Die Phänomenologie steht selbst bei ihren Anhängern gelegentlich im Verdacht, unpolitisch zu sein. Zu Unrecht, wie ein Blick in die französische Forschung schnell offenbart. Im Dezember 2005 fand am Wiener „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ eine Konferenz mit dem Ziel statt, auch im deutschsprachigen Raum „das bislang ungehobene Potential der Phänomenologie für eine Analyse der ‚politischen Welt’ zu klären“ (12). Die ersten fünf der insgesamt 16 Beiträge sind Edmund Husserl gewidmet. Da dieser aber tatsächlich keine politische Philosophie entwickelt hat, steht hier der Lebenswelt-Begriff und damit die intersubjektive Fundierung der menschlichen Welt im Vordergrund. Unter der Überschrift „Die Geschichte des Politischen“ folgen drei Texte zur Philosophie Jan Patočkas. Schließlich werden Beiträge zu französischen Phänomenologen abgedruckt, darunter Maurice Merleau-Ponty, Emmanuel Lévinas und Marc Richir. Obwohl manche Autoren systematische Fragen angehen, beschränkt sich die große Mehrheit der Konferenzteilnehmer doch auf die Exegese des jeweiligen Philosophen. Allein die Beiträge von Ilja Srubar und von Olga Shparaga am Ende des Bandes bilden hier eine wirkliche Ausnahme. Das ist schade, weil die naturgemäß zähen Interpretationsprobleme nur wenig von den erfrischenden Perspektiven erahnen lassen, mit denen gute phänomenologische Texte aufwarten können. So bleibt der Band in der Auswahl seiner Themen recht konservativ. Für die an der Phänomenologie Interessierten muss dies kein Nachteil sein, ob sich mit ihm allerdings neue Anhänger gewinnen lassen, erscheint eher fraglich.