen Regelungen überlagern? Dies kann nur im Lichte der Daten aus den anderen Erhebungsmodulen geprüft werden.
Einbezogen wurden alle schriftlich verfassten Regeln der Parteien auf Bundes- und Landesebene mit Bezug zur Kandidatenaufstellung. Dazu gehörten insofern auch Wahlordnungen und Frauenstatute. Meist wurden die Dokumente über Internetrecherchen beschafft; wo dies nicht möglich war, kontaktierten wir die Geschäftsstellen der Landesverbände. Zum Stichtag der Erhebung (31. Juli 2016) waren 172 Dokumente mit mehr als 2.000 Textseiten verfügbar.
Erster Kristallisationspunkt aller gedanklichen Vorarbeit: die Feldphase der Datenerhebung
Die Feldphase startete am 16. September 2016 mit einer Wahlkreisaufstellung der SPD in Brandenburg. Sie endete nach ganzen 297 Tagen am 9. Juli 2017 mit dem Besuch einer Wahlkreisnominierung der AfD in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 166 Einzelerhebungen (112 auf der Wahlkreis-, 54 auf der Landesebene) durchgeführt.
Jeder einzelnen Veranstaltung ging eine bisweilen sehr zeitaufwändige Vorbereitungsphase voraus. Insbesondere mussten die Parteiorganisationen vor Ort angesprochen und um Einverständnis für die geplante Erhebung gebeten werden. Dafür nutzen wir auch Empfehlungsschreiben entweder der Bundesgeschäftsführungen der Parteien oder der Fraktionsführungen im Deutschen Bundestag. Diese waren kein automatischer Türöffner, denn bei den jeweiligen Gliederungen handelt es sich um weitgehend autonome Parteistrukturen, die zudem die Kandidatenaufstellung als ihre eigene „Domäne“ hüten. Ohne Wirkung dürften die Empfehlungsschreiben aber auch nicht gewesen sein. Sie signalisieren jedenfalls parteiintern, dass unser Forschungsvorhaben auch seitens der Bundesebene für wichtig und interessant befunden wurde.
Im Einzelfall war die Ansprache ein mühsames Bohren dicker Bretter und es bedurfte etlicher Telefonate und flankierender E-Mails, um die vor Ort Verantwortlichen zu überzeugen. Das waren im Wahlkreis vor allem die Kreisgeschäftsführenden und Kreisvorsitzenden, auf Landesebene in erster Linie die Landesgeschäftsführenden. Unsere Anfrage wurde in der Regel in den Führungsgremien der Partei diskutiert und entschieden. Im Einzelfall kam es auch dazu, dass selbst noch auf der eigentlichen Nominierungsversammlung ein Votum der Anwesenden eingeholt wurde, die dazu auch die eingesetzten Teammitglieder auf offener Bühne befragen konnten. Dies gelang stets reibungslos.
Vor Beginn der Feldphase fand eine ganztätige Schulung statt, die sich umfassend mit dem Thema Kandidatennominierung sowie vor allem den Erhebungsinstrumenten beschäftigte. Zur Vorbereitung auf den Feldeinsatz wurden auch Verhaltensregeln bei der Beobachtung und den Befragungen sowie organisatorische Fragen besprochen. Insgesamt gehörten zum IParl-Forschungsteam fast 50 freie und feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hinzu kommen die von unserem Partnerinstitut policy matters bei der Datenerhebung eingesetzten Personen.
Vor Ort waren im Wahlkreis und bei der Listenaufstellung auf Landesebene zumeist zwei oder drei Projektmitglieder im Einsatz, wobei eines primär für die standardisierte Befragung zuständig war. Bei besonders großen Veranstaltungen wie der Wahlkreisaufstellung der CDU in Cloppenburg-Vechta war mehr Personal erforderlich, um das zügige Verteilen und Einsammeln der Fragebögen zu gewährleisten. Bei der genannten Veranstaltung, die aufgrund der Teilnehmerzahl von mehr als 1.800 Parteimitgliedern in einer Basketball-Halle stattfinden musste, waren insgesamt zehn IParl-Forscherinnen und -Forscher an der Erhebung beteiligt.
Wichtig war unsere Präsenz auch, um Fragen der Beteiligten zu beantworten. Auch dadurch konnten die Parteimitglieder zum Ausfüllen des standardisierten Fragebogens motiviert werden. Wie bei jeder Studie gab es im Einzelfall aber auch grundsätzliche Verweigerungen einer Teilnahme, sodass alle Überzeugungsarbeit erfolglos war. In der Gesamtschau hat sich die Variante der Ansprache und Begleitkommunikation vor Ort jedenfalls deutlich ausgezahlt. Für die standardisierte Befragung konnte eine für sozialwissenschaftliche Erhebungen überaus erfreuliche Rücklaufquote von 50,9 Prozent erzielt werden, die deutlich über Rückläufen aus postalischen Befragungen liegt. Insgesamt wurden 19.785 Parteimitglieder mit einem Fragebogen versehen (allein das zeigt den Umfang der geleisteten Feldarbeit), mehr als 10.000 Befragte gaben diesen ausgefüllt zurück.
Der Feldeinsatz war auch deswegen mit einigen Anstrengungen verbunden, weil die Veranstaltungen oft an den Wochenenden in zum Teil wenig bereisten Regionen Deutschlands stattfanden. Bisweilen wurden auch nur kurze Versammlungen (von einer Stunde) abgehalten, auf denen aber eine umfassende Datenerhebung (Verteilen und Einsammeln der Fragebögen, Beobachtung, Interviewdurchführung) sicherzustellen war. Die Feldphase war insofern mühsame „Arbeit“, die aber zugleich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als spannend empfunden wurde. Wann sonst kommt man in die Gelegenheit, einmal hinter die Kulissen der Parteien zu schauen? Dabei gab es sicherlich auch wenig ereignisreiche Veranstaltungen, die ritualhaft abliefen. Umso interessanter war es, wenn Unvorhersehbares passierte, etwa weil namhafte Aspiranten nach hitziger Debatte gegeneinander antraten oder getroffene Vorabsprachen kritisiert und zu Makulatur erklärt wurden. Dann geriet die Versammlung zu einem Kleinod sozialwissenschaftlicher Forschung.
Auch humorvolle Momente hielt die Feldarbeit bereit, beispielsweise wenn unsere Forschungseinrichtung von der Veranstaltungsleitung der CDU als „Institut für Parlamentariumsforschung“ vorgestellt wurde, was sichtlich einige Verwunderung auslöste, aber auch dann nicht zu einer Berichtigung durch den Sitzungsleiter führte. Oder wenn die Vorstellungsrunden der Bewerberinnen und Bewerber musikalische Einlagen mit Klangschalen enthielten, wie dies bei einer Listenaufstellung von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN geschah.
Mit Datenbergen umgehen: die Datenaufbereitung
Der Abschluss der Datenerhebung ist ein wichtiger Meilenstein in jedem Forschungsprojekt. Bevor das aufwändig erhobene Datenmaterial ausgewertet werden kann, steht allerdings noch die Datenaufbereitung an. Dieser Schritt folgt chronologisch auf die Feldforschungsphase. Bereits bei der Diskussion und Konzeption der Erhebungsinstrumente, also am Beginn eines Forschungsprojekts, sind die Möglichkeiten der Datenauswertung aber mit zu bedenken.
Im Modul „standardisierte Befragung“ lagen mehr als 10.000 ausgefüllte Fragebögen vor. Diese wurden in einem ersten Schritt automatisiert als Scan erfasst. Anschließend erfolgte stichprobenartig eine manuelle Datenkontrolle. Außerdem wurden Plausibilitätstest durchgeführt und jene Angaben, die auf dieser Basis auf den ersten Blick inkompatibel beziehungsweise inhaltlich fraglich waren, nachgeprüft beziehungsweise von der Analyse ausgeschlossen. Die standardisierten Daten wurden sodann in zwei SPSS-Datensätze (einmal für die Elektoren, einmal für die Aspiranten) überführt. Für Einzelanalysen konnte das jeweils gewünschte Sample (Zufallsstichprobe, vakante Wahlkreise, bewusst gewählte Fälle etc.) über die Filterfunktion ausgewählt werden.
Die aus der wissenschaftlichen Beobachtung gewonnenen Daten umfassen mehr als 1.000 Word-Seiten Dokumentation, die in zwei Varianten aufbereitet wurden. Die qualitativen Daten (dazu gehören vor allem die freien Beschreibungen im Beobachtungsbogen und den beiden Anlagen zur Aspirantenvorstellung und Fragerunde) wurden in die Software MaxQDA eingespeist. In einem zweiten Schritt wurden sie mit dem Kategoriensystem, das für die qualitativen Interviews erstellt wurde (siehe unten), kodiert. Die im Beobachtungsbogen standardisiert erhobenen Daten wurden hingegen in einen SPSS-Datensatz überführt.
Im Modul „Leitfadeninterviews“ konnten mehr als 300 Interviews durchgeführt sowie knapp 100 Mitschriften und Gedächtnisprotokolle gefertigt werden. Die entstandenen Audiodateien, die sich auf eine Gesamtlänge von über 63 Stunden belaufen, wurden transkribiert und das daraus hervorgehende Textmaterial kodiert. Genutzt wurde hierfür ein deduktiv auf der Basis forschungsrelevanter Themen und Fragestellungen entwickeltes Kategoriensystem. Nach einigen Probedurchläufen wurde es um einige induktive Kodes ergänzt. Die Kodierarbeit, die größtenteils durch eigens geschulte freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie studentische Hilfskräfte erfolgte, nahm wie die Transkriptionen viel Zeit in Anspruch.
Im Modul „Medienanalyse“ wurden insgesamt 673 Zeitungsartikel erfasst, in einer Datenbank gesammelt und verschlagwortet.
Die im Rahmen der „Satzungsanalyse“ beschafften Parteistatuten wurden nicht im vollen Umfang aufbereitet und kodiert. Der Fokus lag vielmehr auf jenen Regeln, die für die Kandidatenaufstellung relevant waren. Diese wurden in einer Datenbank gesammelt und für anstehende Einzelanalysen kategorisiert.
Analytische „Ernte“: Datenauswertung und Veröffentlichung der Befunde
Zum schönsten Teil eines Forschungsprojekts gehört die „spannende Büroarbeit“ (die Bezeichnung ist insofern keinesfalls als Oxymoron aufzufassen). Der neugierige Blick auf die Daten, motiviert durch konkrete Fragestellungen und begründete Vermutungen, bedeutet, nun endlich analytisch die Ernte einfahren zu können. Das ist angesichts der beschriebenen Datenmenge, die erhoben wurde, ein potenziell langjähriges Unterfangen. Vielzählige Vorträge an Universitäten, bei den Parteien und auf wissenschaftlichen Konferenzen resultierten bereits aus der Datenschau; etliche werden noch folgen.
Ebenso betrifft dies das Kerngeschäft wissenschaftlicher Publikationen. Aus dem Forschungsprojekt sind bereits zahlreiche IParl-Veröffentlichungen in Zeitschriften und Sammelbänden entstanden, weitere stehen an. Jüngst sind beispielsweise sieben Beiträge in einem thematischen Schwerpunktheft der Zeitschrift für Parlamentsfragen erschienen. Dazu gehört auch die Untersuchung von Suzanne S. Schüttemeyer und Anastasia Pyschny zur Kandidatenaufstellung als personeller und partizipatorischer Grundlage demokratischer Ordnung, die als Zweitveröffentlichung auf dem Portal für Politikwissenschaft zur Verfügung steht. Wie auch das Forschungsprojekt insgesamt zeigt sie, wie wichtig die Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger in den Parteien ist und wie diese wiederum auf eine aktive Partizipation der beigetretenen Mitglieder angewiesen sind.
Weitere Informationen zu diesem Forschungsprojekt enthält die Homepage des Instituts für Parlamentarismusforschung. Dort finden Sie auch eine Liste aktueller Publikationen, Methodenberichte zu den verschiedenen Erhebungsmodulen sowie den bei der standardisierten Befragung verwendeten Fragebogen als PDF-Dokument. Ebenso können Sie bei Interesse den IParl-Newsletter abonnieren, der regelmäßig über Veranstaltungen und Veröffentlichungen aus unserem Forschungsprojekt informiert.
Im Anschluss an diesen Bericht lassen wir ausgewählte Beobachter*nnen und Interview*nnen mit ihren Erfahrungen bei der Projektdurchführung zu Wort kommen. In einem schriftlichen Kurzinterview wurden sie gebeten, die folgenden vier Fragen zu beantworten:
1. Was war auf den Aufstellungsversammlungen aus Ihrer Sicht besonders spannend und ist Ihnen daher im Gedächtnis geblieben?
2. Wie haben die Parteimitglieder im Allgemeinen auf die Befragung reagiert? Gab es besondere Reaktionen auf unser Forschungsprojekt?
3. Sind Ihnen auf den besuchten Veranstaltungen Unterschiede zwischen den Parteien oder innerhalb der Parteien aufgefallen?
4. Was haben Sie für sich aus diesem Projekt als besondere Erfahrung mitgenommen?
Ihre Äußerungen werden nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben.
Kurzinterview mit Dr. Elisa Deiss-Helbig (Universität Stuttgart)
1. Was war auf den Aufstellungsversammlungen aus Ihrer Sicht besonders spannend und ist Ihnen daher im Gedächtnis geblieben?
Für mich war die Vielfalt an Aufstellungsversammlungen, die ich beobachtet habe besonders spannend. Ich war bei eher kleineren Wahlkreisnominierungen (FDP, Linke in BW), aber auch bei größeren Nominierungen auf Wahlkreisebene (CDU Hessen). Außerdem konnte ich bei zwei Listennominierungen dabei sein, die ebenfalls in ihrer Art sehr unterschiedlich waren (FDP in BW, Grünen in BY). Besonders in Erinnerung ist mir die Aufstellung der Grünen in BY geblieben. Dort konnte ich gut beobachten, welche wichtige Rolle die Mitgliederstärke von einzelnen Kreisverbänden spielt („Hausmacht“) und wie Absprachen unter den Vertreter*innen der Kreisverbände nebenher zwischen den einzelnen Abstimmungsrunden ablaufen.
2. Wie haben die Parteimitglieder im Allgemeinen auf die Befragung reagiert? Gab es besondere Reaktionen auf unser Forschungsprojekt?
Die Parteimitglieder waren eher interessiert am Projekt als dass sie sich beobachtet gefühlt haben oder misstrauisch waren. Allerdings war es vor allem bei den Listennominierungen organisatorisch ein bisschen schwierig, die Befragungen durchzuführen, weil es sehr viel Hektik zwischen den einzelnen Nominierungsrunden gab und viele Delegierte/Kandidat*innen aufgrund von Absprachen etc. nur wenig Zeit hatten.
3. Sind Ihnen auf den besuchten Veranstaltungen Unterschiede zwischen den Parteien oder innerhalb der Parteien aufgefallen?
Es sind mir große Unterschiede aufgefallen (siehe oben). Eine zweitägige Listennominierung der Grünen mit einer Vielzahl an Kampfkandidaturen und einer langen Liste unterscheidet sich stark zu einer eintägigen Listenaufstellung der FDP, die ebenfalls überraschend kompetitiv war, allerdings um einiges kürzer. Die FDP war zu dem Zeitpunkt nicht im Bundestag. Bei der Listenaufstellung wurde aber davon ausgegangen, dass es bei der BTW 2017 wieder klappen würde. Aus diesem Grund waren die vorderen Listenplätze besonders umkämpft. Bei den Grünen ist mir zudem aufgefallen, dass Kriterien wie „Qualität der Rede“, „Persönlichkeit des Kandidaten/der Kandidatin“ durchaus eine Rolle spielen. So konnte sich hier, auch wenn das die Ausnahme war, Neulinge gegen Amtsinhaber*innen durchsetzen. Unterschiede innerhalb der Parteien konnte ich nicht feststellen, da ich jeweils nur bei einer Aufstellungsveranstaltung pro Partei dabei war.
4. Was haben Sie für sich aus diesem Projekt als besondere Erfahrung mitgenommen?
Da ich ebenfalls, allerdings mit einer anderen Methodik, zu Kandidatenaufstellungen forsche, war es sehr spannend, selbst bei den Aufstellungen dabei zu sein. Einige Beobachtungen, die ich dort vor Ort gemacht habe, haben meinen Blickwinkel auf vereinzelte Aspekte der Kandidatenaufstellung verändert bzw. dazu geführt, dass ich mir bestimmte Aspekte danach genauer angesehen habe.
Kurzinterview mit Anne Fiebig (Universität Hamburg)
1. Was war auf den Aufstellungsversammlungen aus Ihrer Sicht besonders spannend und ist Ihnen daher im Gedächtnis geblieben?
Die Debatten im Rahmen von Kampfkandidaturen sind immer eine spannende Angelegenheit. Die demografische Abbildung der Parteien und Bewerber*innen war auch spannend zu beobachten (bspw. Frauenanteil, Migrant*innenanteil, Alter).
2. Wie haben die Parteimitglieder im Allgemeinen auf die Befragung reagiert? Gab es besondere Reaktionen auf unser Forschungsprojekt?
Die Parteimitglieder haben fast durchweg positiv und kooperativ auf die Befragung und das Forschungsprojekt reagiert. Viele haben Fragen zum Forschungsprojekt gestellt und Interesse geäußert.
3. Sind Ihnen auf den besuchten Veranstaltungen Unterschiede zwischen den Parteien oder innerhalb der Parteien aufgefallen?
Ja. Große Unterschiede gab es in der Organisation und im Ablauf der Aufstellungsveranstaltungen. Soweit ich mich erinnern kann, ist insbesondere die Organisation der Aufstellungsveranstaltungen der Linkspartei in Westdeutschland durch große Unterschiede zu anderen Aufstellungsveranstaltungen aufgefallen. Der Parteitag der CSU in München verlief – im Gegensatz zu den meisten anderen Aufstellungsveranstaltungen – fast debattenlos. Unterschiede gab es auch bei der Bildung der Listen (Listenwahlen nach Geschlecht, Quote auf Listen etc.). Bei sämtlichen Parteien, insbesondere aber bei der CDU/CSU und der Linken ist mir ein besonders geringer Anteil an migrantischen Bewerber*innen aufgefallen. Die Einstellung zur Frauenquote war auch sehr differenziert.
4. Was haben Sie für sich aus diesem Projekt als besondere Erfahrung mitgenommen?
Da ich selbst in einer demokratischen Partei ehrenamtlich tätig bin, war es für mich sehr interessant in die Strukturen und Abläufe anderer Parteien Einsicht zu erhalten und Vergleiche anzustellen. Das Essen auf CSU-Parteitagen ist immer am besten (aber auch am teuersten) ?.
Kurzinterview mit Dr. Lena Masch (Universität Düsseldorf)
1. Was war auf den Aufstellungsversammlungen aus Ihrer Sicht besonders spannend und ist Ihnen daher im Gedächtnis geblieben?
Aus demokratietheoretischer Sicht war es besonders spannend zu sehen, mit wie viel Gewissenhaftigkeit die Aufstellungsveranstaltungen von den Parteien durchgeführt wurden und auch mit wie viel Ernsthaftigkeit und Leidenschaft die einzelnen Kandidierenden vor ihrer Nominierung durch die eigenen Parteimitglieder befragt wurden.
2. Wie haben die Parteimitglieder im Allgemeinen auf die Befragung reagiert? Gab es besondere Reaktionen auf unser Forschungsprojekt?
Im Allgemeinen waren die Parteimitglieder sehr freundlich, standen der wissenschaftlichen Forschung offen gegenüber und haben sehr bereitwillig Auskünfte erteilt. Durch den Termindruck der Kandidierenden und Parteimitglieder mussten die Fragen auch mal spontan verkürzt, präzisiert oder angepasst werden.
3. Sind Ihnen auf den besuchten Veranstaltungen Unterschiede zwischen den Parteien oder innerhalb der Parteien aufgefallen?
Ja, bezogen auf die Diskussionskultur sind deutliche Unterschiede zwischen den Parteien erkennbar geworden. Die Schärfe der Nachfragen für einzelne Kandidierende hing dabei auch stark mit der Größe der Veranstaltungen und Parteien zusammen. Besonders in Erinnerung sind mir die regen Nachfragen an Kandidierende bei einer Landeslistenaufstellung der Linken geblieben.
4. Was haben Sie für sich aus diesem Projekt als besondere Erfahrung mitgenommen?
Das Projekt hat mich daran erinnert, wie wichtig es sein kann, sich einem Forschungsgegenstand wie der Kandidierendenaufstellung durch Interviews zu nähern und somit vertraut zu machen, bevor quantitative Auswertungen zum Einsatz kommen.
Repräsentation und Parlamentarismus
Analyse
Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017. Über personelle und partizipatorische Grundlagen demokratischer Ordnung
Die Rekrutierung von Abgeordneten gilt als ein Kernstück der Repräsentation und ist, wie Suzanne S. Schüttemeyer und Anastasia Pyschniy ausführen, als solche wesentlich für die Anerkennungswürdigkeit der demokratischen Ordnung und damit letztlich für die Stabilität des politischen Systems. Die Autorinnen setzten sich mit der Funktionsweise und Qualität von Repräsentation auseinander und stellen Befunde der Rekrutierungsforschung, insbesondere des IParl-Projektes über die Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017 vor.
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