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/ 11.06.2013
Wolfgang Schäuble

Mitten im Leben

München: C. Bertelsmann 2000; 348 S.; 21,47 €; ISBN 3-570-00497-X
Der ehemalige CDU-Parteivorsitzende schildert seine Erlebnisse an der Spitze der Partei beginnend mit der Bundestagswahl 1998 bis hin zu seinem Rücktritt und der Neuorganisation unter Angela Merkel. Die Zeit seines Parteivorsitzes war gekennzeichnet von einer ersten Analyse der Gründe für die Wahlniederlage, einem nahezu unvorstellbaren "Comeback" der CDU im Jahr 1999, auf das dann schließlich der ebenso drastische Absturz im Zuge der Spendenaffäre folgte. Wenngleich das Erscheinen des Buches ge...
Wolfgang Schäuble

Mitten im Leben

München: C. Bertelsmann 2000; 348 S.; 21,47 €; ISBN 3-570-00497-X
Der ehemalige CDU-Parteivorsitzende schildert seine Erlebnisse an der Spitze der Partei beginnend mit der Bundestagswahl 1998 bis hin zu seinem Rücktritt und der Neuorganisation unter Angela Merkel. Die Zeit seines Parteivorsitzes war gekennzeichnet von einer ersten Analyse der Gründe für die Wahlniederlage, einem nahezu unvorstellbaren "Comeback" der CDU im Jahr 1999, auf das dann schließlich der ebenso drastische Absturz im Zuge der Spendenaffäre folgte. Wenngleich das Erscheinen des Buches gelegentlich als "Abrechnung" mit Helmut Kohl verstanden wurde (und es in Teilen auch deutliche Anklänge in diese Richtung gibt), ist Schäuble dennoch im Stil seiner weiteren Bücher auch immer um Analyse und Strategieoptionen der CDU bemüht und widmet seiner politischen Lageeinschätzung einigen Raum. So gibt er als einen der wichtigsten Gründe für die Wahlniederlage an, "dass wir es nicht geschafft hatten, unsere Reformen in einen den Menschen plausiblen Gesamtzusammenhang zu stellen" (17), was zum "Generalverdacht der sozialen Schieflage" (21) geführt habe. Der Hinweis auf die lange Amtsdauer Helmut Kohls tritt hinter diese Erklärung zurück; gleichwohl berichtet Schäuble, dass er im späten Frühjahr 1998 - aufgefordert von einigen Parteifreunden - in einem Gespräch mit Kohl die Möglichkeit einer Aussage bezüglich eines Kanzlerwechsels nach der Wahl thematisiert habe, worauf Kohl jedoch nicht eingegangen sei. Mit seinem Antritt als Parteivorsitzender verband Schäuble den Anspruch, "von einem sicheren Fundament aus" (49) den Dialog mit der Gesellschaft zu suchen - was schließlich auch im Slogan "Mitten im Leben" Ausdruck gefunden habe. Abseits der inhaltlichen Diskussionen wird gerade im Laufe der Anfang November 1999 mit dem Haftbefehl für Walter Leisler Kiep beginnenden Spendenaffäre mehrmals deutlich, dass die sich entfaltende Krise als höchst personalisierter Ereignisablauf wahrgenommen wurde: der aus der Sicht Schäubles unerklärliche Wechsel in der Darstellung der CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister; die Entscheidung des langjährigen Verwaltungschefs des Konrad-Adenauer-Hauses und Kohl-Vertrauten Hans Terlinden, ein Verhörprotokoll des Wirtschaftsprüfers Horst Weyrauch zunächst an Kohl und nicht an Schäuble weiterzuleiten; der Namensartikel von Angela Merkel, in der diese (ohne vorherige Rücksprache mit Schäuble) eine vorsichtige Emanzipation der Partei von Helmut Kohl forderte; eine hin und wieder aufleuchtende indirekte Identifizierung von "Kohlianern" (Jürgen Rüttgers) und "Aufklärern"; das anscheinend sehr enge Zusammenspiel mit dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe Michael Glos ("ein aufrichtiger und verlässlicher Ratgeber und Begleiter" [247]) und schließlich das Verhalten Helmut Kohls bis hin zu einem Gespräch am 18. Januar 2000 im Büro des Altkanzlers. Schäuble - unter immensem öffentlichem, aber auch innerparteilichem Druck stehend - hatte Kohl aufgefordert, nach seinem Bekenntnis zu Fehlverhalten und seiner Weigerung, die Spendernamen zu nennen, sein Bundestagsmandat niederzulegen. Für den Fall, dass Kohl keine Konsequenzen ziehen würde, sah Schäuble seinen Rücktritt vom Parteivorsitz als unausweichlich an, was er Kohl auch deutlich machte: "Kohl, der mich schon zuvor eher frohgemut mit der Frage 'Trittst Du zurück?' zum Gespräch empfangen hatte, schien von dieser Mitteilung nicht sonderlich betroffen zu sein. Statt dessen meinte er, die ganze Geschichte sei eigentlich nicht so schlimm. Für seine Handhabung der Spenden habe ein Großteil der Bevölkerung Verständnis, auch die Geschichte in Hessen sei nicht so tragisch, lediglich meine Spende von Schreiber habe diese Affäre zu einer so dramatischen Krise werden lassen. Mit dem Satz, dass ich wohl schon zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit ihm verbracht hätte, beendete ich daraufhin das Gespräch." (235) Schäuble selbst gesteht Fehler im Umgang mit der Krise und insbesondere bei der Auskunft über sein Verhältnis zu Schreiber ein; seine Aussage während einer Bundestagsdebatte habe er insofern unterschätzt, als "dass aus der Geschichte für mich ein Glaubwürdigkeitsproblem bezüglich meiner Autorität als Aufklärer entstehen konnte" (224). Überaus deutlich wird auch, dass der Pulsschlag der Affäre im Wesentlichen durch (oftmals bewusst von politischer Seite lancierte) Medienberichte vorgegeben wurde, hinter denen Schäuble gelegentlich das direkte Ziel seiner Entmachtung erblickt. Mehr noch als in seinem damaligen Interview mit dem Fernsehsender Phönix sieht Schäuble - wiederum aufgrund Informationen aus Journalistenkreisen - über eine Intrige hinausgehende Anhaltspunkte für eine unter Involvierung des Umfeldes Kohls geführte "Kampagne zu meiner politischen Vernichtung", die "minutiös geplant" (266) worden sei. Seine Bilanz akzentuiert er jedoch nicht auf dem persönlichen Antagonismus: "Der entscheidende Punkt, der den Keim meines Scheiterns in sich trug, war, dass ich in einer schweren Krise der Union, die mit der vorübergehenden Selbstzerstörung des Ansehens unserer 16 Jahre Regierungsverantwortung einherging, ungeeignet erschien, die Partei aus dieser Krise zu führen, weil ich viel zu eng mit diesen 16 Jahren verbunden war." (274) Deutlich erkennbar greift der letzte Teil des Buches dann über diese Erfahrung hinaus, indem Schäuble versucht, den zukünftigen "Auftrag der CDU" und die politische "Mitte" zu definieren. Aus dem Inhalt: I. Vor der Wahl 1998 - Der Weg in die Niederlage; II. Nach der Bundestagswahl - Eine Volkspartei auf der Intensivstation; III. Erste Schritte - Die Zeit der Rekonvaleszenz; IV. Hessen als Zäsur - Es geht wieder aufwärts; V. Erfolge im Herbst - Der Siegeszug der CDU; VI. Die Krise; VII. Ende und Neuanfang - Der See rast und bekommt sein Opfer; VIII. Die Tagesordnung der Zukunft - Warum die Union gebraucht wird.
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.32.322.332.352.331 Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Wolfgang Schäuble: Mitten im Leben München: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/12389-mitten-im-leben_14800, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14800 Rezension drucken
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