/ 12.06.2013

Frank Bajohr
Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit
Frankfurt a. M.: S. Fischer 2001; 256 S.; geb., 22,90 €; ISBN 3-10-004812-1Ziel des Bandes ist es, die Fülle von Korruptionsfällen im "Dritten Reich" repräsentativ zu dokumentieren, aber auch, die Tendenz zur Korruption im Kontext des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu analysieren. Das 1. Kapitel "Organisiertes Selbstmitleid und Patronage" untersucht zunächst korruptionsfördernde Elemente, die sich noch vor 1933 in der NS-Bewegung herausgebildet hatten. Als "Belohnung" der "alten Kameraden" und "Kampfgenossen" verstanden, weist der Autor hier "einen organisi...

Frank Bajohr
Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit
Frankfurt a. M.: S. Fischer 2001; 256 S.; geb., 22,90 €; ISBN 3-10-004812-1Ziel des Bandes ist es, die Fülle von Korruptionsfällen im "Dritten Reich" repräsentativ zu dokumentieren, aber auch, die Tendenz zur Korruption im Kontext des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu analysieren. Das 1. Kapitel "Organisiertes Selbstmitleid und Patronage" untersucht zunächst korruptionsfördernde Elemente, die sich noch vor 1933 in der NS-Bewegung herausgebildet hatten. Als "Belohnung" der "alten Kameraden" und "Kampfgenossen" verstanden, weist der Autor hier "einen organisierten Nepotismus, wie er bis dahin in der deutschen Geschichte ohne Beispiel gewesen war" (13), nach. Im 2. Kapitel untersucht der Autor Kernbereiche der Korruption im "Dritten Reich", womit vor allem die Schädigung der NSDAP sowie ihrer Unterorganisationen durch Unterschlagung von Mitgliedsbeiträgen, Veruntreuung von Parteivermögen usw. gemeint sind. Das 3. Kapitel "Judenverfolgung und Korruption" befasst sich mit spontanen Akten der Bereicherung und Plünderung im Gefolge von Pogromen und Gewalttaten gegen Juden vor Kriegsbeginn sowie, im Zusammenhang mit erzwungener Emigration und Deportation von Juden, mit Fällen von Amtsmissbrauch und Unterschlagung während der "Arisierung" jüdischen Eigentums. Ein letzter Abschnitt ist der individuellen Bereicherung, Erpressung und Korruption innerhalb der Konzentrations- und Vernichtungslager gewidmet. Das 4. Kapitel untersucht Versuche der Bekämpfung und Strafverfolgung und zeigt deren strukturelle Grenzen im NS-Staat auf. In einem kürzeren Kapitel befasst sich der Autor schließlich mit dem Thema "Korruption und 'Volksmeinung'", wobei er zu dem Ergebnis kommt, dass die vor 1939 weit verbreitete, aber nur informell geäußerte Unzufriedenheit mit der Korruptheit von NS-Amtsträgern und Parteifunktionären im Zuge der massiven "Arisierung" und der anfänglichen Kriegserfolge einer individuellen Bereicherung in breiten Schichten der Bevölkerung Platz gemacht habe, "so daß die nationalsozialistische 'Volksgemeinschaft' der Kriegsjahre zumindest ansatzweise Züge einer Beutegemeinschaft an[nahm]" (15) - ein Tatbestand, der nach 1945 beim Versuch, die "unbelastete" deutsche Bevölkerung von den "korrupten Nazis" abzugrenzen, stillschweigend übergangen wurde.
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 2.312 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Frank Bajohr: Parvenüs und Profiteure. Frankfurt a. M.: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/13953-parvenues-und-profiteure_16723, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 16723
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
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