/ 03.06.2013
Heide Simonis
Kein Blatt vorm Mund. Für eine aktive Bürgergesellschaft
Hamburg: Hoffmann und Campe 1997; 255 S.; ISBN 3-455-11192-0Simonis versucht ausgehend von dem Bewußtsein, daß in vielen Bereichen Reformen notwendig sind, die Probleme zu beschreiben und Lösungen anzubieten. Im Zentrum stehen drei Politikfelder: die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Umweltpolitik und die Reform des öffentlichen Dienstes. Die Autorin beginnt ihr Buch mit einem "Bummel über den politischen Trödelmarkt" (17-44). Dabei äußert sie sich kritisch distanziert zu "Nationalgefühl" und "Heimatliebe", aber auch zu den "Heilslehren" (32) von 1968...
Heide Simonis
Kein Blatt vorm Mund. Für eine aktive Bürgergesellschaft
Hamburg: Hoffmann und Campe 1997; 255 S.; geb., 34,- DM; ISBN 3-455-11192-0Simonis versucht ausgehend von dem Bewußtsein, daß in vielen Bereichen Reformen notwendig sind, die Probleme zu beschreiben und Lösungen anzubieten. Im Zentrum stehen drei Politikfelder: die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Umweltpolitik und die Reform des öffentlichen Dienstes. Die Autorin beginnt ihr Buch mit einem "Bummel über den politischen Trödelmarkt" (17-44). Dabei äußert sie sich kritisch distanziert zu "Nationalgefühl" und "Heimatliebe", aber auch zu den "Heilslehren" (32) von 1968. Als Ziel bleiben am Schluß des Spaziergangs die Forderung nach Gerechtigkeit, formuliert als "Recht auf eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit" (35), die Durchsetzung der Gleichstellung der Frauen und der Erhalt der sozialen Grundlagen der Demokratie.
In den folgenden Kapiteln entwickelt Simonis jeweils auf der Basis einer kritischen Analyse der derzeitigen Situation ihre Vorstellungen zur Erneuerung der sozialen Demokratie (2. Kapitel), zum ökologisch-sozialen Umbau (3. Kapitel), zur Politik am Standort Deutschland (4. Kapitel) einschließlich des Bildungswesens, und zur Reform des öffentlichen Dienstes (5. Kapitel). Simonis schließt mit einem Plädoyer für einen politischen Wechsel (6. Kapitel), in dem sie als Ziele einer zukunftsorientierten Politik den "Übergang zu neuen Strukturen der Arbeitsgesellschaft", den "ökologisch-sozialen Umbau der Wirtschaft" und die "Modernisierung von Staat und Verwaltung" (215) nennt. Im letzten Kapitel wendet sie sich auch den politischen Konkurrenten zu. Die FDP steht für Marktradikalismus. Simonis hält einen Wandel der FDP in Richtung auf die "bräunliche österreichische FPÖ" (233) für wahrscheinlich. Der CDU attestiert sie, daß die 1982 versprochene geistig-moralische Wende tatsächlich stattgefunden habe. Die Ära Kohl bezeichnet Simonis als eine "Ära der hemmungslosen Bereicherung" und "der Rücksichtslosigkeit der Starken" (235).
Zur Situation ihrer eigenen Partei, der SPD, führt Simonis zunächst aus, warum die Entscheidung, erst 1998 einen Kanzlerkandidaten zu benennen, richtig sei. Die Autorin ist skeptisch hinsichtlich des Problems, wie die verschiedenen führenden Positionen innerhalb der Partei in eine Balance zu bringen seien. Kritik übt Simonis auch am inhaltlichen Profil der SPD, das noch nicht ausreichend geschärft sei. Sie fordert von und für die SPD ein Reformprojekt, das "gesellschaftlichen Zusammenhalt und Freiheit" (244), "wirtschaftliche Modernisierung und ökologische Zukunftssicherung" (244) verbinden müsse.
Das Buch bietet eine Alternative zu den Analysen und Lösungsvorschlägen aus konservativer Sicht. Die Reformvorschläge der Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins leiden teilweise darunter, daß sie - wie sie selbst sagt - keine Anhängerin des "großen Wurfs" (212), sondern eine Befürworterin einer Politik der kleinen Reformschritte ist. In einer fiktiven Rückschau aus dem Jahr 2007 wird so zum Beispiel Teilzeitarbeit zu einem Element der Utopie. Die Frage nach der Existenzsicherung durch Teilzeit, die Simonis selbst als Anspruch formuliert hat, wird nicht einmal erwähnt und die Möglichkeit einer generellen Arbeitszeitverkürzung nicht in Betracht gezogen.
Julia von Blumenthal (JB)
Prof. Dr., Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin.
Rubrizierung: 2.3
Empfohlene Zitierweise: Julia von Blumenthal, Rezension zu: Heide Simonis: Kein Blatt vorm Mund. Hamburg: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2886-kein-blatt-vorm-mund_3793, veröffentlicht am 25.06.2007.
Buch-Nr.: 3793
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Prof. Dr., Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin.
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