/ 12.06.2013

Hans Ströbitzer
Leopold Figl und seine Zeit
St. Pölten: Residenz Verlag 2012; 188 S.; hardc., 21,90 €; ISBN 978-3-7017-3302-6„Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann Euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich!“ (102) Leopold Figls Weihnachtsansprache, die 1945 im Österreichischen Rundfunk übertragen wurde, ist bis heute berühmt. Der Journalist und Autor Hans Ströbitzer beschreibt in seinem Buch, wie aus dem niederösterreichischen Bauernsohn der erste österreichische Bundeskanzler wurde. Figl war 1938 Obmann des politisch einflussreichen Reichsbauernbunds. In einer Rede vor jungen Österreichern warnte er: „Den Nationalsozialisten geht es nicht um eure blauen Augen und blonden Haare, sondern um unseren Erzberg, denn sie brauchen Eisen für die Rüstung.“ (55) Figl nahm an den Krisengesprächen im Kanzleramt teil, nach denen der antidemokratische Kanzler Kurt Schuschnigg den Einmarsch‑Drohungen aus Berlin nachgab. Am 11. März 1938 trat dieser zugunsten des Nationalsozialisten Arthur Seyß‑Inquart zurück. In der Nacht marschierten die ersten deutschen Truppen ein. Figl wurde mit anderen prominenten Oppositionellen schon am Morgen darauf verhaftet, verhört, gefoltert und schließlich nach Dachau gebracht. Der Bauernbund wurde wie alle anderen politischen Gruppen verboten. Ströbitzer schildert, wie Figl mehrere Konzentrationslager als „aufrechter Österreicher“ (61) überlebte, nach der Befreiung 1945 im April zum Gründungsmitglied der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und im Dezember schließlich der erste Bundeskanzler wurde. Ströbitzer erzählt anhand eines Politikerlebens mehr als ein halbes Jahrhundert österreichischer Zeitgeschichte nach. Mit vielen Fotos und der lebendigen, manchmal sogar spannenden Schreibweise wird er auch ein breites Publikum finden. Ausländische Leser werden über österreichische Begriffe wie „Anhaltelager“, „Mandatare“ oder „aussteuern“ stolpern. Wissenschaftlich ist das Buch nur eingeschränkt verwendbar. Es gibt zwar ein ausführliches Literaturverzeichnis, auf dieses wird im Text aber nicht verwiesen. Zitate werden nur ungenau, Daten und Zahlen meist gar nicht belegt. Gerade bei der Angabe von Opferzahlen oder der Zuschreibung politischer Verantwortung an bestimmten Verbrechen wären Quellenangaben wichtig.
Wolfgang Denzler (WDE)
Diplom-Journalist, Student, Institut für Politikwissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.1 | 2.4
Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Hans Ströbitzer: Leopold Figl und seine Zeit St. Pölten: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/14559-leopold-figl-und-seine-zeit_43682, veröffentlicht am 05.06.2013.
Buch-Nr.: 43682
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Diplom-Journalist, Student, Institut für Politikwissenschaft, Universität Hamburg.
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