/ 03.06.2013
Mihran Dabag / Kristin Platt (Hrsg.)
Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert. Band 1: Genozid und Moderne
Opladen: Leske + Budrich 1998; 410 S.; 68,- DM; ISBN 3-8100-1822-8Titel und Untertitel des Bandes markieren zwei verschiedene Ansprüche, die auf Anhieb nur schwer vereinbar erscheinen. Auf der einen Seite nämlich geht es um die - namentlich von Bauman - aufgeworfene Frage, ob der Genozid als Signatur des 20. Jahrhunderts gelten müsse. Die diesen Reflexionen zugrundeliegende Verknüpfung von Barbarei und Modernität wird zumeist auf der Basis einer sehr tief ansetzenden Kritik neuzeitlicher (instrumenteller) Rationalität vorgenommen. Allerdings erfüllen Überlegungen dieses Typs - das belegen die Beiträge von Bauman, Liebsch und Schäfer in unterschiedlicher Weise - primär die Funktion einer zeitdiagnostischen Selbstverständigung und lassen sich nur schwer in die objektivierende Perspektive sozialwissenschaftlicher Analyse übersetzen. Auf der anderen Seite jedoch sollen mit dem Band auch Versuche einer "interdisziplinären, komparativ orientierten Genozidforschung" (36) vorgelegt werden, die Genozid als "eigenständiges soziales Phänomen" konzeptualisieren (17). In diesen Komplex gehören teils Erläuterungen des Forschungsansatzes (Chalk / Jonassohn; Smith; Horowitz), teils Einzelanalysen wie die zur Judenvernichtung (Benz; Mommsen), zum Völkermord an den Armeniern (Dabag; Partsch), zum Kolonialismus (Gründer) und zum stalinistischen GULag-System (Armanski). Mit Blick auf das breite thematische Spektrum der Beiträge erhält die spannungsreiche Kombination von Titel und Untertitel ihre spezifische Bedeutung: auch eine Fülle von Detailstudien über die Völkermorde der Gegenwart sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der konkrete Schrecken der Taten wissenschaftlich nicht "einholbar" ist. Der Sammelband ist der erste einer zweibändigen Publikation des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum; der zweite Band über Formen der Repräsentation von Erfahrungen der Verfolgungen und des Völkermordes soll in Kürze erscheinen.
Inhalt: Kristin Platt: Genozid und Moderne: Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert. Einleitung (5-38); Burkhard Liebsch: Vom Versprechen, das wir sind. Versuch einer Annäherung an das Thema "Genozid und Moderne" (39-80); Zygmunt Bauman: Das Jahrhundert der Lager? (81-99); Michael Schäfer: Die Rationalität, die Moderne und der Holocaust (100-122); Wolfgang Benz: Vernichtung als politische Kategorie im Denken des 20. Jahrhunderts (123-134); Horst Gründer: Genozid oder Zwangsmodernisierung? Der moderne Kolonialismus in universalgeschichtlicher Perspektive (135-151); Mihran Dabag: Jungtürkische Visionen und der Völkermord an den Armeniern (152-205); Bernhard Giesen: Antisemitismus und Rassismus (206-240); Hans Mommsen: Der Weg zur Vernichtung der europäischen Juden (241-253); Harald Welzer: Massenmord und Moral. Einige Überlegungen zu einem mißverständlichen Thema (254-272); Gerhard Armanski: GULag- Hinterhöfe des Stalinismus (273-293); Frank Chalk / Kurt Jonassohn: Genozid - Ein historischer Überblick (294-308); Roger W. Smith: Pluralismus und Humanismus in der Genozidforschung (309-319); Irving Louis Horowitz: Wissenschaft, Modernität und autorisierter Terror (320-337); Karl Josef Partsch: Die Armenierfrage und das Völkerrecht in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Zum Wirken von André Mandelstam (338-346); Otto Luchterhandt: Bekämpfung von Völkermord: Konzepte des Völkerrechts (347-407).
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.25 | 4.42 | 4.1 | 2.62 | 2.312
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Mihran Dabag / Kristin Platt (Hrsg.): Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert. Opladen: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3281-strukturen-kollektiver-gewalt-im-20-jahrhundert_4298, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 4298
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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